Kortizes Nürnberg

Die Schönheit im Auge des Betrachters erforschen

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Prof. Claus C. Carbon (l.) und Helmut Fink (r.)
Prof. Claus C. Carbon (l.) und Helmut Fink (r.)

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Prof. Claus C. Carbon
Prof. Claus C. Carbon

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Helmut Fink
Helmut Fink

Wie die Wahrnehmungspsychologie ein neues Verständnis ästhetischer Urteile ermöglicht, erklärte der Bamberger Psychologieprofessor Claus C. Carbon anlässlich der brainWEEK Mitte März im Humanistischen Salon Nürnberg. In dem von ihm vorgestellten Gebiet der Empirischen Ästhetik geht es etwa um Varianten der Mona Lisa, neues Produktdesign oder Internettrends.

Was verursacht, dass wir einen Gegenstand hübsch finden oder eine Person anziehend? Wie individuell oder wie allgemeingültig ist diese Wertung? Wie prägt unsere Natur, wie unsere Kultur diese Wahrnehmung? Und welchen Einfluss haben ästhetische Urteile auf Entscheidungen und Moral?

Unter dem Titel "Schönheit, Attraktivität, sexuelle Anziehung – Ästhetische Wahrnehmung aus kognitiver Perspektive" sprach Prof. Dr. Claus C. Carbon am 17. März 2019 vor knapp 50 Gästen im Nürnberger Café PARKS über die Erkenntnisse seines Fachgebietes und seiner Relevanz für Individuum, Wirtschaft und Gesellschaft.

So erläuterte er, dass Schönheit für Menschen hoch relevant sei. "Ästhetische Urteile sind meist die ersten Urteile, die geäußert werden, wenn Menschen nach ihrer Meinung zu etwas befragt werden", erklärte der Psychologe. Man spreche daher auch von "primacy of beauty", also einer Vorrangstellung des Schönen. Und diese habe reale Konsequenzen.

So bestätigten Untersuchungen immer wieder: Wer als hübsch empfunden wird, genießt in seinem Umfeld echte Vorteile und wird bevorzugt. Und das sei als moralisches Problem nicht zu unterschätzen, warnt Carbon. Auch die Übertreibungen, mit denen manche Menschen ihren Idealvorstellungen nahekommen wollen, machte der Bamberger Professor zum Thema.

Denn auch wenn es seit jeher Schönheitsideale gibt und auch Menschen, die ihrer Erreichung höchste Priorität einräumen, versprechen uns Botox und Schönheits-OPs heute einen ganz neuen Grad der Kontrolle über den Eindruck, den wir bei anderen hinterlassen. Das könne sehr ungesunde Formen annehmen. So gebe es auch Menschen, die alle Fotos von ihrem echten Gesicht vernichten und nur noch solche Bilder von sich ertragen, die durch Filter geschoben würden, erzählte Carbon.

Der Bamberger Psychologieprofessor Claus C. Carbon, Foto: © Karin Becker im Auftrag von kortizes.de
Der Bamberger Psychologieprofessor Claus C. Carbon, Foto: © Karin Becker im Auftrag von kortizes.de

Doch die dunklen Seiten unseres menschlichen Dranges nach eigener Schönheit machten nur den einen Teil seines Vortrages aus. Daneben ging es auch etwa um die Rolle der multisensorischen Integration bei der Ästhetik. Dass sein Vortrag dabei von Brunchbuffet und musikalischem Rahmenprogramm von Claus Gebert begleitet war, gehört zum Konzept des Humanistischen Salons Nürnberg, war bei diesem Termin jedoch zugleich eine Analogie zur multisensorischen Integration, die Carbon vorstellte.

Denn bei der Erzeugung unseres Eindrucks von der Welt wirken oft – ohne dass uns dies bewusst wird – mehrere Sinneskanäle zusammen, wie der Referent erklärte. Auch wenn ein Sinn für eine bestimmte ästhetische Bewertung besonders wichtig sei, werde er von Eindrücken aus anderen Sinneskanälen oft erheblich ergänzt.

So wissen Autohersteller inzwischen sehr genau, dass in eine Bewertung neben der Optik auch der Klang der Autotür einfließt. Und Lebensmittelfirmen stellen sich darauf ein, dass für den Eindruck angenehmer Knusprigkeit beim Verbraucher nicht das Mundgefühl allein, sondern auch das gehörte Knuspern im Ohr entscheidend ist. Und dieses Phänomen ist nicht auf Konsumprodukte beschränkt.

Der Internettrend der ASMR-Videos (Autonomous Sensory Meridian Response), bei denen durch leises Flüstern, Klackern oder Knistern intensive Kribbel-Erlebnisse bei manchen Zuschauern erzeugt werden, beruht genauso auf multisensorischer Stimulation. Und auch Kunst- und Architekturgenuss entsteht als ganzheitliches Erleben. So verbindet sich etwa bei der Wahrnehmung eines Raumes der optische Eindruck mit dem Klang unserer Schritte darin.

