Jahrzehntelang gab es einen engen Schulterschluss zwischen den Kirchen und den beiden Unionsparteien. Im Zuge der Migrationsdebatte wird eine zunehmende Entfremdung zwischen den Kirchen und den Unionsparteien spürbar, polternde Drohgebärden vom CSU-Parteichef inklusive. Letztlich ein weiteres Beispiel dafür, dass eine Trennung von Staat und Kirche überfällig ist.
Seit Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Bundestag einen Entschließungsantrag eingebracht hat, der auf die Zustimmung der AfD angewiesen war, hängt der Haussegen schief. Die katholische und die evangelische Kirche kritisierten den Migrationskurs der Union scharf. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es:
"Zeitpunkt und Tonlage der aktuell geführten Debatte befremden uns zutiefst. Sie ist dazu geeignet, alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren, Vorurteile zu schüren und trägt unserer Meinung nach nicht zur Lösung der tatsächlich bestehenden Fragen bei."
Während konservative Bischöfe wie der Regensburger Rudolf Voderholzer auf Distanz zu diesem kritischen Statement gingen, sorgte die Kritik in der katholischen Laienorganisation, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, für Wirbel. Die ehemalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer empörte sich über die mahnenden Worte ihrer Glaubensgenossen – und erklärte umgehend ihren Rücktritt von allen Funktionen und Ämtern im ZdK.
Dann trat Markus Söder auf den Plan – polternd wie gewohnt. Der bayerische Ministerpräsident, der jede Amtsstube mit einem Kreuz hat dekorieren lassen, um Bayerns kulturelle Prägung zu betonen, ermahnte die Kirchen, sich aus politischen Fragen herauszuhalten. Auf dem kleinen CSU-Parteitag in Nürnberg empfahl er ihnen stattdessen, sich "vielleicht manchmal auch um die einen oder anderen christlichen Themen" zu kümmern – etwa den Schutz ungeborenen Lebens. Die Botschaft war eindeutig: Schwangerschaftsabbruch ist und soll illegal bleiben.
Wenige Stunden nach Söders Rede zog Hermann Imhof, langjähriger Nürnberger Landtagsabgeordneter und überzeugter Katholik, Konsequenzen. Der frühere Caritas-Direktor gab sein CSU-Parteibuch zurück – aus Protest gegen die unseriöse Migrationsdebatte der Union und ihre Bereitschaft, die AfD als Mehrheitsbeschaffer in Kauf zu nehmen. Eine rote Linie sei überschritten worden, erklärte er. Dies sei mit seinem "christlich-ethischen Selbstverständnis nicht mehr vereinbar".
Drohgebärden und politische Abhängigkeiten
Doch zurück zu Markus Söder. Der CSU-Chef, der im Handschuhfach seines Dienstwagens angeblich eine Bibel spazieren fährt, sieht sich an der Spitze einer ganz besonderen Dreifaltigkeit: Bayern, CSU und die Kirche – dass im Freistaat auch Atheisten und Wähler anderer Parteien leben, übersieht er dabei geflissentlich. Um seine christliche Gesinnung hervorzuheben, biedert er sich manchmal auch gerne an. So überreichte der Protestant Söder unlängst dem Papst im Vatikan einen bayerischen Fresskorb. Als Deutschlands bekanntester Foodblogger weiß er eben, wie man sich medienwirksam inszeniert.
Söder, der in seiner Partei keine abweichenden Meinungen duldet, möchte nun offenbar auch die Kirchen auf den "richtigen" Kurs bringen. Kritik an CSU-Positionen? Unerwünscht. Stellungnahmen zu sozialen oder humanitären Fragen? Ebenfalls nicht willkommen. Tagespolitische Kommentare der Kirchen dürfen aber gerne geäußert werden, insofern sie Söders Linie flankieren. Und damit die Kirchenvertreter das auch verstehen, betonte Söder: "Bayern steht zu den Kirchen wie kaum ein anderes Bundesland. Wir sind wohl das kirchenfreundlichste Bundesland in Deutschland. Sei es mit Kreuzen, Religionsunterricht, Steuern – Gehälter übrigens, die bezahlt werden, und auch die Feiertage …"
Die überfällige Trennung von Kirche und Staat
Eine unverblümte Drohung. Weil Bayern auf Basis des Konkordats von 1924 alljährlich hohe Staatsleistungen an die katholische und evangelische Kirche bezahlt, duldet man keine Kritik an der Politik der Christlich Sozialen Union. Söder setzt noch eins drauf und mahnt die Kirchen, nicht zu "vergessen, wer am Ende noch an der Seite der Kirche steht. Das sind nämlich wir. Nicht, dass man irgendwann ganz plötzlich allein steht. Denkt mal darüber nach!"
