Was bedeutet "freireligiös"?

Freireligiös ist kein geschützter Begriff und bedeutet nicht nur Mitglied im Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands K.d.ö.R. (BFGD) zu sein, sondern ist auch ein religiöses Bekenntnis, welches sich zwar weitgehend im BFGD entwickelte, aber sich keineswegs nur auf die Mitglieder in dieser, durch Körperschaftsrechten staatlich anerkannten Religionsgesellschaft beschränkt.

Darüber hinaus bedeutet freireligiös für die meisten Anhänger nicht frei von, sondern frei in der Religion und ist auch ein Antonym zu dogmengebundenen Konfessionen. Damit trifft die Bezeichnung freireligiös nicht nur auf religiöse Atheisten, Agnostiker und Pantheisten sowie Pan-en-theisten zu, sondern kann auch eine Verbindung zu den sog. Kulturchristen herstellen, die sich in Opposition zum Herrschaftschristentum nach und nach aus den kirchlichen Bindungen lösen. Schließlich ist der BFGD aus dem Zusammenschluss der Deutschkatholiken mit den Protestantischen Lichtfreunden entstanden und somit aus dem Kulturchristentum hervorgegangen. Über ein entkonkretisiertes Christentum kam es zu einer freien Religion. Freireligiöse Menschen sind deshalb religionskritisch, aber nicht religionsfeindlich. Viele bezeichnen sich als Atheisten, früher je nach sozialem Umfeld auch als Dissidenten oder Heiden, gegenwärtig vermehrt, neben weiterhin Freireligiös, hauptsächlich als Humanisten, vereinzelt noch als Unitarier mit fließendem Übergang zu den religionsskeptischen Freidenkern. So gibt es unter dem Ensemble des BFGD auch Mitglieder, die sich frei von Religion definieren. Es handelt sich dabei meist um Anhänger, die – wie es Carl Amery (1912-1978) einmal ausdrückte, – Religion nur so verstehen und verstehen können, wie der Begriff ihnen jahrhundertelang vom Klerikalfaschismus eingebrannt wurde oder schlichtweg Religion mit Konfession verwechseln.

Der BFGD lässt in seiner pluralistischen Toleranz nicht nur beide Positionen zu, sondern betrachtet ihre dynamische Reflexion zu seinem Wesen gehörend. Für die meisten Freireligiösen gehört aber Religion zum Menschsein wie Sprache und Kunst. Sie bleiben deshalb manchmal auch etwas auf Distanz zu den freidenkerischen Humanisten, mit denen sie jedoch mehr verbindet als trennt. Viele Freireligiöse, ohnehin dem Ethischen Humanismus verpflichtet, sind oft auch Mitglieder in sich humanistisch bezeichnenden Organisationen.

Dass aber nicht alle Freireligiöse in freigeistigen Gemeinschaften organisiert sind, zeigen die Volkszählungen. Z. B. haben 1987 weit mehr Bürger freireligiös angegeben als der BFGD Mitglieder hat. Gleichzeitig ist aber freireligiös nicht für jeden eine Konfession, im Gegenteil, viele Freireligiöse bezeichnen sich als konfessionslos und ihre Religion ist die Philosophie. Paradigmatisch dafür steht die Position des französischen Aufklärers Denis Diderot (1713-1784): „Der erste Schritt zur Philosophie ist der Unglaube“.

Es klingt vielleicht paradox, aber Freireligiöse sind dem Sinn nach Ungläubige, aber dennoch bekennen sich die meisten noch als religiös oder die Philosophie wird zu ihrer Religion. Das macht hauptsächlich auch deshalb Sinn, um den Deutungsanspruch nicht allein den Kirchen und anderen dogmatischen Religionen zu überlassen (1). Dabei vermischt sich Religion mit Philosophie und bedeutet im weitesten Sinne Reflexion von Geist und Gefühl, bei der Orientierung im Dasein. Als ethische Orientierung ist für viele Freireligiöse noch die gefühlsmäßig dominierte, wenn auch entzauberte Religion relevant. Die Begründung dafür liefert der schottische Aufklärer David Hume (1767-1835): „Gefühle sind notwendig, aber nicht hinreichend, um das Moralische zu erkennen, und auch der Verstand ist notwendig in diesem Erkenntnisprozess, aber nicht hinreichend. Denn ohne Gefühle ist der Verstand nicht imstande, Werte zu erkennen und zu Handlungen zu motivieren. Aber beide zusammen, also Verstand und Gefühl, sind grundsätzlich geeignet, das Moralische zu erkennen.“