Dieses Zusammenwirken mehrerer Sinne macht ästhetische Phänomene notorisch schwer zu erforschen. Als hilfreich erweist sich jedoch das mehr als hundert Jahre alte psychologische Konzept der "Gestalt", das die Erfassung von Gesamtharmonie erlaubt, wenn das Ganze in der Wahrnehmung mehr ist als seine Einzelteile.

Die Gestalterkennung stellt sich bei Untersuchung sowohl als evolutionär beeinflusst wie auch als kulturell dynamisch heraus. Entgegen allgemeiner Annahme sei auch der Goldene Schnitt nicht ewig. Ja, er eigne sich gar nicht besonders gut für die Vorhersage, ob etwas als schön empfunden werde, betonte Carbon. Um das zu illustrieren, zeigte er die berühmte logarithmische Spirale nicht nur auf Bildern von anerkannt künstlerischem Wert, sondern auch – zur großen Erheiterung des Publikums – perfekt eingepasst in ein Bild des US-Präsidenten Donald Trump im Profil.

Im Fokus von Carbons Forschung stehen daher auch nicht ewige Formeln für Schönheit, sondern die Dynamik unseres ästhetischen Urteils. Diese zeige sich etwa darin, dass es in christlich geprägten Regionen Unterschiede von Land zu Land gebe, welche Art von Jesus-Bild als prototypisch empfunden wird, erläuterte Carbon. Deutsche wählten dabei meist einen Renaissance-Jesus, der aussieht wie das Dürer-Portrait. In anderen Ländern aber gelten Jesus-Bilder aus anderen historischen Epochen als prototypisch.

Dynamik erhält die Bewertung von Schönheit vor allem durch einen unterschiedlichen Grad der Vertrautheit – etwa mit einem Kunstobjekt. Welche Rolle dieser Faktor spielt, zeigt sich etwa an der bekannten Mona Lisa aus dem Louvre im Vergleich zu ihrer 2012 wiederentdeckten "Zwillingsschwester", die im Museo del Prado in Madrid hängt und deren Farben durch Restaurierung wesentlich frischer wirken.

Zuerst erscheine den meisten Leuten die Mona Lisa aus dem Louvre schöner, erklärte Carbon. Doch sei dies allein ein Effekt der höheren Vertrautheit. Mit gemorphten Zwischenbildern konnte er Menschen sehr schnell an den Anblick des Zwillingsbildes gewöhnen, so dass die Louvre-Version bald nicht mehr als die hübscheste gesehen wurde.

Aber natürlich wird nicht alles Ungewohnte nach einer Phase des Vertrautwerdens als schön(er) empfunden. Weil sich Carbon dafür interessierte, ob sich vorhersagen lässt, bei welchen Objekten das der Fall sein wird, entwickelte er eine Methode, um zukünftige Akzeptanz zu messen: die Repeated Evaluation Technique (RET), bei der Probanden intensiv und wiederholt dem Neuen ausgesetzt werden.

RET lässt den sonst langsam ablaufenden Alltagsprozess der menschlichen Erkundung des Neuen beschleunigt in kürzerer Zeit ablaufen. So können Eindrücke, die zumeist oft nur aufgrund ihrer Neuheit abgelehnt werden, darauf getestet werden, ob sie zukünftig doch eine Chance haben von vielen als attraktiv wahrgenommen zu werden. Das ist natürlich besonders für die Industrie von Interesse, die damit riskante Design-Innovationen verlässlicher auf spätere Akzeptanz testen kann.

Claus Gebert am Klavier, Foto: © Karin Becker im Auftrag von kortizes.de
Claus Gebert am Klavier, Foto: © Karin Becker im Auftrag von kortizes.de

Bis der Humanistische Salon Nürnberg mit seiner Mischung aus Vortrag, Musik und Brunch im Herbst in seine vierte Staffel startet, hat der Veranstalter Kortizes noch etliche andere Veranstaltungen im Programm. So beteiligt sich Kortizes – zusammen mit säkularen Gruppen vor Ort – am Nürnberger Halt der säkularen Buskampagne: Kristina Hänel stellt in diesem Rahmen am 19. Mai in Nürnberg ihr Buch vor: "Das Politische ist persönlich" – das Tagebuch, in dem die "Abtreibungsärztin" über ihren Kampf gegen den §219a berichtet. Im Anschluss daran beginnt am Dienstag, 21. Mai eine Reihe von Buchvorstellungen unter dem Motto "Freier Geist in Fürth" mit Burger Voss, André Sebastiani und Michael Schmidt-Salomon, veranstaltet in Kooperation mit dem bfg Fürth. Mehr zu diesen und weiteren Veranstaltungen finden Sie in der Terminübersicht von kortizes.de.

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