Auf einer Podiumsdiskussion des Humanistischen Salons Nürnberg über ethische Konflikte des beginnenden und sterbenden Lebens kritisierten der Ethiker Dieter Birnbacher und der Neurologe Frank Erbguth den neuen Sterbehilfe-Paragraphen 217 scharf.
"Sie finden jetzt einfach verschreckte Mediziner", ärgerte sich Neurologie-Professor und -Chefarzt Frank Erbguth vor zwei Wochen beim Humanistischen Salon Nürnberg. Die Wirkung des vor einem Jahr in Kraft getretenen Gesetzes gegen die "Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" sei fatal.
Die Medizin ziehe sich dadurch wie eine Schnecke aus ihrer Zuständigkeit am Lebensende zurück. Manche guten, akzeptablen Praktiken würden nicht mehr durchgeführt und die Patienten hätten das Nachsehen. "Die Angst greift um sich."
Auch Dieter Birnbacher, der Düsseldorfer Philosophie-Professor und Vorsitzender der Ethikkommission der Bundesärztekammer, der mit Erbguth auf dem Podium saß, hielt mit Kritik am neuen Paragrafen 217 nicht hinter dem Berg: "Viele machen sich gar nicht klar, wie weitreichend die Folgen dieses Gesetzes sind."
Der Wortlaut des Paragrafen sei so vage, dass er keinerlei Rechtssicherheit biete, warnte Birnbacher. "Im Strafrecht muss aber eindeutig bestimmt sein, was verboten ist und was erlaubt ist. Dieses Prinzip ist hier - meine ich - gröblich verletzt." Das Gesetz sei in der vorliegenden Form ein Damoklesschwert für Ärzte.
Umrahmt von Claus Geberts Klavierimprovisationen und moderiert von Helmut Fink ging es bei der Diskussionsveranstaltung am 19. März im Nürnberger Café PARKS um die ganze Breite der "Entscheidungen über Leben und Tod": kontrovers diskutierte medizinethische Konflikte - von PID, Leihmutterschaft und Spätabtreibung bis zu Hirntod, Patientenverfügungen und ärztlich assistiertem Suizid.
Weil sie die aktuell am heißesten diskutierten Themen sind, sollen jedoch nur die beiden letzten Themen hier herausgegriffen werden. Es waren auch die am emotionalsten besetzten für beide Referenten. Kein Wunder, bedroht die neue Gesetzgebung doch die von liberalen und säkularisierten Kräften erarbeitete Transparenz, Ehrlichkeit und Offenheit bei terminaler Krankheit und Tod und errichtet neue Tabus.
"Ich sehe die Gesetzgebung als ein politisches Zugeständnis an die Konservativen in der CDU", erklärte Birnbacher. Angela Merkel betreibe ja ansonsten SPD-Politik, doch bei diesem Thema habe sie ein einflussreiches konservatives Lager bedient. "Ein Rollback, den ich für unnötig halte."
Über die Lage in Deutschland vor der Verabschiedung des neuen Gesetzes erklärte Erbguth: "Der rechtliche Rahmen war eigentlich nicht viel anders als in der Schweiz - was die Menschen selten wissen." Eine Tötung auf Verlangen war verboten. "Aber die Beihilfe zur Selbsttötung war in Deutschland seit 150 Jahren frei", bestätigte Birnbacher.
Keine Staatsanwaltschaft hätte früher bei einem Freitod Ermittlungen gegen den Arzt aufgenommen, der die verursachenden Tabletten verschrieben hat, so Erbguth. Heute könne das jedoch schnell anders aussehen.
Es sei in dem letzten Jahr seit dem Inkrafttreten aber noch zu keinem Verfahren gekommen, erläuterte Birnbacher. Er rechne auch in den nächsten 5 Jahren nicht damit. Denn die Hauptwirkung des Gesetzes sei eine abschreckende. "Daher richten sich alle Augen nun auf das Bundesverfassungsgericht. Es wurden 13 Verfassungsbeschwerden wegen Paragraf 217 eingereicht." Mit einer Entscheidung sei gegen Herbst zu rechnen.
