Die beiden Politikwissenschaftler Armin Schäfer und Michael Zürn fragen in ihrem gemeinsamen Buch "Die demokratische Regression. Die politischen Ursachen des autoritären Populismus" danach, inwieweit das Empfinden mangelnder Repräsentativität eben auch zu populistischen Wahlerfolgen führt. Der länderübergreifende vergleichende Blick bestärkt ihre zentrale Deutung zu diesem Einflussfaktor, indessen fehlt eine Erklärung für die Orientierung hin zu rechten Positionen.
Ein Blick auf die internationale politische Entwicklung macht deutlich: Demokratien befinden sich in einer Legitimationskrise, Populisten können erstaunliche Wahlerfolge verbuchen. Woran liegt das? Antworten auf diese Frage haben verschiedene Sozialwissenschaftler zu geben versucht. Einige führen eine kulturelle Deutung dafür an, reagiere man doch so auf gesellschaftliche Liberalisierungsprozesse. Eine andere Erklärung ist sozioökonomisch orientiert, sie verweist auf ansteigende soziale Ungleichheit. Indessen greifen diese Ansätze zu kurz, das meinen jedenfalls die beiden Politikwissenschaftler Armin Schäfer und Michael Zürn. Für sie blenden sie die politische Sphäre aus. Ihr gemeinsames Buch "Die demokratische Regression. Die politischen Ursachen des autoritären Populismus" will hierzu eine erweiterte Perspektive präsentieren. Für sie besteht eine "doppelte Entfremdung": "die abstrakte Entfremdung der Praxis vom demokratischen Ideal und die konkrete Entfremdung der Bürgerinnen von den demokratischen Institutionen" (S. 11).
Demnach räumen die Autoren ein, dass in Demokratien reale Repräsentationsdefizite aufgekommen seien. Die Bürger würden sich von der Politik nur noch eingeschränkt vertreten fühlen. Als Abwehrreaktion auf damit einhergehende Entwicklungen komme es dann eben zum Populismus. Insbesondere zwei Faktoren beziehungsweise Mechanismen werden dazu angeführt: die Bessergestellten seien zunehmend von politischen Entscheidungen bevorzugt worden und die Bedeutung von nichtmajoritären Institutionen habe immer mehr zugenommen. Die letztgenannte Formulierung bezieht sich auf Gremien, die nicht durch Mehrheitsentscheidungen legitimiert sind. Der autoritäre Populismus verweise gegenüber der demokratischen Praxis auf reale Schwächen. Dabei würden dessen Akteure scheinbar den Menschen eine Stimme geben, welche sich nicht durch die politische Elite repräsentiert sehen. Indessen führe populistisches Agieren letztendlich zu einem kontraproduktiven Ergebnis, denn die Demokratie würde hinsichtlich ihres Kerns bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Für die Autoren kommt es in der Bilanz zu einem "demokratischen Dilemma": "Während die wachsende Komplexität der Entscheidungsverfahren in globalisierten und pluralisierten Kontexten zu einer doppelten Entfremdung von der Demokratie führt, untergräbt die Antwort der Vereinfachung durch Renationalisierung und Homogenisierung die institutionellen Grundlagen der Demokratie" (S. 23). Diese Entwicklung wird nachgezeichnet, das relevante Faktorenbündel herausgearbeitet und die Entfremdung von den Institutionen veranschaulicht. Die Autoren stellen dabei immer wieder auf ihr Kernthema ab: "Es geht um das Gefühl einer mangelnden Repräsentation in und die damit verbundene Entfremdung von der Demokratie" (S. 91). Indessen führe populistisches Agieren nicht zu einer Demokratieerweiterung, was länderübergreifende Analysen zu derartigen Kräften an der Macht oder in der Opposition veranschaulichten. Antworten auf die Entwicklung sollten nicht Einschränkungen sein: "Die Verteidigung der Demokratie erfordert mehr Demokratie" (S. 222).
Die Autoren legen mit dem Buch eine auf empirischen Daten wie theoretischen Reflexionen fußende Ursachenanalyse vor. Deutlich machen sie, dass eine kulturelle wie sozioökonomische Erklärung zum Phänomen zu kurz greift und die demgegenüber genannten politischen Faktoren eine relevantere Rolle spielen. Dabei wird ein neu entstandenes demokratisches Dilemma nicht ignoriert, sondern hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Relevanz deutlich veranschaulicht. Auch wenn es sich um komplexe Fragen handelt, bleiben Schäfer und Zürn weitgehend gut verständlich. Und dann liefern sie auch wichtige Ansätze dafür, wie in einer Demokratie andere Wege beschritten werden können. Indessen gibt es aber auch bei ihnen eine Argumentationslücke: Warum führen die Repräsentationsdefizite hin zum Rechtspopulismus? Es wären ja noch andere Ausrichtungen denkbar. Gesellschaftliche Einstellungspotentiale und linkspopulistische Optionen sind jeweils nur kurz Thema. Darauf bezogene Ergänzungen wären für eine Gesamterklärung noch wichtig.