Kolumne

Die Wahrheit liegt irgendwo da draußen

BERLIN. (hpd) Lügen die Medien, weil das die Regierung will? Verheimlichen sie uns relevante Fakten und Meldungen, weil diese den Herrschenden schaden? Gute Fragen, findet hpd-Kolumnist Carsten Pilger und plädiert für eine neue Beschäftigung mit dem höchsten Gut der Informationsgesellschaft: Der Wahrheit. Das ist weniger banal, als es klingt.

Die Wahrheit ist das höchste Gut des Journalismus. Oder zumindest sollte es das sein. Denn oft zählt nicht mehr der Inhalt des Gesagten, da pauschal einzelnen Journalisten oder Sendern und Medienhäusern die Parteinahme für eine gewisse Seite vorgeworfen wird. Zusätzliche Nahrung bekam diese Debatte durch die Äußerungen von Journalisten, die für den WDR und das ZDF gearbeitet haben. Die Chefredaktionen sollen auf Anweisung "von oben" die Berichterstattung beeinflusst haben.

Was ist wahr?

Der Wahrheitsgehalt einer Nachricht wird inzwischen nicht selten von der Position des Sprechers abhängig gemacht. Aufklärerisch ist diese Position nicht, eher voreingenommen. Doch was ist eigentlich Wahrheit?

Dazu hilft ein Ausflug in die Wahrheitstheorien der Philosophie. Für die Frage nach der Wahrheit hat es unterschiedliche Antworten gegeben: Die Konsenstheorie nach Habermas, die – verkürzt gesagt – eine wahre Aussage dann für gegeben hält, wenn sich aufgrund der vorgetragenen Argumente ein Konsens herstellen lässt. Andere haben hingegen argumentiert, dass Wahrheit immer der Unwahrheit vorgezogen werden muss, da ihr praktischer Nutzen als höher einzustufen ist. Theorien, deren praktischer Nutzen allerdings nicht unbedingt für Journalisten gegeben ist.

Die Überprüfbarkeit zählt.

Dieser findet sich eher bei den korrespondenztheoretischen Ansätzen. Der wohl bekannteste Vertreter, Alfred Tarski, stellte eine semantische Theorie der Wahrheit auf, die – erneut vereinfacht gesagt – Aussagen als wahr ansieht, wenn sie mit der Realität übereinstimmen. Der Satz "Schnee ist weiß" ist dann wahr, wenn Schnee weiß ist. Was einfach und selbsterklärend klingt, bringt aber eine Grundvoraussetzung für Journalismus mit sich: Die Grundlage jeder Nachricht sind reale Gegenstände, die sich intersubjektiv nachprüfen lassen müssen.

Ob beim Bericht eines russischen TV-Senders über die angebliche Entführung und Vergewaltigung einer 13-Jährigen, begangen von Asylbewerbern, oder beim über Facebook verbreiteten Gerücht eines verstorbenen Asylsuchenden, der vor dem Berliner LaGeSo zusammengebrochen war – in beiden Fällen gab es Empörung. In beiden Fällen glaubten viele Menschen den Quellen aus unterschiedlichen Motiven. Am Ende stellten sich beide Ereignisse als unwahr heraus.

Fakten statt Fake

Es sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie die Position der Berichterstatter wichtiger geworden ist als die Nachprüfbarkeit einer Nachricht. Vor allem die Sozialen Netzwerke können Unwahrheiten in Sekundenschnelle zu einem viralen Ereignis machen. Dem stellen sich Journalisten und "Faktenchecker" wie Mimikama.at gegenüber. Sie entlarven "Ammoniak in McDonalds-Burgern" oder vermeintliche "Bordellgutscheine für Asylbewerber" mittels der Überprüfung an Fakten als verkürzte, verdrehte Übernahmen aus alten Nachrichten oder gar plumpe Fälschungen. Diese Bemühungen sind gut, aber erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Position des Sprechers für den Wahrheitsgehalt einer Nachricht unerheblich ist.