BERLIN. (hpd) Das Wort "Toleranz" fehlt in keiner Rede. Doch ist den Rednern und den Zuhörern eigentlich wirklich bewußt, was "Toleranz" bedeutet und woraus sie sich ableitet? Diesen Fragen geht Rainer Krause in einem zweiteiligen Essay nach.
Einwände
Gegen diesen Toleranz-Begriff ist einzuwenden, dass er einen inneren Widerspruch (zwischen Ablehnung und Akzeptanz) enthält und diese Paradoxie es massiv erschwert, tolerant zu sein. Denn es ist hier angeblich moralisch richtig, etwas zu akzeptieren, was man eigentlich ablehnt. Zudem wäre es ein Fall von Heuchelei, wenn man öffentlich etwas zu dulden vorgäbe, was man innerlich gar nicht akzeptiert.
Eine Variante dieses Einwands gegen diese Paradoxie der Toleranz lautet deshalb, dass die Aufforderung zur Toleranz eine bedauerliche Abkehr vom Wert der Authentizität enthält, also der weit verbreiteten Bejahung einer Lebens- und Ausdrucksform, die dem eigenen Empfinden und subjektiven Interesse gemäß ist.
Die negative Komponente der Toleranz (Ablehnung) macht eine problematische Dialektik sichtbar: Wer für Toleranz plädiert, die einer bestimmten Menschengruppe zugutekommen soll, spricht darin immer zugleich das Negative aus, das im Akt der Toleranz ja gerade nicht gelten soll. Das Annehmen des tolerierten Menschen ist nicht zu haben, ohne etwas von ihm abzulehnen!
Vor kurzem war in der Tagespresse zu lesen:
Einige Schützenvereine in NRW sind in den letzten Jahren toleranter geworden: Sie erlauben jetzt auch Muslimen und Homosexuellen, ihrer Organisation beizutreten.
Was auf den ersten Blick erfreulich ist, kann bei näherem Hinsehen aber nicht verbergen, dass hier der Fortschritt der Toleranz in nicht mehr besteht als einer Lockerung der Ausgrenzung. Beim unbefangenen Zeitungsleser stellt sich schnell der Eindruck ein: Während mit Muslimen und Homo-sexuellen nach wie vor etwas nicht zu stimmen scheint (sie sind ja immer noch Thema eines Toleranz-Problems), sind die Vereinsschützen "offener" geworden. Sie sind es, die sich jetzt "positiv" verändert haben, die "großzügiger" geworden sind, also moralisches Lob verdient haben.
Was fängt jemand, der eine Aversion gegen Schwarze oder gegen Schwule hat, mit der Aufforderung an, tolerant zu sein? Ist die Vorstellung eines "toleranten Rassisten" nicht widersinnig und weltfremd? Wer Rassismus bekämpfen will, kann dies anscheinend nicht mit Appellen an die Toleranz bewerkstelligen. Er müsste vielmehr dem Rassismus auf den Grund gehen und sich u.a. mit den Vorurteilen des Rassismus bzw. der Rassisten beschäftigen und den Quellen dieser Vorurteile. Denn der Grund für Rassismus ist offenbar nicht, dass es an Toleranz fehlt.
Die Anhänger der Appelle zur Toleranz machen hier den gleichen Fehler wie diejenigen Kriegsgegner, die mit ihren Friedensappellen unterstellen, dass es deshalb Krieg gäbe, weil die beteiligten Menschen nicht Frieden halten. Aber dies ist offenbar eine tautologische Erklärung, in der das zu Erklärende (Krieg) nur durch ein Synonym (Nicht-Frieden) "erklärt" wird: Krieg herrsche, weil kein Frieden sei. Und so wie es erforderlich ist, an der Beseitigung von Kriegsursachen zu arbeiten, statt Friedensappelle zu verkünden, ebenso notwendig ist die Herstellung von Bedingungen guter Nachbarschaft und sozialer Akzeptanz anstelle von Appellen zur Toleranz.
