Kortizes Symposium 2018, Teil 1

Von Zellfürsorge bis zu musizierenden Gehirnen

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Kortizes Symposium 2018
Kortizes Symposium 2018

Um "Neuronale Perspektiven für den Umgang mit Neuem" ging es Mitte April in Nürnberg bei dem gut besuchten Symposium "Was hält uns jung?". Dies ist der erste Teil des Berichts über ein anregendes Wochenende voller Vorträge.

Es war beileibe nicht die erste Wochenendveranstaltung dieser Art, die Dr. Rainer Rosenzweig und Helmut Fink vom 13. bis zum 15. April 2018 auf die Beine stellten — aber es war die erste, die unter dem Dach von Kortizes stattfand, dem vor einem Jahr neu gegründeten Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs in Nürnberg.

Begrüßung am Freitagabend durch Kortizes-Institutsleiter Rainer Rosenzweig, Foto: © Karin Becker
Begrüßung am Freitagabend durch Kortizes-Institutsleiter Rainer Rosenzweig, Foto: © Karin Becker

Über 250 Interessierte aus dem ganzen deutschsprachigen Raum waren an dem sonnigen Frühlingswochenende ins Germanische Nationalmuseum gekommen, um in den Vorträgen aus Hirnforschung, Psychologie und Philosophie neue Einblicke zu gewinnen und sich mit anderen auszutauschen.

Kundig anmoderiert von Mitgliedern des Kortizes-Teams gaben die elf geladenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwischen Freitagabend und Sonntagmittag Einblicke in die verschiedensten Aspekte von Hirnalterung und neuronalem Jung-Bleiben. Nach ihrem Vortrag stellten sie sich jeweils den vielfältigen Fragen und Anmerkungen des Publikums.

Mensch über Maschine

In seinem Eröffnungsvortrag "Biologie des Geistesblitzes" machte der Neurowissenschaftler und Unternehmensberater Dr. Henning Beck am Freitagabend humorvolle Werbung für das menschliche Hirn. Zwar sei der Computer wesentlich besser, wenn es um fehlerfreie Berechnungen und das schnelle Anwenden von Regeln gehe, die Domäne der Kreativität jedoch gehöre den Menschen und ihren Gehirnen. Und das werde auch so bleiben, ist Beck überzeugt. Denn die Entstehung neuer Ideen sei ohne echtes Verständnis von Konzepten und Bedeutung nicht möglich. Und dies fehle auch den besten aller Algorithmen.

Henning Beck erklärte humorvoll, warum Künstliche Intelligenz menschliche Ideen nicht überflüssig machen wird, Foto: © Karin Becker
Henning Beck erklärte humorvoll, warum Künstliche Intelligenz menschliche Ideen nicht überflüssig machen wird, Foto: © Karin Becker

Wichtig war Beck auch die Vermittlung von Anregungen, wie das menschenspezifische, kreative Arbeiten gefördert werden kann. Eine innere Haltung, die Ideen besonders anlockt, könne als "optimistische Unzufriedenheit" umschrieben werden. Personen, die sich als besonders ideenreich erwiesen haben, seien meist solche, die vielfältig vernetzt sind, etwa zwischen verschiedenen Abteilungen ihrer Firmen.

Trotz der Wichtigkeit von Kommunikation sei Brainstorming in der Gruppe jedoch nur vorbereitend zur Ideenfindung zu empfehlen, also um relevante Fragen und Probleme zu identifizieren. Initiale Ideen zu ihrer Beantwortung und Lösung entstünden dann aber vor allem, wenn Personen leichte Routinetätigkeiten durchführten, bei denen ihre Gedanken auf Wanderschaft gehen können.

Care-Pakete zwischen Zellen

Über die Rolle von Vesikel-Austausch für die Gesunderhaltung von Nervenzellen klärte die Neurobiologin Eva-Maria Albers auf, Foto: © Karin Becker
Über die Rolle von Vesikel-Austausch für die Gesunderhaltung von Nervenzellen klärte die Neurobiologin Eva-Maria Albers auf, Foto: © Karin Becker

Der Samstagmorgen startete mit einem Einblick in eine bisher wenig beachtete Form der Zellkommunikation: die Abgabe und Aufnahme von membranumhüllten Vesikeln. Mit ihnen können eine Vielzahl von biologisch aktiven Substanzen von Zelle zu Zelle transportiert werden. Die in Mainz forschende Neurobiologin PD Dr. Eva-Maria Albers konnte in den letzten Jahren zeigen, dass dieser Prozess auch eine essenzielle Rolle bei der Gesunderhaltung von Nervenzellen spielt.

Albers interessiert sich dabei besonders für die Wirkung von Vesikeln, die von Gliazellen produziert und in benachbarten Neuronen wirksam werden. Gliazellen wurden bis vor kurzem als reine Isolierschicht der neuronalen Fortsätze verkannt. Inzwischen konnte nachgewiesen werden, dass sie auch neuroprotektiv wirken, die Neuronen also in Krisensituationen schützen. Denn über Vesikel übertragen sie Stoffe, die den Nervenzellen helfen ihre Funktion auch dann aufrechtzuerhalten, wenn sie unter zellulärem Stress stehen, etwa bei kurzfristigem Sauerstoff- oder Nährstoffmangel.

