Visionen für das nächste Jahrhundert

Rückblick: 100 Jahre Trennung von Staat und Kirche in Deutschland

Die Nachrichten aus den Sozialwissenschaften sind eindeutig: Seit Jahren vernachlässigt die deutsche Politik die Religions- und Weltanschauungspolitik. Und so waren sich auch die annähernd 100 Gäste und die sieben Referentinnen und Referenten zumindest darüber einig: Die Diskussion um eine zukunftsfähige Religions- und Weltanschauungspolitik muss raus aus dem Saal und endlich öffentlich und breit geführt werden.

Den ersten Teil der Veranstaltung – Gleichbehandlung statt Kirchenförmigkeit – eröffnete Jacqueline Neumann, Verwaltungsjuristin und Mitglied im Direktorium des von ihr mitbegründeten Instituts für Weltanschauungsrecht. In historischer und juristischer Perspektive arbeitete sie die vier Grundpfeiler des von ihr explizit so benannten "Weltanschauungsrechts" heraus: Trennung, Neutralität, Gleichheit, Freiheit. [...]

Eine Alternative, die der zweite Redner, Frieder O. Wolf, Honorarprofessor am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin und Präsident der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg, so nicht gelten lassen wollte. Stattdessen sei zu unterscheiden zwischen ungerechtfertigten Privilegien wie z.B. dem staatlichen Kirchensteuereinzug, der abzuschaffen sei, und wichtigen öffentlichen Aufgaben wie z.B. Bildung und gesellschaftlicher Dialog, die im Rahmen eines "kooperativen Laizismus" von anerkannten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften übernommen werden sollten. [...]

Im zweiten Teil der Veranstaltung wurde konkreter weitergefragt: Wie lässt sich die Gleichbehandlung der verschiedenen Weltanschauungen und Religionen politisch verwirklichen? Der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems, der die Formulierung vom "Stiefkind Religions- und Weltanschauungspolitik" geprägt hat, bot zunächst einige wichtige Differenzierungen zum Begriff der "Gleichbehandlung" an, der weniger eindeutig sei als angenommen. [...]

Auf dem nachfolgenden Podium zeigte Willems sich erstaunt darüber, dass es in Berlin bei über 65.000 Schülerinnen und Schülern in humanistischer Lebenskunde keine universitäre Ausbildung ihrer Lehrkräfte gebe. Das sei eigentlich unentbehrlich. Vorab hatte Bruno Osuch vom Humanistischen Verband Berlin Brandenburg sowohl dessen vielfältiges Angebot für Humanist/innen und Konfessionsfreie in der Hauptstadt dargestellt als auch auf verschiedene Gleichbehandlungsdefizite selbst in einer Stadt mit über 60% Konfessionsfreien hingewiesen. Die Einrichtung einer Humanistischen Hochschule sei überfällig. [...]

100 Jahre Trennung von Staat und Kirche in Deutschland – Visionen für das nächste Jahrhundert: Eine Tagung von Friedrich-Ebert-Stiftung und Humanistischer Akademie am 23. Oktober 2019 in Berlin