Mit Steigerung der epistemischen Potenz, wird nach und nach die Religion von der Philosophie abgelöst; gleichwohl gilt die frei zitierte Feststellung: „In einer Welt weiser Männer (und Frauen) ist ein Placebo Gott überflüssig, aber eine Welt weiser Männer (und Frauen) ist genauso utopisch, wie eine gottlose Welt“ (2). Deshalb bedarf es noch Allegorien, welche bei der freien Religion die Dogmen ablösen.

Auch wird Transzendenz nicht auf Theologie beschränkt, sondern philosophisch interpretiert z. B.: durch emotionale Erfahrungen eine immanente Bewusstseinseben zu überschreiten. Sie ist damit nicht irgendeine geheimnisvolle außerweltliche Entität, sondern ereignet sich in der Welt und durch die Welt. So verkürzt und sinngemäß Hubertus Mynarek, der religionslose Atheisten ironisch als transzendenzlose Nomaden bezeichnet, die an der Oberfläche der Dinge haften und derart in die profane Realität eingebunden sind, dass die zum Menschsein gehörende „Selbstüberschreitungsfunktion“ verkümmert oder bis zur Unkenntlichkeit verloren gegangen ist. Diese sehr interessante metaphysische Position, wird allerdings nicht von allen geteilt. Mynarek ist ein, der Freireligiösen Bewegung nahestehender Religionswissenschaftler, der zwar nicht in die Organisation eingebunden ist, aber einen exzellenten Ideengeber darstellt. Er versteht Religion überkonfessionell als Orientierung im Dasein und definiert eine dogmenfreie Religion als umfassenden, ganzheitlichen und transzendierenden Vitalimpuls des Menschen, der sich auf eine geglaubte, gefühlte, erlebte, erfahrene oder gerade als solche negierte letzte Grundwirklichkeit richtet. Metaphysik wird dabei im Kant´schen Sinne als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis begriffen.

Waren im 19. und 20. Jh. die Freireligiösen noch von einer starken Organisation getragen bis hin zu den Sozialdemokraten und den Freimaurern, hat die Gemeinschaft das Kriegsgeschehen nur als Torso überlebt. Nach dem Verbot durch die Nazis, organisierte sich der überwiegende Teil der Mitglieder überhaupt nicht mehr. Wenige sind in den Schoß der Kirchen zurückgekehrt und lebt dort ein entkonkretisiertes Kulturchristentum. Dazu kommt, dass sich die Freigeister in den alten und den neuen Bundesländern der BRD unterschiedlich entwickelten und außerdem gelegentlich noch gezielten Verschwörungstheorien von rechts und links ausgesetzt sind. Das Ganze wird dann noch überschattet durch eine sinnlose Namensdiskussion, die der Befürchtung entspringt, mit einer „christlichen Sekte“ verwechselt zu werden. Viele Freireligiöse der neuen Bundesländer haben sich auch den religionsaversiven Freidenkern angeschlossen. Aber schon vorher hatten sich die kulturpolitischen Aktivitäten der Freireligiösen weitgehend auf die praktische Philosophie verlagert und hier schwerpunktmäßig auf den Kritischen Rationalismus (3), der die Theologie vor sich hertreibt. Für den organisierten Atheismus bleibt nur noch die Auseinandersetzung mit dem erstarkten religiösen Fundamentalismus an den Rändern der Gesellschaft.