Sowohl Birnbacher wie Erbguth sprachen sich wegen Missbrauchsgefahren gegen die Einführung einer Tötung auf Verlangen aus, wie sie Ärzte in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg durchführen dürften. Doch der ärztlich assistierte Suizid sollte möglich sein. Ihn zu kriminalisieren sei ein Fehler.
"Ich sehe hier durchaus eine Verpflichtung", erklärte Erbguth. "Wenn es mich selbst mal übel trifft, dann hätte ich als Arzt ja immer ein Hintertürchen. Die meisten von Ihnen haben das natürlich nicht." Es sei eine Frage der Gerechtigkeit, auch Anderen die Gewissheit zu geben, selbst über sich verfügen zu können, wenn es schlimm würde.
Prof. Dr. Dieter Birnbacher ist Vorsitzender der Ethikkommission der Bundesärztekammer und emeritierter Philosophieprofessor in Düsseldorf
Prof. Dr. Frank Erbguth ist Neurologie-Professor und Chefarzt am Klinikum Nürnberg.
Das heiße nicht automatisch, dass Menschen von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machten, so Erbguth. Im Gegenteil. "Die Erfahrung in Oregon, wo das ja legalisiert wurde, zeigt vielmehr, dass sich viele Patienten nur den Schein holten ("Ich dürfte!") ohne das dann zu realisieren."
Birnbacher verwies auf die Option des Sterbefastens als noch verbliebene Möglichkeit in Deutschland. "Der Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit wird von Palliativmedizinern ganz überwiegend gutgehießen und auch begleitet." Dieses Verfahren sei unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine Möglichkeit auf Nummer sicher zu gehen und trotzdem ein gutes Stück Selbstbestimmung am Lebensende zu praktizieren, erklärte er.
Außerdem stünden andere Formen von Sterbehilfe offen. Oft genug sind sie eine echte Alternative zu ärztlich assistiertem Suizid. Wie Erbguth erzählte, hat eine Untersuchung ergeben, dass es für etwa ein Drittel der Patienten, die wegen Sterbehilfe in die Schweiz gegangen seien, auch in Deutschland legale Möglichkeiten gegeben hätte zu sterben. Etwa indem man ihre Beatmung oder andere Behandlungen beendet hätte. "Ich würde daher den Tenor vermeiden wollen, sterben dürfe man nur in der Schweiz!"
Auch Birnbacher bestätigte, die gesetzlichen Möglichkeiten würden oft zu wenig ausgeschöpft. Denn der ärztlich assistierte Freitod sei eine seltene Form der Sterbehilfe. "Die überwiegende Form der Sterbehilfe ist der Behandlungsabbruch bzw. die Reduzierung der Behandlung mit Todesfolge." Ein Problem sei dabei jedoch, dass es aus psychologischen Gründen für Ärzte umso schwerer sei, eine Behandlung abzubrechen, je schneller danach der Tod eintrete.
"Auch wenn alles rechtlich und ethisch vollständig gedeckt ist und eine explizite Dokumentation des Todeswunsches vorliegt, gibt es verständliche Hemmungen einen Schalter umzulegen und zuzusehen, wie der Tod eintritt", erklärte er. Viele Ärzte empfinden das dann nicht als ein Zulassen des natürlichen Sterbens, sondern weisen sich selbst die Verantwortung für den Tod des Patienten zu. "Je länger aber die Verzögerungsstrecke, desto weniger Verantwortungsselbstzuweisung," so Birnbacher.
Erbguth machte mit Beispielen aus der Praxis klar, wie wichtig die Möglichkeit des Behandlungsabbruchs in seinen Augen ist. Jede Patientenverfügung beziehe sich in seinem Fachgebiet auf eine Zukunft. Da heiße es: 'Wenn ich dauerhaft...' Er betonte jedoch: "Ich kann Ihnen am ersten Tag noch nicht sagen, ob Herr X dauerhaft bewusstlos sein wird!" Er sage den Angehörigen dann: Lasst uns mal anfangen zu werkeln und wenn's in die schlimme Richtung geht, dann hören wir wieder auf!