Der Einsatz für Toleranz steht in der Gefahr, dass eine bestimmte Anzahl von Menschen, die ein gemeinsames Merkmal haben (z.B. dunkle Hautfarbe), aber die sonst nicht sozial miteinander verbunden sind, also soziologisch gerade keine Gruppe (wie etwa eine Familie oder ein Sportverein) bilden, zu einer Gruppe gemacht werden, die Toleranz verdient. Damit werden bestimmte Menschen pauschal als toleranzbedürftig etikettiert, ‒ gleichgültig, ob sie das wollen oder nicht. Sie werden also stigmatisiert. Das bedeutet: Nicht nur Ausgegrenzte werden (eventuell) toleriert. Sondern es gilt auch umgekehrt: Wer zu den zu Tolerierenden gerechnet wird, der ist fortan ausgegrenzt.
Diese Stigmatisierung wird noch gern mit einem herabsetzenden Urteil über eine Minderheit kombiniert: Z.B. wird bei so manchem Einsatz für Toleranz gegenüber Homosexuellen die sexuelle Orientierung einer zahlenmäßigen Minderheit als Abweichung von einer Norm definiert, die durch die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft gebildet wird. In Wirklichkeit darf aus der rein quantitativen Feststellung, dass die Mehrheit der Bundesbürger heterosexuell orientiert ist, noch lange nicht das qualitative Urteil abgeleitet werden, dass die Heterosexuellen die "Normalen" seien und Homosexualität also etwas "Anormales".
Die Dialektik von Akzeptanz und Ablehnung im Akt des Tolerierens verweist auf eine weitere Schwierigkeit. Da nur dann toleriert wird, wenn die Gründe für die Akzeptanz einer Sache oder Person schwerer wiegen als die Motive der Ablehnung, entsteht die Frage: Was geschieht mit den Ablehnungsgründen? Sie sind ja nicht verschwunden, wenn sie im Vorgang des Abwägens unterlegen sind. Sie bestehen weiter, sie wirken weiter. Ein alltägliches Beispiel: Sollte eine Frau den "Seitensprung" ihres Mannes, obwohl es ihr schwer fällt, tolerieren? Das wird in manchen Ratgebern den Frauen ausdrücklich so empfohlen. Und dafür mag es gute Gründe geben. Ein Tolerieren bedeutet allerdings, dass die diesem "Seitensprung" möglicherweise zugrundeliegenden Spannungen, Frustrationen oder unterschwelligen Konflikte dieser Beziehung nicht zur Sprache kommen werden und damit die Chance vertan ist, eine wirkliche Klärung und Bereinigung strittiger Fragen zu erreichen. Hier ‒ und in vielen strukturell vergleichbaren Fällen ‒ besteht der Preis der Toleranz im Zudecken von Differenzen und ungelösten Konflikten, die jederzeit erneut destruktiv wirksam werden können. Ebenso wird man deshalb Ängste in der Bevölkerung vor "dem Islam" mit Appellen zur Toleranz, also durch Zudecken, gerade nicht loswerden. Da muss man den Ängsten schon auf den Grund gehen und dafür sorgen, dass Spekulationen über den Islam durch wirkliches Wissen und Vorurteile über Muslime durch persönliche Erfahrungen mit ihnen ersetzt werden.
Ein weiteres Problem betrifft das im Toleranzakt enthaltene Machtgefälle. Auch dem Schweizer Dichter Max Frisch ist aufgefallen, dass die auf den ersten Blick so großzügige Gewährung von Toleranz einer Minderheit durch die Mehrheitsgesellschaft in der Regel ein Machtgefälle voraussetzt, durch das die tolerierte Minderheit jederzeit vom guten Willen der Mehrheit abhängig bleibt: Entscheidet die sich für ein Ende der Toleranz, müssen sich dann die ehemals Tolerierten mit den Konsequenzen herumplagen. Frisch bestätigt das in seiner Bemerkung, Toleranz sei "immer das Zeichen, daß sich eine Herrschaft als gesichert betrachtet". 1
Auch heute noch kann Toleranz ihre Rolle als Sicherungsmittel politischer Herrschaft nicht ganz leugnen. In ihrem geschichtlichen Ursprung zu Beginn der Neuzeit, die durch gewalttätige religiöse Konflikte geprägt ist, erscheint Toleranz zunächst als Verpflichtung durch die politische Obrigkeit, die durch die Befriedung des gesellschaftlichen Lebens die eigene Existenz sichert. Denn durch sein Toleranz-Gebot erzwingt der Staat von seinen Bürgern das friedliche Austragen weltanschaulicher Konflikte. Dadurch wird einerseits das gesellschaftliche und politische Normensystem des Staates vor zerstörerischen inneren Angriffen bewahrt und es werden andererseits die widerstreitenden religiösen oder politischen Parteien auf Duldsamkeit und Respekt gegenüber Andersdenkenden verpflichtet. Die Duldung einer Religion durch den Staat setzt dabei die Anerkennung des Staates durch die Religion voraus. Darin sind sich nicht nur John Locke (1689) und Charles Montesquieu (1748)2 einig. Insoweit war und ist Toleranz kein moralischer Selbstzweck, sondern Sicherungsmittel politischer Herrschaft.