Gleichwohl vertreten die Freireligiösen auch heute noch, - nicht ganz erfolglos, - eine autonome statt eine theonome Ethik und wissen dies auch zu begründen. Ihre meta-ethische Position ist dabei der Negative Utilitarismus, den sie dem sog. Weltethos des katholischen Theologen Hans Küng entgegenstellen. So ortet der Religionswissenschaftler Günter Kehrer bei den religiösen und den religionslosen Atheisten hervorragende Einzelkämpfer, deren Wirken sich aber nicht dauerhaft in Organisationen niederschlägt. Das ist schon erstaunlich, blickt doch die Freireligiöse Bewegung auf eine fruchtbare und ethisch durchaus erfolgreiche Vergangenheit zurück. Leider hat der positive Einfluss auf die etablierten Religionen, den christlichen Kirchen mehr genutzt als den Freireligiösen, die mit ihrer konstruktiven Kritik mithalfen, den dogmatischen Konfessionen die Aufklärung auf zu oktroyieren.

Cover des "Lexikon freien Denkens"
Cover des "Lexikon freien Denkens"

Organisierte Kirchenkritik formierte sich allerdings bereits im Vormärz der Bürgerlichen Revolution von 1848. Die Initialzündung ging dabei von einem Offenen Sendschreiben des katholischen Priesters Johannes Ronge (1813-1887) aus, der die Ausstellung des sog. hl. Rockes 1844 verurteilte, den Bischof Wilhelm Arnoldi (1798-1864) zu Trier, der Verbreitung von Aberglaube bezichtigte und ihm zu rief: „Wissen sie nicht, als Bischof müssen Sie es wissen, Jesus hat uns seinen Geist, nicht seinen Rock hinterlassen. Sein Rock gehört seinen Henkern“. Der radikaldemokratische Politiker Robert Blum (1807-1848) veröffentlichte diesen Brief in den vom ihm herausgegeben „Sächsischen Vaterlandsblätter“ und löste damit ein gewaltiges Echo aus, was zur Gründung von Deutschkatholischen Gemeinden führte. Diese vereinigten sich 1859 mit liberalen Protestanten, den sog. Protestantischen Lichtfreunden, zum Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands. Damit steht der Name Ronge symbolisch für die Entstehung der Freireligiösen Bewegung. Er ist zweifellos ein bedeutender Denker des 19. Jh., aber auch eine schillernde Persönlichkeit, wie manche behaupten. Dabei war er weniger ein systematischer Theologe und schon gar kein Religionsstifter im traditionellen Sinne, er war eher ein liberaler und durchaus kämpferischer Aufklärer und Humanist. Seine reformerischen Ideen sind mehr darin zu sehen, dass er die demokratische Revolution in Deutschland als eine religiöse Verpflichtung ansah.

Dabei braucht er einen Vergleich mit Martin Luther (1483-1546) vor oder Hans Küng nach ihm nicht zu scheuen. Obwohl Ronges Position nicht im Geringsten die kulturpolitische Nachhaltigkeit der protestantischen Reformation hat, scheint sein, der Aufklärung verpflichtetes Wirken, heute ethisch bedeutsamer als das geistige Erbe Luthers. Ronge wandte sich entschieden gegen den Antisemitismus, hatte ein positives Frauenbild, kein gestörtes Verhältnis zum Bauernstand und polemisierte auch nicht gegen Homosexualität.

Ronges reformerische Impulse gingen über die Religion hinaus und hatten ein humanistisches Ziel. Er strebte mit einer religiösen auch eine politische Veränderung der Gesellschaft an. Das war ganz im Sinne des Vormärz von 1848. Gerade hierzu gab es aber auch kritische Stimmen, so bezeichnet ihn der gemäßigte und spätere Mitbegründer des Deutschkatholizismus, Johannes Czerski (1813-1893), als einen geschickten Agitator, dem aber zum Reformator die geniale Persönlichkeit und die Tiefe "religiösen Gemüts" fehle. Auf der anderen Seite war er für Karl Marx (1818-1883), welcher folgenschwer Religion mit Konfession verwechselte, sowie für Friedrich Engels (1820-895) nicht politisch genug.