Formeln für nicht-alternde Arten

Annette Baudisch sprach über mathematische Modelle für die evolutionäre Vielfalt beim Altern, Foto: © Karin Becker
Annette Baudisch sprach über mathematische Modelle für die evolutionäre Vielfalt beim Altern, Foto: © Karin Becker

Welchen Beitrag die evolutionäre Perspektive und ihre mathematische Modellierung für ein Verständnis des Alterns leisten können, zeigte Prof. Dr. Annette Baudisch, Biodemographin im dänischen Odense, im darauffolgenden Vortrag. Anders als einflussreiche, frühe Arbeiten der theoretischen Evolutionsbiologie vorhersagten, ist Altern keineswegs für alle Arten gleich oder ein stetes Bergab. Vielmehr gibt es Tier- und Pflanzenarten, die partout nicht ins Konzept passen, weil ihre Überlebensraten mit dem Lebensalter nicht etwa sinken, sondern sogar steigen.

Baudisch stellte Aspekte in der Evolution dieser Arten vor, die in den ursprünglichen Konzepten nicht berücksichtigt waren. Für Arten etwa, für die es evolutionär vorteilhaft ist, auch nach der Geschlechtsreife beständig weiter zu wachsen, wie Bäume oder auch Alligatoren, sind biologische Gesetzmäßigkeiten des Alterns außer Kraft gesetzt, die früher für universell gehalten wurden. Neue mathematische Modelle, die Baudisch mitentwickelt, bilden die evolutionäre Vielfalt von Lebensverläufen besser ab.

Gesellig länger leben

Der Ulmer Psychiater Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer – bekannt als Medienkritiker und Autor von "Digitale Demenz" und "Cyberkrank" – sprach am Samstagmittag über das Thema seines neuen Buches: "Einsamkeit – die unerkannte Krankheit: schmerzhaft, ansteckend, tödlich". Wie er klarstellte, ist mit Einsamkeit nicht das vorübergehende und selbstgewählte Alleinsein nach vielen Sozialkontakten gemeint, sondern das Leiden, das Menschen bei unfreiwilligem sozialem Ausschluss empfänden.

Über Einsamkeit als Gesundheitsrisiko referierte Manfred Spitzer, Foto: © Karin Becker
Über Einsamkeit als Gesundheitsrisiko referierte Manfred Spitzer, Foto: © Karin Becker

"Und Einsamkeit ist der Killer Nr. 1," betonte Spitzer. Weil sie enormen Stress erzeuge, sei sie in ihrer chronischen Form als gesundheitlicher Risikofaktor nachweislich bedeutsamer als Übergewicht, Alkohol oder auch das Rauchen. Und Spitzers Analyse zufolge nimmt die Zahl einsamer Menschen zu, verursacht durch die drei Megatrends unserer Zeit: die Singularisierung, die Urbanisierung und die Medialisierung. Als Gegenmaßnahmen empfiehlt er: Soziales Engagement und die Pflege von gemeinschaftlich ausgeübten Hobbys wie Musik, Sport oder Theaterspielen.

Hirnformung durch Musik

Prof. Dr. Eckart Altenmüller sprach anschließend über die Vielzahl von Veränderungen, die das Musizieren in unseren Gehirnen bewirkt. Der Direktor des Instituts für Musikphysiologie in Hannover erklärte, welche Effekte mit modernen Methoden inzwischen vermessen werden können. Die Plastizität des Gehirns zeige sich schon in den innerhalb von Sekunden auftretenden Verbesserungen bei der Effizienz von Synapsen, aber dann umso mehr in Veränderungen, die über Tage, Wochen oder Monate des regelmäßigen Übens zu beobachten sind, von der Vermehrung der Anzahl der Nervenfortsätze bis hin zur Vergrößerung ganzer Hirnareale.

Nicht jedem sei klar, welche sensomotorisch-koordinative und emotionale Höchstleistung das musizierende Gehirn vollbringe, so Altenmüller. Die mit dem Singen oder Spielen eines Instruments einhergehenden Aktivierungen förderten direkt und indirekt Fähigkeiten, die auch in vielen anderen Bereichen des Lebens benötigt werden, wie sprachliches und mathematisches Verständnis, effektive Handlungssteuerung und soziales Miteinander, wie Studien gezeigt haben.

Eckart Altenmüller im Gespräch am Büchertisch, Foto: © Karin Becker
Eckart Altenmüller im Gespräch am Büchertisch, Foto: © Karin Becker

Strengere Regeln für Neurochirurgie?

Einen kritischeren Umgang mit der Tiefen Hirnstimulation (THS) forderte am Samstagnachmittag die Neurophilosophin und Medizinethikerin PD Dr. Sabine Müller von der Charité Berlin. So nützlich die neurochirurgische Implantation von Hirn-Elektroden in der Therapie von Parkinson-Patienten oft sei, so wenig überzeuge die Methode bisher bei anderen Indikationen. So seien zwei gut gemachte, große klinische Studien zu THS bei Depressionen vorzeitig abgebrochen worden, als klar wurde, dass die behandelte Gruppe gegenüber der unbehandelten keinerlei Vorteile hatte.

Umso bedenklicher ist aus Müllers Sicht der Wildwuchs in der Neurochirurgie, die THS bei immer mehr Krankheiten ausprobiere. Ohne vorgeschaltete Tierversuche würden Patienten mit Alzheimer oder den verschiedensten psychiatrischen Krankheiten Elektroden ins Gehirn gepflanzt, in kleinsten Studien ohne Verblindung und ohne Kontrollgruppen. Solche Schwächen beim Studiendesign werfen ethische Fragen auf, vor allem wenn diese wissenschaftlich wenig aussagekräftigen Studien dann noch öffentlich als Erfolge vermarktet werden. Hier seien Patienten viel weniger geschützt als bei den strenger regulierten Medikamentenstudien, so Müller.

 Foto: © Karin Becker
 Foto: © Karin Becker

Der Bericht über die zweite Hälfte der Vorträge folgt in Kürze.