Dass Toleranz "von oben" gewährt wird und sich der Tolerierte dann in der Rolle des bloß geduldeten Objekts befindet, hat auch J.W. Goethe gestört, und er hat klare Worte dazu gefunden: "Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen."3
In der Tat hilft Toleranz allein vielfach überhaupt nicht weiter. Flüchtlinge z.B., die wegen Krieg, Bürgerkrieg oder politischer Verfolgung ihre Heimat verlassen mussten und gar noch verarmt und traumatisiert in Europa "gestrandet" sind, benötigen statt Duldung weit eher Anerkennung und Respekt, Verpflegung und medizinische Versorgung sowie Integrationshilfen, wenn sie bleiben wollen. Hier ist Toleranz gar kein wichtiges Thema, sondern "überholt" durch viel weiter greifende Maßnahmen und Anstrengungen. Andererseits ist bereits mehrfach sichtbar geworden, dass eine undifferenzierte, naive Willkommenskultur ("Wir heißen alle Menschen bei uns herzlich willkommen!") prompt von Menschen ausgenutzt worden ist, die keinerlei Toleranz verdient haben.
Zuweilen wird zur Verteidigung der Toleranz hervorgehoben, sie sei erst dann auf der Höhe ihrer Entwicklung, wenn sie sich über das bloße Dulden hinaus zu einem Prinzip der wechselseitigen Anerkennung und des gegenseitigen Respekts unter Gleichgestellten fortentwickelt hätte. Aber auch dann ist das Problem nicht gelöst, dass dabei unter dem feinen Mäntelchen der Toleranz höchst problematische weltanschauliche Positionen Unterschlupf finden und aus einem behaglichen Schonraum heraus ihre Agitation noch wirksamer fortsetzen können. Denn worin z.B. liegt der gesellschaftliche Fortschritt durch religiöse Toleranz, wenn Salafisten, Satanisten und Scientologen sich wechselseitig respektieren und anerkennen, während sie zugleich dem welt-anschaulich neutralen Staat (in doppeltem Sinne) gleich-gültig sind?
In vielen Fällen wird zudem eine brisante Toleranz-Frage präsentiert, die in Wirklichkeit durch rechtliche Regelungen bereits längst beantwortet ist.4 "Sollen wir den Islam tolerieren?" wird z.B. gern gefragt. Lassen wir das Problem beiseite, um wen es sich bei dem "wir" in dieser Frage handelt und konzentrieren wir uns auf die Toleranz. In einem säkularen Staat, der auf weltanschauliche Neutralität verpflichtet ist, lautet die Antwort, dass Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit selbstverständlich auch für Muslime uneingeschränkt gelten. Intoleranz wäre hier grundgesetzwidrig. Allerdings ist im bürgerlichen Rechtsstaat keine Form eines "politischen Islam" tolerabel, der die Gebote religiöser Autoritäten höher stellt als die der Verfassung und der sich dem bestehenden Rechtssystem nicht unterordnet. Die Frage ist deshalb falsch gestellt: "Gibt es eine bestimmte Form des Islam, die mit dem Grundgesetz unverträglich ist?" muss es heißen. Was tolerierbar ist und was nicht, ist hier also vorab rechtlich definiert. Dazu bedarf es keiner Toleranz-Debatte mit endlosem Austausch aller möglichen Befindlichkeiten. Ob sich einzelne Bürger z.B. durch den Anblick von Kopftuch tragenden Frauen oder vom Ruf des Muezzins gestört fühlen und ihn für inakzeptabel halten, ist nach geltendem Recht völlig unerheblich. Und wer ein generelles Bau-Verbot von Minaretten oder Moscheen fordert, stellt sich klar gegen das Grundrecht der Religionsfreiheit. Seine Intoleranz wäre sicher nicht tolerabel. Rechtliche Regelungen in Angelegenheiten der Kultur und der Religion lassen die in diesem Bereich entstehenden Toleranz-Probleme sicher nicht einfach verschwinden, markieren aber in der Auseinandersetzung um richtige und falsche Toleranz deutliche Grenzpunkte, die häufig ignoriert werden.