Neben dem Inhalt des Sendschreibens an Bischof Arnoldi, das man als Protest eines Kulturchristen gegen ein autoritäres päpstliches Herrschaftschristentum betrachten kann, ist Ronges Werk, "Das Wesen der freien christlichen Kirche" (erschienen 1847), für sein religionsphilosophisches Denken besonders aussagefähig. Was Ronge darin vorschwebte, war eine Religion in voller freier Wechselwirkung mit dem ganzen Leben - und ihr Atemzug sollte Freiheit und Liebe sein! Wenn er dann von der Freiheit des Geistes und des Herzens schreibt, impliziert dies Religion als höchste Reflexion von Geist und Gefühl, getreu dem Leitspruch der Freireligiösen Bewegung: "Frei sei der Geist und ohne Zwang der Glaube".

Während für Ronge Gott zur Liebe wird, sieht er in der christlichen Herrschaftskirche Religion zur Theologie verkommen. So weist er im Hinblick auf den Protestantismus darauf hin, dass hier Nächstenliebe schnell zur reinen "Werkheiligkeit" wurde und es über Almosen zur Armensteuer kam. "Glaube und Liebe sind im Gesetz erstarrt und Zensur hält die Schlüssel des Himmelreiches". Statt abstrakte Sprachspiele zu formulieren, fordert Ronge eine religiöse Wiedergeburt des Menschen - fortschreitend aber zur politischen und sozialen Reform. Das Christentum betrachtet er dabei nicht als übernatürlich mitgeteilte Offenbarung, sondern als natürlich notwendiges Erzeugnis menschlichen Geistes: "Gott ist uns nicht der außerweltliche transzendente Gott, sondern wir glauben ihn als Wesen allen Seins und Werden". Er wird sehr konkret, wenn er sich in seiner verinnerlichten Toleranz gegen Glaubenshass und Verdammnis Andersgläubiger wendet: "Jeder Glaube ist uns heilig, wenn er aus wahrhafter Gesinnung kommt". Er lehnt damit ein abgeschlossenes "Kirchentum", wie er es nennt ab, spricht von einer Religion des Lebens und der Liebe, die keine, gegen die Würde des Menschen verstoßende Erbsünde kennt. Dabei werden drei Forderungen erhoben:

  1. aktive Religionsfreiheit,
  2. Trennung von Thron und Altar,
  3. freiwilliger Kircheneintritt.

Aber nicht nur seine Kritik an dem Trierer "Götzenfest" und dem Herrschaftschristentum ist für Ronge und das Wirken der Freireligiösen von kulturpolitischer Bedeutung, sondern auch der Einsatz für die Frauenemanzipation und die Gründung von Kindergärten. Die Idee von Kindergärten, in denen sich die Kinder wie Pflanzen, ganz ohne Zwang, nach ihren Fähigkeiten frei entfalten können, geht auf das pädagogische System von Friedrich Fröbel (1782-1852) zurück. Fröbel setzte dem dogmatisch geprägten Erziehungssystem seiner Zeit ein humanistisches Modell entgegen, - natürliche Entwicklung statt "Zucht". So entstand der blumige Begriff Kinder"garten". Ronge nahm die Idee Fröbels auf, setzt sie um und entwarf Grundsätze eines neuen Erziehungswesens. Er forderte bereits damals - Mitte des 19. Jahrhunderts - die Gründung von Kindergärten und Schulen, die frei von konfessionellem und damit ideologischem Zwang sind.

Aber Ronge war über zehn Jahre im Exil im Ausland, und zu Hause entwickelte sich die Freireligiöse Idee weiter. Dabei unterlag der Begriff Religion damals schon unterschiedlicher Interpretation: So stellt sich für aufgeklärte Freigeister immer wieder die Frage: Ist Religion Möglichkeit oder Grenze der Freiheit?

