Gestern Lisa Eckhart, heute Saskia Esken, morgen Müllers Kuh: Täglich gibt es einen Aufreger, über den man sich als Medienmensch mit aller Macht ereifern muss. Unbedingt! Krawallo! Ein Lagebericht.
Heute haben wir uns mal wieder so richtig empört. Viertel nach Acht morgens ließ der Aufreger des Tages noch ein bisschen auf sich warten, der Kaffee in den Redaktionsstuben wurde also direkt getrunken, statt dass Blicke gebannt an Monitoren klebten, dabei verbrühte man sich ein wenig die Lippen, und allein das war schon ein bisschen empörend. Dass wir da nicht längst weiter sind! Wieso gibt es keine Kaffeetassen, die das Getränk erst unterhalb einer gewissen Höchsttemperatur freigeben? Zum Mond können wir fliegen, aber die Astronauten kommen mit verbrannten Lippen da oben an. Die Aliens lachen doch schon über uns.
Naja, da waren wir also schon angemessen vorgenervt, als gegen halb Neun endlich das erste Empörfutter über den Ticker kam. Diese und jene hatte das und das gesagt, und noch einer hatte dütt und datt geantwortet! Hoho, dass die sich das trauen!
Was die gesagt hatten, war hart an der Leitplanke des gültigen Diskurses, er hatte das offiziell Sagbare touchiert, wenn es nicht sogar schon leicht außerhalb gewesen war! Vielleicht hatte da jemand ein winziges Stückchen Turbokapitalismus in Gemein-Eigentum überführen wollen, oder jemand hatte gefunden, dass – rein theoretisch – jeder Mensch Opfer von Rassismus werden könne, ganz gleich, welcher Hautpigmentierung er sei, oder irgendwer Komödiantisches hatte, geschickt in die erwartbare Empörungswelle hinein surfend, einen nicht ganz korrekten Witz rausgehauen – ach, ich weiß schon gar nicht mehr, worum es ging, so sehr haben wir uns in der Redaktion den ganzen Tag um die Wette empört. Erst fing das in einer anderen Redaktion an, die waren ein bisschen schneller gewesen mit dem Empören, das war schon ärgerlich und half aber dabei, uns in die richtige Empörungslage hochzuschrauben, alsbald empörten wir uns in der Redaktionskonferenz richtig in Stimmung, bis die Kaffeetassen flogen und alles beleidigt auseinander lief, dann haben wir von der Redaktion aus einen erfahrenen, bewährten Empöriker angerufen, damit der uns etwas schreibe, und um die Empörung längstmöglich auszukosten, hat Redakteur Muffelkopp gleich noch ein Contra geschrieben, und online haben wir das Empörungswürdige auch gleich offensiv zur Debatte gestellt, um eine paar richtig doll empörte Meinungen aus der Community abzuschöpfen – herrlich war das.
Die Empörung wallte schon gegen Zehn, halb Elf gut hoch, köchelte und kochte dann über den Mittag und den Nachmittag hinweg, so dass wir uns bis zum Feierabend daran laben konnten, und, da wir nie außer Dienst sind, haben wir uns zu Haus nach dem Abendessen noch mal reingeklickt in den Storm, der da tobte, und der durch den Gute-Nacht-Rotwein der Diskutanten noch einmal so richtig angefacht worden war, jetzt galt es!
Jetzt würde jeder und jede noch einmal alles geben, jetzt würde man sich massiv beschimpfen und miteinander überwerfen, jetzt würde man durch entschlossene Bastas den Sieg davontragen – und dann husch ins Bettchen, schlafen, schnarchen, träumen und alles vergessen, um fit zu sein für den nächsten Tag und die nächste Empörung.
7 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Das ist ja empörend!!!
Roland Weber am Permanenter Link
Worüber sich die Menschen empören, sagt einiges über die Gesellschaft aus. Worüber sich die Menschen nicht empören, jedoch viel mehr!
David Z am Permanenter Link
Die ständig Beleidigten werden immer etwas findet, womit sie sich beleidigt fühlen können. Die sind nicht das Problem.
Das Problem sind jene, die vor dem infantilen Empörungssturm der Dauerbeleidigten regelmässig feige einknicken - wider ihrer eigentlichen Überzeugung.
Joe am Permanenter Link
Eckhart, Nuhr und Rebers sind leider die letzten Satiriker, die es noch wagen, sich zwischen sämtliche ideologischen Weltanschauungen zu positionieren, sei es eine rechte, linke oder auch religiöse, ob christlich oder
Satire dieser Art erfüllt eine höchst demokratische Grundfunktion, nämlich die der Kritik.
Wer sich aber einer Ideologie und dazu zähle ich auch Religion, verschrieben hat, ist zumeist weder demokratisch, noch humorvoll eingestellt.
Denn er glaubt ja das alleinseligmachende Allheilmittel in seiner exklusiven Weltrettungsphantasie gefunden zu haben.
Nach dieser persönlichen Facon sollen alle glücklich werden.
Auch diese Revolution wird ihre eigenen Kinder fressen; ein Robespierre wird sich auch diesmal finden lassen.
Allons enfants ...
Stefan Höfer am Permanenter Link
Tatsächlich gilt es hier einen Mittelweg zu finden - ob golden oder nicht; sich einen Weg durch künstliche Dauererregung, bigotte Hysterie und religiöse Impertinenz ("Verletzung religiöser Gefühle") auf der
Gewiß ist es irrsinnig (katholisch?), sich per se über sexuelle Freizügigkeit, Polyamorie oder Pornografie zu erregen. Wie es eine geistig-moralische Bankrotterklärung darstellt (christlich?), nicht für das Ende der kolossalen Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere zu streiten, den Wahnsinn des globalen Fleischkonsums nicht beim Namen zu nennen, der Kriminalität der Massentierhaltung nicht den Kampf anzusagen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Da bin ich ganz bei Ihnen Herr Höfer, man kann auch ohne Fleisch ( Tierleichen ) zu essen sehr gut leben.
Stefan H. am Permanenter Link
Ich bin empört! ;-) Es hat sich ein formeller Fehler eingeschlichen ... Es muß "hinterwäldlerisches ..." heißen (s statt n). Sorry!
S. H.