Humanistischer Salon Nürnberg

Forschung zu urzeitlicher Menschengenetik politisch heikel?

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Prof. Johannes Krause
Prof. Johannes Krause

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In einem Vortrag im Humanistischen Salon Nürnberg erklärte Bestseller-Autor und Archäogenetik-Professor Johannes Krause, wie die Untersuchung alter DNA hilft, bisher ungeklärte Fragen über das vorgeschichtliche Europa zu beantworten. Auch widersprach er dem Vorurteil, die Ergebnisse seines Faches seien Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten.

Zum vierten Vortrag der inzwischen vierten Staffel des Humanistischen Salons Nürnberg konnte Kortizes mit Prof. Dr. Johannes Krause einen Wissenschaftler begrüßen, der seit der Veröffentlichung seines Buches "Die Reise unserer Gene" zum beliebten Talkshowgast geworden ist.

Umrahmt von Claus Geberts Klavierimprovisationen, der Moderation von Helmut Fink und der sonntäglichen Brunch-Atmosphäre des Café PARKS sprach der Jenaer über neue Antworten auf alte Fragen.

Denn seit genetische Verfahren einen Blick in die Erbsubstanz unserer urzeitlichen Vorfahren erlauben, unterstützt dieses neue Fach die Paläontologie, die Archäologie und die Linguistik dabei, Licht ins Dunkel vorhistorischer Zeiten zu bringen. Zusammen versuchen sie zu klären: Wer lebte im alten Europa? Woher kamen die Menschen? Und wer von ihnen hinterließ welches genetische und kulturelle Erbe?

Vor einem Publikum von gut 75 Interessierten erläuterte er den Beitrag seiner Disziplin bei der Erforschung von urzeitlicher Migration und Evolution. So konnte durch Untersuchungen von DNA aus Skelettfunden festgestellt werden, dass sich Sesshaftigkeit und Landwirtschaft in Europa nicht etwa durchsetzten, weil die hier lebenden Jäger und Sammler durch kulturellen Wandel zu Bauern wurden. Vielmehr waren es neue Menschen, die vor 7.000 Jahren diesen Lebensstil aus Kleinasien mitbrachten. Es konnte zudem gezeigt werden, dass sich die bäuerlichen Neuankömmlinge in den darauffolgenden Generationen genetisch mit den einheimischen, zuvor nomadisch lebenden Jägern und Sammlern vermischten.

Wie nicht anders zu erwarten, erregen Befunde wie diese in der heutigen Migrationsdebatte Aufmerksamkeit, weswegen die Veranstaltung auch im Format "Podium der brisanten Bücher" stattfand. Krause ging dabei auf die Sorge ein, dass der rechte Rand die genetischen Erkenntnisse für Nationalismus und Ausgrenzung nutzen wird. Dies ist, wie Krause an mehreren Stellen des Vortrags zeigte, wissenschaftlich gerade nicht in dieser Form zu begründen. So gebe es so etwas wie ein klar abgrenzbares deutsches Volk gar nicht und die in den Genen ablesbare prähistorische Migration sei wesentlich umfangreicher gewesen als die heutige Einwanderung nach Europa.

"Um eine ähnliche Verschiebung der genetischen Zusammensetzung im derzeitigen europäischen Durchschnittsgenom zu erzeugen, wie sie im vorhistorischen Europa geschah, müssten bei der aktuellen Bevölkerungsgröße heute 10 Milliarden Leute neu zuwandern", erklärte Krause. Der genetische Beitrag der heutigen (aus Sicht mancher ja massiven und bisher nie dagewesenen) Zuwanderung dürfte dagegen in tausend Jahren wegen Geringfügigkeit kaum mehr genetisch nachweisbar sein, gab er zu bedenken.

Foto: © Karin Becker
Foto: © Karin Becker

Aber was ist mit spezifisch europäischen Eigenschaften, die sich in Genen zeigen? Zusätzlich zu dem, was Knochen und kulturelle Artefakte verraten, wissen wir ja dank Archäogenetik heute auch, ob die an einem Fundort begrabenen Menschen Laktose verdauen konnten und welche Haut- oder Augenfarbe sie hatten. Sind diese Ergebnisse Futter für die Argumente des politisch rechten Randes? Auch hier ist die ideologische "Verwurstbarkeit" – wissenschaftlich redlich – eher überschaubar, wenn man ernst nimmt, was Krause über die evolutionäre Entstehung heller Hautfarbe in Europa berichtete.

Denn passt es zu den Narrativen von rechts, dass sich Hellhäutigkeit durch einen prähistorischen Veggie-Trend entwickelt haben könnte? Europas Jäger- und Sammlervorfahren jedenfalls kamen mit dunkler Hautfarbe und behielten diese auch. Wie Krause erläuterte, entstand der Selektionsdruck hin zu immer hellerer Haut nachweislich erst bei den späteren, Landwirtschaft betreibenden Bewohnern Europas und damit, als sich zum Sonnen- auch noch ein Fleischmangel gesellte.

