Spielt es eine Rolle, ob ich Gott oder die heilige Kuh anbete? Glauben und Beten haben oft einen Placeboeffekt. Dabei spielt die Frage nach Gott eine untergeordnete Rolle.
Uns erscheint die Anbetung von Gestirnen oder Tieren als Frühform einer Religion oder eines Glaubens. Bekanntlich entrümpelten die monotheistischen Heilslehren den religiösen Himmel von Sonne, Mond, Sternen, Dämonen, Tieren und vielen anderen Göttern.
Doch spielt es eine Rolle, wen Gläubige anbeten? Ist die Wirkung anders oder größer, wenn an die Stelle von der Sonne oder dem heiligen Stier Nandi Bull ein monotheistischer Gott tritt? Oder anders herum: Gibt es eine Werteskala der Religionen? Ein Rating? Ein Ranking?
Wenn man die Frage konsequent zu Ende denkt, ist es nicht so wichtig, wen man anbetet. Oder zu wem man betet. Denn über das Wesen von Gott können wir nur spekulieren. Der Glaube an höhere Wesen ist immer eine Projektion.
Beim Beten geht es primär darum, die Hoffnungen und Sehnsüchte auf eine göttliche Instanz zu lenken, ihnen ihre Ängste zu übergeben, Trost zu suchen, Hilfe zu erhoffen und die Furcht vor dem Tod zu teilen. Deshalb sind Gebete für Gläubige so wichtig.
Sie spenden das Gefühl von Geborgenheit, Halt und Unterstützung und machen das Leben im Jammertal erträglicher. Vorausgesetzt, wir glauben an göttliche Wesen. Beten führt deshalb zu einem religiösem Placeboeffekt. Denn niemand weiß, ob beten hilft.
Viele Fragen, kaum Antworten
Wir können auch nicht nachweisen, dass es tatsächlich göttliche Wesen gibt. Selbst wenn sie existieren sollten, so ist nicht gewiss, dass sie unsere Gebete interessieren. Und ob sie sie überhaupt hören können. Sollten sie die Gebete tatsächlich wahrnehmen – bei sieben Milliarden Menschen eine logistische Herkulesaufgabe –, ist noch nicht gewährleistet, dass sie uns helfen können oder helfen wollen.
Fragen über Fragen. Eindeutige Antworten kennt niemand. Eine höhere Form des Betens ist die direkte Kommunikation mit Gott. Also das Gespräch mit Fragen und Antworten. Strenggläubige Christen, vor allem Freikirchler, sind überzeugt, mit Gott in einen Dialog treten zu können. Also von ihm Antworten zu bekommen. Diese besondere Form des Gebets hat einen noch stärkeren Placeboeffekt. Doch ein Zwiegespräch mit einem göttlichen Wesen strapaziert die Plausibilitätsfrage noch mehr.
Wie auch immer: Beten hat also weniger mit Gott als mit den Gläubigen selbst zu tun. Wären wir angstfrei, hätten wir kaum ein Bedürfnis, uns den göttlichen Wesen anzuvertrauen. So hilft uns der Glaube, Leid und Elend auf der Welt besser zu ertragen.
Dabei spielt es für den einzelnen Gläubigen wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle, ob er seine Sehnsüchte auf einen heiligen Elefanten oder einen monotheistischen Gott projiziert. Hauptsache es hilft. Wie plausibel der Glaube oder wie wirkungsvoll das Beten ist, ist nicht zentral.
Wenn man den Gedanken weiter spinnt, stellt sich eine weit bedeutendere Frage: Spielt es überhaupt eine Rolle, an wen oder was ich glaube? Denn der Effekt ist immer ähnlich. Trost und Hoffnung spenden weniger die göttlichen Wesen, es ist vielmehr der Glaube selbst. Es handelt sich also primär um ein suggestives Phänomen.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.
10 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Da hat Herr Stamm wieder einmal einen guten Artikel losgelassen. Zitat: < das Gefühl von Geborgenheit, Halt und Unterstützung, machen das Leben im Jammertal erträglich.>
Darauf gründen sich alle Religionen und Gebete an einen, wie auch immer genannten "Gott" der nur eine Fiktion ist, also eine Erfindung von ängstlichen Menschen.
Dieses Jammertal ist nahezu 100% den Religionen weltweit geschuldet, da diese die Menschen ständig gegeneinander hetzt und allen, durch die Habgier der Glaubensvertreter,
die Mittel entzieht ein Leben ohne Hunger und Existenzangst zu führen.
Der Humanismus, den wir hier in hpd anstreben, würde all diese Ungerechtigkeiten auflösen und den Menschen ein freies, selbstbestimmtes Leben ermöglichen.
Die Menschheit muss endlich aufwachen aus dem Traum, dass ein Göttliches Wesen über die Erde und die Menschen wacht und sich auf die eigene Klugheit und das Wissen um die Dinge verlässt, damit wir selbst die Dinge zum positiven verändern können, im hier und jetzt. Eine andere Chance haben wir letztendlich nicht.
Wolfgang am Permanenter Link
Glauben kann schön sein: ich glaube an einen Lottogewinn, ich glaube an einen Abend mit Helene Fischer, ich glaube, das ich im Laufe des Tages mit einem wilden Tier in einen friedlichen Kontakt komme.