Wie wäre es denn, wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt? Genau genommen, fordert Markus Söder eine Trennung von Staat und Kirche. Das hätte Vorteile für alle Seiten: Die CSU müsste sich nicht mehr mit lästigen kirchlichen Einwänden herumschlagen, und die Kirchen könnten freier agieren, wenn sie denn bereit wären, auf die bundesweit aktuell jährlich rund 600 Millionen Euro Staatsleistungen zu verzichten. Denn dann könnte die Politik auch keine Gegenleistungen mehr einfordern.
Die Abschaffung dieser Zahlungen, die im Grundgesetz eigentlich vorgesehen ist, ist mehr als überfällig – und zwar ohne jede "Ablösungszahlung". 221 Jahre nach dem Reichsdeputationshauptschluss, der zur Säkularisierung kirchlicher Ländereien führte, gibt es faktisch keinen Grund mehr für staatliche Transferleistungen. Die sozialen Leistungen der Kirchen als Träger etwa von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen übernimmt der Staat unabhängig davon sowieso zum allergrößten Teil.
Die Bischöfe reagieren auf Söders Drohung mit Schweigen. Doch genau hier liegt das Problem: Die jahrzehntelange Verflechtung von Kirche und Staat hat dazu geführt, dass kirchliche Institutionen zwar Kritik üben, aber selten bereit sind, daraus politische Konsequenzen zu ziehen. Die Angst vor finanziellen Einbußen wiegt schwerer als die Wahrung "christlicher Werte". Ein weiteres pikantes Detail: Rund die Hälfte der Steuergelder, mit denen diese Staatsleistungen der Bundesländer finanziert werden, stammt von Menschen, die gar keine Kirchenmitglieder sind. Die Kirchen nehmen dieses Geld dankbar an – ohne Skrupel und ohne ernsthafte Diskussion über eine Reform.
Aber genau hier müssten die Kirchen ansetzen. Eine wirklich unabhängige christliche Organisation müsste sich von staatlichen Zuwendungen lösen, um glaubwürdig für ihre Überzeugungen eintreten zu können – ohne politische Rücksichtnahme oder taktische Zurückhaltung. Gleichzeitig könnte der Staat endlich seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung nachkommen und die überfällige Trennung von Kirche und Staat vollziehen.
Söders Worte mögen als Warnung gemeint gewesen sein, doch sie entlarven ein überholtes System. Wenn die Kirchen wirklich frei sein wollen, sollten sie sich darauf besinnen, wofür sie stehen – und nicht darauf, möglichst viel Geld vom Staat zu bekommen.

2 Kommentare
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Kommentare
Gerhard B. am Permanenter Link
Diesem Artikel ist eigentlich nichts weiter hinzuzufügen, alles was da steht sollte längst
nicht geduldet werden.
Genau so wie es nicht rechtens ist in allen Ämtern zwangsweise ein deutlich sichtbares Kreuz anzubringen, dies verstöhrt jeden Atheisten, da es ein Symbol einer erfundenen Gottheit ist und es keinerlei Beweise für ein reales Leben eines Messias je gab.
A.S. am Permanenter Link
Heißt Demokratie nicht: "Volkes Wille geschehe!" ?
"Der Kirchen Wille geschehe!" wäre Theokratie.
Meiner Meinung nach ist Deutschlnd immer noch sehr, sehr theokratisch. Der Religionsunterricht sorgt dafür, dass das so bleibt.