Deus Ex Algorithmo (Teil 7)

Rupert Murdoch: Großvater der Echokammer und zweiter Reiter der Infokalypse

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Karikatur: Fox führt einen Karnevalsumzug der US-Konservativen an

Kürzlich hat das Max-Planck-Institut die Existenz von Echokammern in Sozialen Netzwerken nachgewiesen. Doch das Konzept ist weitaus älter. Diese Folge von "Deus Ex Algorithmo" erörtert, warum Rupert Murdochs Medienimperium um Fox als Vorfahre der modernen, datengestützten Echokammern verstanden werden kann – und was wir mit diesem Wissen anfangen.

Den Grundstein für den bahnbrechenden Erfolg von Fox legte der 1996 vom US-Kongress verabschiedete "Telecommunications Act", der den Erwerb von Rundfunklizenzen für Kabelfernsehsender stark vereinfachte. Diese Entscheidung ermöglichte es nur wenige Monate später dem bereits damals einflussreichen Medienmogul Rupert Murdoch und seiner News Corporation, einen neuen Rundfunksender unter Führung von Roger Ailes zu etablieren, dessen Zweck nicht die Verbreitung von Nachrichten war, sondern die Schaffung eines medialen Sprachrohrs für die Republikanische Partei (GOP), ohne als solches erkennbar zu sein.

Rupert Murdoch
Medienmogul Rupert Murdoch erhält den "Global Leadership Award" des Hudson Instituts, 2015 (Foto: Hudson Institute via Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY 2.0)

Ailes wiederum war die Idee eines solch offensichtlich befangenen Mediums bereits während seiner Zeit als politischer Berater unter Nixon gekommen. Etwa 1970, 26 Jahre vor der Gründung von Fox, legte Ailes ein Memo mit dem bezeichnend einfachen Titel "Ein Plan, um die GOP ins Fernsehen zu bringen" vor, das es bis ins Jahr 2011 schaffte, sich in der Präsidialen Bibliothek selbst vor den Augen findiger Journalist*innen zu verbergen. Ailes selbst gestand in diesem Memo ein, dass sein Plan gewisse "Aufregung" verursachen würde, sollte er durchgeführt werden.

"Als erfolgreichster politischer Kommentator seiner Zeit [war seine Mission], aus Narrativen Nachrichten zu machen, die Millionen von Augen zu glauben bereit waren. [Ailes] hinterlässt eine Nation, die extrem an dem hängt, was sie zu wissen glaubt – und allem, was nicht ins Bild passt, mit einer beklagenswerten, willentlichen Ignoranz begegnet", schrieb Jon Klein für die Washington Post in einem Nachruf auf Ailes, der, Zeit seines restlichen Lebens Vorsitzender und CEO von Fox, 2017 verstarb.

Feedbackschleifen im Gehirn

"Rechtsgerichtete Medien haben nicht nur Wähler*innen nach rechts gezogen, sondern auch Abgeordnete. Außerdem sorgen sie dafür, dass Abgeordnete die eigenen Wähler*innen für konservativer halten, als diese eigentlich sind. Der Versuch, den Impact von Fox zu isolieren, zeigt, dass der Kanal einen messbaren Einfluss zugunsten der GOP auf die Wählenden ausübt", schreiben die Politikwissenschaftler Jacob S. Hacker und Paul Pierson in "Let Them Eat Tweets: How The Right Rules In An Age Of Extreme Inequality" (S. 98 f.; Übers. d. A.). Sie untermauern diese Aussage unter anderem mit der Studie "Bias in Cable News: Persuasion and Polarization" von Gregory J. Martin und Ali Yurukoglu. In einer breit angelegten Untersuchung zum Bias der US-amerikanischen Medienlandschaft kamen Martin und Yurukoglu 2017 zu folgenden zentralen Ergebnissen:

  1. Fox hat einen messbaren Einfluss auf das Wahlverhalten in Präsidentschaftswahlen. Wie Martin und Yurukoglu zeigten, erhöht eine gesteigerte Exposition gegenüber Fox den Anteil an Stimmen für die Republikanische Partei. Für linksgerichtete Sender wie MSNBC ist kein solcher Effekt festzustellen.
  2. Martins und Yurukoglus Modell ist insofern höchst interessant, als dass es die Präferenz von die eigene, vorgefasste Meinung bestätigenden Nachrichten ("like-minded news") und den Einfluss tendenziöser Medien auf die Ideologie eines Individuums separat voneinander misst. "In Menschen", so die Forschenden, "die sowohl eine hohe Präferenz für like-minded news haben als auch leicht durch tendenziöse Berichterstattung zu beeinflussen sind, kann eine Feedbackschleife ausgelöst werden. In dieser Schleife konsumieren sie tendenziöse Medien, woraufhin sich ihre Ideologie in Richtung des Bias entwickelt, woraufhin ihre Präferenz tendenziöser Berichterstattung weiter ansteigt, und so weiter." (S. 5; Übers. d. A.)