Die Vorstellung, Toleranz sei die Schlüsseltugend des modernen demokratischen Staatsbürgers, hat folgerichtig den Ruf nach einer schon früh einsetzenden Erziehung zur Toleranz lautwerden lassen. Aber da, wo wir Toleranz als Erziehungsziel finden, wird in der Regel ‒ ohne weitere Prüfung ‒ Intoleranz als "angeborene", Reaktion auf wesenhafte Differenzen unter Menschen unterstellt. Die Erziehung zur Toleranz baut vielfach wie selbstverständlich auf diesem Vorurteil auf und verspricht dann konsequent eine zivilisierende Zähmung sog. "natürlicher" Aversionen.
Toleranz als Ziel der Erziehung wird im Übrigen dann gefährlich, wenn sie als pauschale Forderung Kinder undifferenziert zur Duldsamkeit auffordert und sie damit ‒ wenn auch unwillentlich ‒ z.B. verletzenden Handlungen anderer Menschen aussetzt. Toleranz allgemein ist ein inhaltlich hohler Begriff und daher völlig ungeeignet als Erziehungsziel: Es muss schon reflektiert und festgelegt werden, was genau inhaltlich toleriert werden soll und auch was nicht.
Schlussbemerkung
Eine kritische Beobachtung der Toleranz-Debatte wird nicht zuletzt ein Auge darauf haben müssen, für welche politischen Ziele die Bürger mit der Toleranzforderung eingespannt werden, und genau hinschauen, welche politischen Positionen oder religiös-kulturellen Verhältnisse akzeptiert bzw. ausgeschlossen werden, wenn wieder Grenzen der Toleranz gezogen werden. Und politische Bündnisse, Bürger-Initiativen und wohlmeinende Aufrufe zur Toleranz sind in jedem Fall verkehrt, solange nicht klar definiert wird, worauf sich die Forderung nach Toleranz genau bezieht. Und das bedeutet ferner: Wenn Toleranz immer auch Grenzen ziehen muss, dann gehört es zu den unaufhebbaren Widersprüchen jeglicher Praxis der Toleranz, eben durch diese Grenzziehung stets einen Bereich hervortreten zu lassen, der Objekt der Intoleranz wird.
Übrigens ist das gelegentlich zu hörende Lob der Intoleranz5 ebenso fragwürdig ‒ und aus dem gleichen Grund ‒ wie das Lob der Toleranz.
Es ist sichtbar geworden, dass Toleranz vielfach überschätzt wird, wenn sie als Allheilmittel bejubelt und für alle möglichen Probleme auf dem Feld vor allem kultureller Differenzen vereinnahmt wird. Eine eher nüchterne und deutlicher differenzierende Einschätzung dessen, was Toleranz leisten kann, wo sie ihre Grenzen hat und wo sie sogar kontraproduktiv oder gefährlich wirken kann, ist längst überfällig, wird zu einem realistischeren Blick auf das Machbare führen und vor manchen Enttäuschungen bewahren. Es ist an der Zeit, den Toleranzgedanken aus der idyllisch-harmonischen Welt gutmeinender Mitbürger herauszulösen und sie endlich auf die Füße zu stellen.