Ich glaube aber nicht, das mich das herzlallerliebste Jesulein vor Corona schützt und ich glaube auch nicht. das ein Gebet einen Schutz bietet. Ich meide auch Theologen, habe noch niemals einem die Hand gereicht, denn Menschen, die lügen, mag ich nicht und jene mögen mich auch nicht, weil ich ihnen nicht auf den Leim gehe.
Roland Weber am Permanenter Link
Es spielt in der Tat keinerlei Rolle, zum wem oder was man betet, da es einfach kein höheres Wesen gibt, das sich zudem noch per Gebet korrumpieren lässt.
Dagegen wäre an sich ja nichts einzuwenden. Die Einwände ergeben sich jedoch aus der Folge dieser Suggestion. Wenn sich jemand erfolgreich zu einem verständnisvollen, offenen, empathischen, freigiebigen und solidarischen Gläubigen "hoch"-betet, so sollte das jedem Recht sein. Aber wohin betet sich der Gläubige in der Regel stattdessen?
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Man betet oft aus Angst vom Angebeteten. Viele Gläubige wurden so erzogen, dass das nicht regelmäßiges Beten vom Gott oder von den Göttern bestraft wird. Nur wer ständig Angst hat, kann gut manipuliert werden.
Thomas R. am Permanenter Link
"Der Glaube an höhere Wesen ist immer eine Projektion."
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Das wissen die Gläubischen aber nicht. Sie gehen davon aus, daß "höhere Wesen" real (statt nur fiktiv) existieren.
"Wir können auch nicht nachweisen, dass es tatsächlich göttliche Wesen gibt."
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Richtig, aber wir können nachweisen, daß die Existenz bestimmter göttlicher Wesen ausgeschlossen ist, wenn sie logisch unmögliche (oder logisch Unmögliches implizierende) Eigenschaften haben sollen. Und wir können uns klarmachen, was es bedeutet, Überzeugungen zu haben, die mit den Realwissenschaften unvereinbar sind.
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"Fragen über Fragen. Eindeutige Antworten kennt niemand."
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Doch. Es ist einfach falsch und im Falle der Unkorrigierbarkeit sogar wahnhaft, unprüfbare oder falsche Aussagen für wahr zu halten.
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"Strenggläubige Christen, vor allem Freikirchler, sind überzeugt, mit Gott in einen Dialog treten zu können. Also von ihm Antworten zu bekommen."
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Wer das ernsthaft glaubt, gehört in psychiatrische Behandlung.
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"So hilft uns der Glaube, Leid und Elend auf der Welt besser zu ertragen."
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...statt mit aller Kraft dagegen vorzugehen...
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"Spielt es überhaupt eine Rolle, an wen oder was ich glaube?"
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Ja, denn evidenzwidriges Glauben einschließlich der dazugehörigen geistigen Disposition ist hochgefährlich.
A.S. am Permanenter Link
Ich sehe Gottesglaube als Resultat systematischer religiöser Indoktrination. Muslime, Juden, Christen, usw. sind verschieden indoktriniert - das ist alles.
Soll man vor solcher Indoktrination Respekt haben?
Soll der Staat vor diesen Indoktrinierten kuschen?
Die Indoktrinateure, die Priester, Imame, Rabbiner, usw. wünschen sich genau dies.
Markus Wagner am Permanenter Link
Leider sind die Nebenwirkungen dieses Placebos oft fatal und sogar tödlich.
Topeka am Permanenter Link
Glauben schadet der geistigen Gesundheit allerdings auch.
In keiner mir bekannten Religion ist die Geisterwelt lediglich ein Ort der Geborgenheit.
Ganz im Gegenteil: Es gibt zornige Ahnen die man besaenftigen muss, boese Geister die einem nachstellen und wenig Hoffnung, unberechenbaren Naturereignissen trotzen zu koennen. Auch in Deutschland war Altersfroemmigkeit noch vor einigen Jahrzehnten verbreitet: Alte Menschen schleppten sich bei jeder Gelegenheit in die Kirche, aber nicht aus Freude am Gottesdienst, sondern aus Angst vor der Hoelle.
Eine Studie, die im Gotteswahn erwaehnt ist, untersuchte die Wirksamkeit des Gebets fuer Kranke. Man fand, dass diejenigen die wussten dass man fuer sie betet mehr Komplikationen hatten. Vielleicht fuehlten sie sich unter Druck gesetzt.
Dazu kommt, dass Menschen mit geistiger Behinderung schlecht geholfen werden kann wenn ihre Symptome religioes erklaert werden (Anneliese Michel ist ein erschuetterndes Beispiel).
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Vermutlich war Anneliese Michel nicht geistig behindert, sondern befand sich lediglich außerhalb der Aufsicht ihrer streng gläubigen Eltern in einer etwas freieren, studentischen Atmosphäre, war verliebt, ging tanzen
Paul München am Permanenter Link
Ältere Menschen machen auch oft "Überstunden" in der Kirche, indem sie nach der Messe noch einen Rosenkranz nach dem anderen beten, auch dies ein Ausdruck von Angst.