Sicher sind die meisten seiner Ideen und Vorstellungen auch heute noch aufrecht zu erhalten und zu begrüßen, - wahrscheinlich aber nicht mehr alle. Manche sind auch schwer nachvollziehbar, andere nicht widerspruchsfrei zu begründen. Trotzdem wurde Ronge nach seinem Tode als Vordenker der Freireligiösen Idee uneingeschränkt anerkannt und verehrt, sicher auch etwas idealisiert. Dennoch bleibt er neben Robert Blum und Karl Schurz (1829-1906), eine der tragenden Säulen dieser Bewegung und ein mutiger Vorkämpfer für eine liberale Religion im Sinne der Aufklärung und des Ethischen Humanismus - unterstützt durch die Philosophie Ludwig Feuerbachs (1804-1872), der wie Friedrich Nietzsche (1844-1900) ein Zeitgenosse von ihm war. Als überregionale freireligiöse Künder sollen, stellvertretend für alle anderen, hier noch die Professoren Dr. Arthur Drews (1863-1935) und Dr. Bruno Wille (1860-1928) genannt sein.

Gleichwohl war Ronge sicher noch kein Atheist, vielleicht noch nicht einmal ein Freireligiöser im gegenwärtigen Sinne - wahrscheinlich Pantheist. Gleichwohl würde man ihn am treffendsten als einen streitbaren sozialliberalen Kulturchristen bezeichnen können. Religiös vielleicht im Sinne Arthur Schopenhauers (1788-1860), der in der Religion das Kinderkleid der Menschheit sah, von dem man sich beim Erwachsenwerden trennen muss, um nur die Ethik zu bewahren oder auch im Geiste Albert Schweitzers (1875-1965) und Albert Einsteins (1879-1955), bei denen sich Religion in Ehrfurcht und Bewunderung zeigt. Besonders die postmoderne Position des atheistischen Philosophen Ernst Bloch (1885-1977) ist für freireligiöse Menschen bedeutungsschwer. Er wollte die positiven Seiten der Religion erhalten, indem er ihr Hoffnungspotential in einem utopischen Denken weiterführte, um seine sozialistischen Ziele zu verwirklichen. Sicher bewegte er sich jedoch in der Vorstellung eines Ethischen Humanismus, wo Religion als Orientierung im Dasein - in sozialer Gebundenheit - und höchster Reflexion von Geist und Gefühl empfunden wird. Ronge betonte ausdrücklich die Freiheit des Geistes und des Herzens. Sein sozialliberales, ja in diesem Sinne religiöses Engagement, richtete sich hauptsächlich gegen ein reaktionäres, konservatives Herrschaftschristentum. Was Ronge ablehnte, war weder das Christentum, noch die Religion, aber jeglichen Dogmatismus.

Doch das Problem ist viel ernsthafter und hochsensibel. Während der Begriff Religion, der mit vielen Facetten behaftet ist, in der Wissenschaftssprache seiner ethischen Bedeutung wegen noch positiv erscheint, kommt er in der Umgangssprache mehr und mehr in Verruf. Schuld ist der politische Missbrauch durch ideologische Konfessionen. So hat der Islam versäumt, die antike Philosophie zu integrieren, wie es dem Christentum im Mittelalter gelang. Aber auch das Herrschaftschristentum lässt einen pervertierten Religionsbegriff zu. Deshalb gewinnt, neben dem Herrschafts- und Kirchenchristentum, ein Kulturchristentum immer mehr an Bedeutung. Es ist innerhalb, aber auch außerhalb der Kirchen im Entstehen. Der religiöse Fundamentalismus sowie der organisierte Atheismus werden damit zu Randgruppen. Der Grund besteht hauptsächlich darin, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegenüber Religion eher gleichgültig geworden ist, oder in ihr nur noch eine Art Folklore sieht.