(Teil eins der Serie)
- Max Frisch: Tagebuch 1946/49. Frankfurt/M. 1985. ↩︎
- John Locke: Ein Brief über Toleranz (1689);
Charles-Louis de Secondat, Baron de La Bréde et de Montesquieu: De l’esprit des lois (1748); deutsch: Vom Geist der Gesetze. ↩
- J.W. Goethe: Maximen und Reflexionen. Hg. von Helmut Koopmann. München 2006. ↩︎
- Vgl. zum Folgenden: Heinrich Schmitz: Null Toleranz. www.theeuropean.de/heinrich-schmitz/9249-das-falsche-verstaendnis-von-de.... ↩︎
- Siehe z.B. Henryk M. Broder: Kritik der reinen Toleranz. Berlin 2008. ↩︎
2 Kommentare
Kommentare
Stefan Wagner am Permanenter Link
In vielem gebe ich Ihnen Recht, aber zwei Kritikpunkte habe ich doch.
Zum einen zum Begriff der Normalität. Ich meine nicht, dass die Behauptung, etwas sei normal, immer mit einer Wertung einhergeht. Je nach Kontext wird der Begriff unterschiedlich gebraucht, für Verpflichtendes, für Zielvorstellungen, für Formalismen aber auch für empirische Häufigkeiten (dass es in London regnet ist normal). Das kann natürlich in Debatten zu Missverständnissen führen, und tut es auch. Es ist normal heterosexuell zu sein - aber ist es unnormal schwul zu sein? Wer bei solchen Nuancen sehr hellhörig ist, der versteht leicht schon mal Sachen, die so nicht gemeint waren.
Ich gebe Ihnen aber in der Hauptaussage Recht, dass Toleranz impliziert, dass da etwas zu tolerieren ist. Man kann aber im Alltag nicht allen Konflikten auf den Grund gehen, und Toleranz ist ein Umgang, in dem man weder einen Kompromiss, noch die Hegemonie des einen über den anderen anstrebt, sondern die Unterschiede aushält - oftmals, aber nicht immer, wechselseitig.
Toleranz kann man m.E. auch als Minderheit üben. Ein Moslem, der in einem Supermarkt einkauft, in dem Produkte verkauft werden, die nicht halal sind, toleriert dieses Angebot - ein Fundamentalist toleriert das vielleicht nicht und kauft aus Prinzip nur da, wo alles halal ist, auch Käse, Waschmittel und Zucker.
Dass Toleranz kein Wert an sich ist, darin stimmen wir aber überein. Es gibt Fälle, da ist Toleranz nicht genug, und andere, da ist sie nicht angebracht.
Markus Schiele am Permanenter Link
Ich kann zwar einigen Gedanken dieses Essays zustimmend folgen, empfinde aber die (aus meiner Sicht) mangelnde Differenzierung zwischen "Toleranz" (von lat.
Um ein Beispiel aus dem Text aufzugreifen: Ich z.B. lehne den Islam als Religion / Weltanschauung ab. Die Gesellschaft in der ich lebe, kann von mir zurecht verlangen, dass ich ihn "erdulde" (solange er in einer Form gelebt wird, die das gesellschaftliche Zusammenleben nicht stört und die Freiheit Andersdenkender nicht einschränkt), keinesfalls jedoch, dass ich ihn "akzeptiere", also für mich annehme.
Gerade in modernen, multikulturellen Gesellschaften existiert soviel Widersprüchliches nebeneinander, dass gegeseitige "Duldung" eine unabdingbare Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben ist. Im Umkehrschluss gilt: Unduldsamkeit sollte nicht geduldet werden. Die Forderung nach "Akzeptanz" wäre in meiner Deutung des Wortes jedoch geradezu absurd. (Allerdings möchte ich mich nicht über Definitionen streiten sondern lediglich zu einer Begriffsklärung beitragen und lasse mich gerne eines Besseren belehren.)
Der für mich wichtigste Punkt ist folgender: Wenngleich ich die Ideen und Weltanschauungen vieler meiner Mitmenschen als für mich "inakzeptabel" (= nicht annehmbar) empfinde und eben (oft genug) notgedrungen "erdulde", hindert mich das nicht daran, diese Menschen als Personen anzunehmen. Ein Mensch ist so viel mehr als eine Ideologie, die sich in seinem Kopf festgesetzt hat ...