Zusammengenommen bedeutet dies: Fox ist eine Echokammer. Und der Sender ist als solche konzipiert, wie sowohl Pierson und Hacker als auch Ailes' fünfzig Jahre altes Memo zeigen. Fox war die Blaupause für den Mechanismus, der Cambridge Analytica und anderen Akteuren die Radikalisierung von Millionen US-Amerikaner*innen via Facebook und YouTube ermöglichen sollte.

Der Prototyp der modernen Echokammer

Christopher Wylie, der Cambridge Analytica-Whistleblower, schreibt dazu in seinem Buch "Mindf*ck: Wie die Demokratie durch Social Media untergraben wird" (S. 130):

"[Fox] konditioniert die Leute zu Identitäts-motiviertem Denken, eine kognitive Verzerrung, die im Wesentlichen dazu führt, dass Menschen Informationen akzeptieren oder negieren, weil sie dem Erhalt der Gruppenidentität dienen, und nicht wegen der Relevanz ihres Inhalts […]. Allmählich begriff ich, dass Fox deshalb funktioniert, weil der Sender eine bestimmte Identität in die Köpfe der Zuschauer*innen pflanzt, die dann eine Debatte über strittige Themen als einen Angriff auf eben diese Identität empfinden. Dies wiederum löst eine Abwehrreaktion aus, wodurch alternative Sichtweisen das Festhalten des Publikums an seiner ursprünglichen Überzeugung sogar noch verstärken, weil es sich in seiner persönlichen Freiheit bedroht fühlt."

Shahmir Sanni und Christopher Wylie
Die Cambridge Analytica- bzw. BeLeave-Whistleblower Christopher Wylie (rechts) und Shahmir Sanni bei einer Demonstration gegen die demokratiegefährdenden Praktiken von Cambridge Analytica und Facebook, 2018 (Foto: Jwslubbock via Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 4.0)

Fox ist nicht deswegen der Prototyp der modernen Echokammer, weil Murdoch und Ailes die Idee eines solch sublim operierenden Propaganda-Apparats erfunden hätten. Die Eroberung der Deutungshoheit und die Kontrolle über Informationsflüsse waren bereits vor Jahrtausenden ein beliebtes Werkzeug. Fox' Beitrag ist nicht die Erfindung der Echokammer, sondern die Grundlagenarbeit für die Optimierung der Effektivität von Propaganda im digitalen Zeitalter.

So wie sich zwei Quantenteilchen "verschränken" lassen, hat Fox Identität und Realität "verschränkt". Jeder Versuch der De- und Rekonstruktion der faktischen Realität wird in den Köpfen konservativer US-Amerikaner*innen, deren Hauptinformationsquelle Fox ist – und das sind nicht wenige –, als Angriff ad hominem verstanden, als Angriff auf ihre Identität. Diese konzeptuelle Vorarbeit war ein integraler Beitrag zur späteren Errichtung der digitalen Echokammern, in denen sich, einem Brutkasten gleich, die Putins, Trumps und Bannons dieser Welt eine sexuell frustrierte Guerilla-Armee heranzüchten konnten, um schlussendlich einen Putschversuch gegen die Vereinigten Staaten von Amerika zu orchestrieren.

Natürlich sind weder Murdoch noch Ailes persönlich verantwortlich für die Taten ihrer Zuschauer*innen, genausowenig ist es Fox als Entität. Die Konsequenz dieser Analyse ist vielmehr die Erkenntnis, dass die letzten 30 Jahre der medientechnologischen Entwicklung einer noch viel detaillierteren, intersektionalen Analyse bedürfen: Wie genau funktionieren diese "Feedbackschleifen" in unserem Gehirn, wodurch werden sie in Gang gesetzt und wie stoppt man sie? Wie müssen wir die Architekturen und Interfaces von Sozialen Netzwerken regulieren, um zu verhindern, dass diese suchtinduzierende Schwächen unseres Gehirns ausnutzen – und wie implementieren wir diese Regulierungen im Hinblick auf Faktoren wie Datenschutz, Informations- und Redefreiheit? Diese und andere Fragen sollten dringend geklärt werden.

Diesen und anderen Fragen muss sich die Forschung dringend widmen, bevor eine kritische Masse der Gesellschaft unwiederbringlich in ihre wirre Parallelrealität abtaucht.

In Teil 1 der Serie "Deus Ex Algorithmo" ging es um die Grundfunktionsweisen Sozialer Medien und ihrer Algorithmen, Teil 2 behandelte, wie und warum in den Sozialen Netzwerken Radikalisierung und Desinformation stattfinden, Teil 3 widmete sich möglichen Auswegen aus dem Dilemma. Teil 4 zeigte auf, mit welchen Methoden wir alle durch digitale Werkzeuge und Plattformen überwacht werden und Teil 5 offenbarte, wie Algorithmen rassistische und sexistische Überzeugungen reproduzieren. Teil 6 beschäftigte sich mit der Ankündigung Apples, lokal gespeicherte Daten auf Endgeräten zu überwachen.

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