Rezension

"Lennon statt Lenin": Die KPÖ-Bürgermeisterin von Graz

Graz, immerhin die zweitgrößte Stadt Österreichs, wird von einer kommunistischen Bürgermeisterin regiert. Die gemeinte Elke Kahr äußert sich zu politischen Erfahrungen und Grundsätzen in einem kleinen Interviewband "Es geht auch anders". Deutlich wird dabei indirekt, dass ihr Erfolg mehr mit großem Engagement und persönlicher Glaubwürdigkeit denn mit dogmatischer Ideologie zu tun hat. Derartige Beispiele können auch in anderen Parteien politische Veränderungen motivieren.

Eine kommunistische Bürgermeisterin regiert die zweitgrößte österreichische Stadt 2023. Wie erklärt sich eine solche Entwicklung, wo doch der Kommunismus ansonsten kaum noch eine politische Rolle spielt? In Graz konnte die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) schon früher relativ große Wahlzustimmungen verbuchen. Bei den Gemeinderatswahlen 2021 waren es dann fast 29 Prozent. Und so wurde die von Elke Kahr angeführte KPÖ stärkste Partei und ging eine Koalition zusammen mit den Grünen und der SPÖ ein. Fragt man nach den Gründen, so wird häufig auf die Person verwiesen. Kahr wuchs in einem Grazer Arbeiterbezirk als Adoptivtochter eines Schlossers und einer Verkäuferin auf. Sie kennt daher aus eigenem Erleben viele soziale Probleme, was später den Eintritt in die KPÖ mit motivierte. Ihre folgende politische Arbeit war von großem persönlichem Engagement geprägt, wozu auch das direkte Kümmern insbesondere um die von Wohnungsproblemen betroffenen Bürger zählte. Sie verzichtete außerdem auf einen bedeutenden Anteil ihrer Einkünfte als Bürgermeisterin und spendete dieses Geld für soziale Zwecke.

Wie Kahr "tickt", kann man einem Interviewband entnehmen, der mit dem bezeichnenden Titel "Es geht auch anders" erschien. Nach Gesprächen mit ihr hat ihn die Journalistin Silvia Jelincic zusammengestellt. Bereits hier ist dazu die Anmerkung nötig, dass darin keine wirklich kritischen Fragen gestellt wurden. Meist dienen die Anmerkungen der Journalistin dazu, dass Kahr ihre Positionen oder Schilderungen vorträgt. Aber auch diese Ausführungen sind vor dem erwähnten Hintergrund von großem Interesse. Marx und Engels werden übrigens nur einmal erwähnt, Lenin kommt überhaupt nicht vor. Am meisten beruft sich Kahr – man nimmt es erstaunt zur Kenntnis – auf John Lennon, genauer auf seine Lieder "Imagine", "Working Class Hero" und "Give Peace A Chance". Auch wenn so der Eindruck "Lennon statt Lenin" entsteht, merkt man den Ausführungen die marxistische Prägung an. Dabei offenbart sich aber ein großer Pragmatismus und Realismus, der von der Akzeptanz der Grundprinzipien einer parlamentarischen und rechtsstaatlichen Republik geprägt ist. Insofern erinnert manches an den früheren Eurokommunismus der 1970er Jahre.

Dem Kapitalismus beziehungsweise der Marktwirtschaft wird zwar zugestanden, dass es sich um eine effiziente und erfolgreiche Wirtschaftsform handelt. Kahr kritisiert aber: "Allerdings kommt das erwirtschaftete Vermögen nur zu einem geringen Teil bei jenen an, durch deren Arbeit die Gewinne überhaupt erst möglich sind – bei den arbeitenden Menschen und all jenen, die direkt oder indirekt daran beteiligt sind" (S. 34). Diese Einschätzung motiviert sie dazu, mehr öffentliches Eigentum im sozialen Interesse einzufordern. Als entsprechende Bereiche werden Bildung und Gesundheitsversorgung, Kultur und Wohnen genannt. Die Marktwirtschaft bedürfe allgemein einer starken Lenkung: "Die Vorstellung, dass wir alles kollektiveren und die gesamte Wirtschaft verstaatlichen wollen, ist nicht richtig" (S. 59). Viele Ausführungen wirken so wie die der früheren Sozialdemokratie. Bemerkenswert ist daher der Satz: "Wir vertreten auch heute noch die Ziele, die die Sozialdemokratie in ihrem Programm schon lange aufgegeben hat" (S. 42). Sie sei eng mit dem bestehenden System verbunden, wobei hier nicht das politische, sondern wirtschaftliche System gemeint ist.

Die letzten Kapitel weisen einen autobiographischen Schwerpunkt auf, wobei Kahr ihre persönliche und politische Entwicklung schildert. Dabei wird deutlich, warum die KPÖ in Graz bereits früher viele Wählerstimmen erhielt. Mit dem Grundsatz "Helfen statt Reden" hatte schon mit Ernest Kaltenegger einer ihrer Vorgänger erfolgreich gewirkt. Auch ihm attestierten selbst politische Gegner persönliche Glaubwürdigkeit und hohes Engagement, was gerade unter sozial Benachteiligten große Sympathien aufkommen ließ. Man wählte früher wie heute weniger die Kommunisten, sondern mehr die "Kümmerer". Gerade diese Einsicht zieht sich durch den Gesprächsband, ohne dass daraus eigene politische Schlussfolgerungen gezogen werden. Denn andere Parteien haben ein Engagement- und Themenvakuum entstehen lassen. Inhaltlich gefüllt wird es heute allzu häufig von als rechtspopulistisch geltenden Akteuren, der Gesprächsband macht demgegenüber in seinem Titel deutlich: "Es geht auch anders". Die Antwort auf viele angeschnittene Fragen muss nicht die KPÖ sein, aber ihre Erfolgsgründe verweisen auf andere Perspektiven für heutige Politik.

Elke Kahr im Gespräch mit Silvia Jelincic, Es geht auch anders, Wien 2023, edition a, 119 Seiten, 20 Euro

Unterstützen Sie uns bei Steady!