Der Neurologe weiß: "Da misstrauen uns - vielleicht zu Recht - die Angehörigen und die Patienten, weil die gewohnt sind: Wenn der Apparat erstmal los geht, dann hört der nicht mehr auf." Nur eine Offenheit für die Möglichkeit des Behandlungsabbruchs garantiert daher, dass medizinisch alles für den Patienten getan wird, zugleich aber seine Selbstbestimmung geachtet wird.
Die Alternative wäre ja, eine Behandlung - aus Angst, dass sie dauerhaft wird - gar nicht erst anzufangen, obwohl sie einem Patienten Heilungschancen bietet. "Keine Frage: Die Patientenverfügung bedarf noch mehr der Beachtung, aber es gibt gute Gründe eine Behandlung erstmal zu beginnen", so Erbguth. Dazu gehört für ihn aber eben auch, dass die Behandlung auf verfügten Wunsch des Patienten hin wieder abgebrochen wird, wenn sich herausstellt, dass die Schäden groß sind und der Zustand dauerhaft wäre.
Erbguth hat sich - wie er erzählte - früh in seiner Karriere dazu entschieden, eigenem Unbehagen in solchen Situationen nachzugehen und sich ethischen Konflikten mit offenen Augen zu stellen. Doch die Herausforderungen dabei sind vielfältig. Denn der Pluralismus in der Gesellschaft ist groß. Und welche Werte für Menschen Vorrang haben, ist sehr unterschiedlich.
Es gelte auch Offenheit zu bewahren, weil wir nicht immer vorher wissen könnten, wie wir persönlich mit schwerer Krankheit umgehen. Daher könnte es keine allgemeingültige Einschätzung von Lebensqualität geben. Und es sei auch nur subjektiv möglich zu entscheiden, wann sich Lebenszeitverlängerung noch lohne.
Der Neurologe gab dabei zu bedenken, dass er viele Schicksale erlebt habe, bei denen die letzten drei Monate die wichtigsten im Leben wurden. Außerdem würden Neurologen ein Paradox kennen: Je schwerer nämlich die Behinderung von Menschen sei, desto eher würden sie ihren Zustand akzeptieren. Es sei daher immer die Frage: Wie weit können wir vorausschauend agieren für einen Fall, den wir dann aus der Perspektive des Betroffenen anders sehen? Erbguth gab zu: "Das geht so weit, dass ich bei der Abfassung meiner eigenen Patientenverfügung sehr, sehr unsicher bin. Ich habe zwei Versionen - eine zweiseitige und eine zehnseitige..."
Birnbacher wies darauf hin, dass die Selbstbestimmung des Patienten nicht nur von der Medizin, sondern auch von Familienseite bedroht sein kann: "Wir sehen momentan eine Zunahme von Fällen, wo Patientenverfügungen von Angehörigen unterdrückt werden. Einfach, weil sie an dem Patienten hängen." Wenn sich Patienten in der Onkologie einen Behandlungsweg ohne unnötige Lebensverlängerung wünschten, käme es vor, dass Angehörige das verheimlichten - auch in der Hoffnung, dass die letzten drei Monate zu den besten des Lebens würden. Das sei jedoch nicht immer der Fall. "Hier wäre eine Beratung sehr wichtig!"
Bevor der Humanistische Salon Nürnberg in die Sommerpause geht, lädt er am 14. Mai noch zu einem Sondertermin: dem Vortrag von Hamed Abdel-Samad zum Thema "Ist Religion Privatsache? - Religionsfreiheit und ihre Grenzen". Veranstaltungsort ist diesmal das Caritas-Pirckheimer-Haus CPH in der Königsstr. 64 in Nürnberg.
1 Kommentar
Kommentare
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Besten Dank für Herrn Dr. Erbguths differenzierte und praxisnahe Stellungnahme. Ich lese aus ihr Liebe und Respekt für seine Patienten. Und das ist die grundlage für jede Diskussion.