Die Religionsphilosophie blickt dabei gegenwärtig auf eine spannende und sehr interessante Entwicklung, bei der ein methodologischer Agnostizismus zu einer "Entkonkretisierung" christlicher Glaubensinhalte führt, - unterschwellig flankiert von einem latenten Atheismus. Entkonkretisierung kirchlicher Dogmen bedeutet, dass die mythologischen Sprachspiele der Theologie nicht mehr wörtlich genommen werden, sondern nur ihrem Sinn nach zu deuten sind. Danach kann Religion als ein System von Glaubenssätzen und Praktiken, mit deren Hilfe eine Gruppe von Menschen mit den letzten Problemen des Lebens ringt, definiert werden. In dieser Interpretation von Günter Kehrer (Erwägen-Wissen-Ethik Heft 1, Jg.25/2014) erhält der Begriff Freireligiös, wenn auch unbewusst, die postmoderne Bedeutung welche das Spektrum für eine freie Religion der Kultur vergrößert. Die Kraft des Glaubens besteht nur in der Wirkung des Placebos und was die Theologie davon ableitet. Wenn die britische Religionssoziologin Linda Woodhead die Frage stellt (hpd 20.5.2014): „Ist „keine Religion“ die neue Religion? zeigt dies wie fortschrittlich der BFGD bereits vor über 150 Jahren war, als er den Begriff freireligiös kreierte und wie kurzsichtig es sein kann auf ihn zu verzichten. Auch für Freireligiöse kann es religiös sein, sich zu keiner Religion zu bekennen, frei nach Friedrich von Schiller: Zu welcher Religion ich mich bekenne? Zu keiner. Warum? Aus Religion!

Wenn „keine Religion“ auch Religion ist, was weitgehend auch der Standpunkt der Freireligiösen ist, lassen sich die ca. 30% Atheisten und Agnostiker in unserer Gesellschaft, also die zahlenmäßig größte Religion, kulturpolitisch nicht mehr so leicht ausgrenzen.

Zum Abschluss ein Beispiel für eine gewisse Nachhaltigkeit der freireligiösen Idee: Das Jahr 2013 stand ganz im Zeichen des 200. Geburtstages von Johannes Ronge, am 16. 10. 2013. Er wurde aber nicht nur von verschiedenen säkularen Gemeinschaften in der BRD begangen, sondern auch in Wroclaw (Breslau), wo man seines großen Sohnes gedachte. Unter dem Motto: "Johannes Ronge - ein Sohn der Stadt Wroslaw und erster Prediger der Christkatholischen Gemeinde Breslau 1845" fand eine polnisch-deutsche Festveranstaltung unter aktiver Unterstützung der Bibliothek der Universität Wroclaw statt. Festrednerin war Renate Bauer, die Präsidentin des Dachverbandes Freier Weltanschauungsgemeinschaften. Unter seinem Dach vereinigen sich organisierte Freireligiöse, Unitarier, Freidenker und sonstige Humanisten.


Anmerkung:

Unter dem Begriff "Freireligiös" sollen sich möglichst alle freireligiös denkend und fühlende Personen finden können. Gleichwohl werden die einen oder anderen Charakterismen nur für Einzelne, nicht für alle zutreffen. Das ist auch gut so, denn es entspricht dem Wesen der Freireligiösen Bewegung. Drei Ansprüche müssten allerding dabei erfüllt sein:

  1. Eine freigeistige Weltinterpretation sollte sich, - solange der religiös-weltanschauliche Deutungsanspruch bei den Religionsgesellschaften liegt, - als Religion repräsentieren.
  2. Die Welt besteht nicht ausschließlich aus weisen Männern und Frauen. (frei nach Goethe: nur alle Menschen machen die Menschheit aus).
  3. Auch die Freireligiöse Bewegung muss sich dem Falsifikationsprinzip des Kritischen Rationalismus aussetzen.

Der Text ist ein Auszug aus der 17. Ergänzungslieferung des "Lexikon freien Denkens" (Ringbuch-Ausgabe Herbst 2017).