Der österreichische Journalist Robert Misik legt in "Die falschen Freunde der einfachen Leute" seine Reflexionen darüber vor, warum populistische Agitatoren so erfolgreich die "einfachen Leute" ansprechen könnten und was die politische Linke dabei falsch gemacht habe. Der Autor referiert dabei mit leichter Hand komplexe sozioökonomische Entwicklungen und Ursachenanalysen, die nicht immer rund, aber gleichwohl wichtig sind. Besondere Beachtung verdienen indessen seine kritischen Betrachtungen zur linken Identitätspolitik.
Gern berufen sich populistische Akteure auf die "einfachen Leute". Dabei wird "die Elite" gegen "das Volk" gestellt. Doch sind die gemeinten Akteure wirklich die Freunde der einfachen Leute? Um diese Frage drehen sich die Reflexionen, die in dem Buch "Die falschen Freunde der einfachen Leute" von Robert Misik enthalten sind. Der Autor ist ein österreichischer Journalist, der in Deutschland etwa häufiger in der taz schreibt. Aus seinen früheren Betrachtungen heraus entstand der Haupttext des kleinen Werks. Darin wird auf die unterschiedlichsten Aspekte eingegangen und auch vom Autor mal hin und her gesprungen. Er kennt sich in der sozialhistorischen und soziologischen Fachliteratur aus und referiert auch einschlägige Inhalte und Positionen zur Veranschaulichung. Diese Doppelperspektive von Journalist und Sozialwissenschaftler prägt den Text. Das muss man bei der Lektüre wissen, wenn die Frage nach der Stringenz oder der Subjektivität aufkommt.
Zunächst aber zum Inhalt: Ausgangspunkt der Betrachtungen ist die inflationäre Rede, die mit der Berufung auf die "einfachen Leute", den "kleinen Mann", "hart arbeitende Menschen" oder das "wahre Volk" verbunden ist. Dies alles habe eine instrumentelle Funktion, wollten doch die Populisten überall auf der Welt damit punkten. Dabei könnten sie sehr wohl an reale Einstellungen und Stimmungen anknüpfen, wozu die Globalisierungsängste und Politikverdrossenheit gehörten. Häufig würden Abwehrhaltungen gegenüber solchen Entwicklungen eben von Populisten aufgegriffen, so meint Misik, um Stimmen für sich bei Wahlen zu mobilisieren. Dabei spielten auch ökonomische und soziale Interessen eine Rolle, wozu es unterschiedliche Erklärungsansätze in der entsprechenden Fachliteratur gebe. Der Autor betont hier zu Recht, dass man nicht von monokausalen Deutungen ausgehen könne, sondern diverse Faktoren in ihrem Wechselverhältnis berücksichtigen müsse.
Danach fragt er, wie es um die alltägliche wie politische Lebenswelt bei den gemeinten "einfachen Leuten" stehe. Hier werden auch heikle Aspekte erörtert, wozu etwa die Frage gehört, inwieweit die Arbeiterklasse rassistisch sei. Schon früh macht Misik darauf aufmerksam, dass es bei den klassischen Arbeitern gegenüber den Ärmeren schon immer Ressentiments gegeben habe. Diese seien dann mitunter auf Migranten übertragen worden, darüber hinaus habe man ihre schlichte Anwesenheit als sozialen Niedergang des gleichen Stadtteils wahrgenommen. Erst ganz am Ende kommt Misik noch auf ein besonderes Thema zu sprechen. Dabei geht es um die Identitätspolitik der Linken, welche sich nicht mehr um die Arbeiter, sondern um Minderheiten gekümmert habe. Der Autor macht deutlich, dass die eine Ausrichtung die andere Ausrichtung nicht ausschließt. Er beklagt aber vehement die Art und Weise, wie entsprechende Identitätspositionen öffentlich vermittelt wurden.
Dazu hätte man im Buch gern mehr gelesen, wirkt das Folgende doch ein wenig wie ein noch übrig gebliebenes Kapitel. Misik beklagt bestimmte Positionen, etwa, dass man sich nicht in andere Menschen hineindenken könne oder sinnliche Erfahrungen der wichtigste Schlüssel zum Wissen seien. Gerade derartige Auffassungen der Identitätslinken führten aber zum Kommunikationsabbruch gegenüber den "einfachen Leuten". So überließ man sie der rechtspopulistischen Agitation als wichtiges Zielpublikum. Diese Einsicht hebt indessen Misik nicht selbst deutlich genug hervor. Eher werden solchen Auffassungen durch die Darstellung einschlägiger Kritik, die von Mark Lilla oder Walter Benn Michaels stammt und bezeichnenderweise noch nicht in deutscher Übersetzung vorliegt, verdeutlicht. Am Ende betont Misik: "Man muss die Leute gernhaben". Nur dann kann man sie auch von ihren "falschen Freunden" abbringen, eine wichtige Einsicht, nicht nur für Linke.
Robert Misik, Die falschen Freunde der einfachen Leute, Berlin 2019 (Suhrkamp-Verlag), 138 S., 14,00 Euro