So zumindest erklärt es die Vitamin-D-Theorie. Die nomadisch lebenden Wildbeuter konnten demnach die durch winterlichen Sonnenmangel entstehende Vitamin-D-Lücke noch mit ihrer fleischlastigen Ernährung kompensieren. Die Nahrung steinzeitlicher Bauern dagegen war weitgehend pflanzlich. Und dies erzeugte einen hohen Selektionsdruck zu immer hellerer Haut.

Sprich: Bauern mit hellerer Haut hatten bessere Überlebens- und Fortpflanzungschancen wegen besserer Vitamin-Versorgung. Das galt insbesondere für Nordeuropa, das aufgrund des wärmenden Golfstroms eine der nördlichsten und damit im Winter sonnenärmsten Regionen der Welt ist, in denen Landwirtschaft überhaupt möglich ist, wie Krause ausführte.

Wie schon der Wandel zur Sesshaftigkeit zeigt, lassen sich nicht nur die Veränderungen der biologischen Eigenschaften mit Hilfe der Archäogenetik untersuchen, sondern auch Bezüge zu Kulturellem. Zur Klärung des Ursprungs europäischer Sprachen etwa kann die Disziplin ebenfalls etwas beitragen. Denn schon länger war klar: Wer die indoeuropäische Sprachfamilie nach Europa brachte, brachte sie auch nach Indien. Und nach DNA-Analysen sind die wahrscheinlichsten Kandidaten dafür die Steppenreiter der Jamnaja, die nach den Bauern aus Kleinasien die nächste große Einwanderungsgruppe nach Europa bildeten.

Ein paar tausend Jahre nach den hinzugezogenen Bauern hinterließen auch sie im europäischen Genom ihre bis heute nachweisbaren Spuren. Sie kamen aus der asiatischen Steppe und breiteten sich nach Domestikation des Pferdes und Erfindung von Rad und Wagen vor 4.500 Jahren sowohl nach Westen wie auch nach Osten aus – und, wie viele Forscher überzeugt sind, begründeten sie dabei mit ihrer Sprache die indoeuropäische Sprachenverwandtschaft in allen Regionen, in denen sie sich niederließen.

Auch für diese prähistorischen Migranten lässt sich genetisch nach der Einwanderung eine Vermischung mit der schon in Europa lebenden Bevölkerung nachweisen. Wie friedlich oder auch nicht es dabei ablief, lässt sich aus den genetischen Daten allein nicht ablesen. Eigentlich gebe es in der Archäologie wenig Hinweise auf kriegerische Auseinandersetzungen in der Zeit, meinte Krause.

Allerdings muss sich zumindest auf der iberischen Halbinsel bei ihrem Zuzug Dramatisches abgespielt haben. Denn es gehen dort alle heutigen Y-Chromosomen allein auf die damaligen Neulinge zurück. Sprich: Keiner der bei Ankunft der Jamnaja dort lebenden Männer konnte sein Y-Chromosom durch Fortpflanzung weitergeben. Was sie daran hinderte, ist nicht bekannt. Wurden alle Frauen geraubt? Oder alle Männer getötet oder versklavt?

Als Krause im Vortrag über dieses Kapitel der europäischen Vorgeschichte sprach, war es ihm merklich mulmiger. Denn könnten Ergebnisse wie diese nicht doch vereinnahmt werden von neuen Varianten rechter Blut-und-Boden-Ideologie? Für völkische Geschichten vom Kampf um Frauen und Land? Trotzdem warb er für Offenheit und wissenschaftliche Neugier. Denn vieles ist noch unklar. Dass eine Y-Variante ganz verschwand, war die Ausnahme. Zudem könnte sich das Geschehen als komplexer erweisen, als es zuerst aussieht.

Eine Rolle spielte wohl auch die (Steinzeit-)Pest, die die Jamnaja aus ihrer alten Heimat mitgebracht haben. Anders als später scheint die Krankheit unter der einheimischen Bevölkerung mehr Männer dahingerafft zu haben als Frauen. Das alles wissen wir, weil sich nicht nur die Eigenschaften der damaligen Menschen genetisch untersuchen lassen, sondern auch die ihrer bakteriellen und viralen Untermieter. Wie Krause berichtete, lässt sich etwa aus Zahnstein oder versteinertem Kot der damaligen Menschen auch die nicht-menschliche DNA gewinnen und damit etwas lernen sowohl über die Eigenschaften des Mikrobioms wie auch der Krankheitserreger unserer Vorfahren.

Johannes Krause und Thomas Trappe, Die Reise unserer Gene: Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren, Propyläen Verlag (2019), ISBN: 978-3549100028, 22,00 Euro (gebunden),[Taschenbuch 11,99 Euro ab Juni 2020]

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