Ein ironischer Kommentar

Ehrfurcht vor Gott oder vor der Schulleitung?

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Mit der diesjährigen Einführung der dritten wöchentlichen Religionsstunde an Bayerns Grundschulen hat sich offenbar auch bei den Schulgottesdiensten etwas verändert – zumindest an der Schule meiner Kinder. Zufall? Oder Teil eines größeren Trends?

An dieser öffentlichen Grundschule gab es bislang zwei Gottesdienste im Jahr: einen zum Schuljahresbeginn und einen zum Abschluss. Doch aller guten Dinge sind bekanntlich drei – inzwischen kündigt die Schulhomepage zusätzlich einen Weihnachtsgottesdienst an. Ob demnächst auch noch einer zu Ostern folgt, bleibt abzuwarten.

In den vergangenen Jahren konnte ich meine Kinder problemlos schriftlich von den Schulgottesdiensten befreien – das wurde stets akzeptiert. Die Schulleitung hatte die Eltern sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Befreiung möglich ist. Doch dieses Jahr ist alles anders: Der Hinweis fehlt plötzlich. Dafür tauchen in der Übersicht der Ferien- und Feiertage vier neue Tage auf, "muslimischen Kindern vorbehalten". Der 21. Juni – bislang immer außen vor – bleibt natürlich weiterhin unerwähnt.

Neu ist auch, dass die Schule ihre religiösen Feiern nun als sogenannte "ökumenische Schulgottesdienste" organisiert – mit Beteiligung eines Imams einer muslimischen Gemeinde. Offensichtlich sollen hier neue Synergien entstehen.

Im Oktober dieses Jahres ging am Tag einer solchen Veranstaltung um acht Uhr morgens ein Anruf bei mir ein. Eine Dame, die sich als Schulsekretärin vorstellte, teilte mir mit, sie habe den Auftrag, nach den Gründen zu fragen, weshalb meine Kinder nicht am Gottesdienst teilnehmen sollen. Ich war mehr als überrascht. Die Dame betonte, sie sei persönlich gläubig – sicher ohne missionarische Absicht, vermutlich einfach als freundliche Randbemerkung. Dann erklärte sie, meine Kinder dürften "ausnahmsweise" fernbleiben, die Schulleitung werde sich aber "etwas überlegen". Natürlich, sollte das kein Einschüchterungsversuch sein. So etwas darf man keinesfalls missverstehen.

Ob es wirklich die Schulsekretärin war? Sicher weiß ich es nicht. Jeder kann schließlich vom Schultelefon aus anrufen – die Nummer im Display beweist ja nichts. Und dass ich mich bei der Aussage, der Gottesdienst unterliege der Schulpflicht, vielleicht verhört habe, ist selbstverständlich möglich.

Auch im Elternchat kam es zu Merkwürdigkeiten: Ich meinte, gelesen zu haben, jemand habe geschrieben, seine Tochter dürfe nicht mit in die Kirche gehen. Kurz darauf war der Beitrag gelöscht. Laut der "Sekretärin" habe sie mit der Mutter gesprochen, erklärt, dass ja auch der Imam dabei sei – und nun gehe das Kind eben doch mit. Zufälle gibt's!

Ich würde selbstverständlich nie behaupten, dass solche Anrufe ein Klima von Angst oder Druck erzeugen könnten.

Auf meine Rückrufbitte meldete sich später ein Herr, der angab, der Schulleiter zu sein. Er entschuldigte sich für den Anruf der Dame und erklärte, alles sei ein Missverständnis. Niemand habe Druck ausüben wollen – man habe nur wissen wollen, warum meine Kinder nicht am Schulgottesdienst teilnehmen sollen. Wäre es etwa wegen der Kälte in der Kirche, "lasse man das nicht durchgehen". Weltanschauliche Gründe wollte man gar nicht abfragen.

Der vermeintliche Schulleiter bat mich außerdem, einen angeblichen Beitrag im Klassenchat zu löschen – einen, den ich gar nicht geschrieben hatte. Vielleicht habe ich das alles tatsächlich nur geträumt.

Denn wenn diese Anrufe wirklich von der Schule gekommen wären, müsste man das Verhalten einer staatlichen Institution in einer Demokratie ja als höchst problematisch empfinden – um nicht zu sagen, als säkulare Diskriminierung. Aber so weit würde ich selbstverständlich nie gehen. Zumindest nicht ohne vorher den Elternbeirat um Rat und Unterstützung zu bitten.

Dieser bestätigte schließlich, dass alles ein Missverständnis gewesen sei. Auch die Aussage gegenüber meinem Sohn im Schulsekretariat, er dürfe "ausnahmsweise" dem Schulgottesdienst fernbleiben, sei "unglücklich" formuliert worden. Der Elternbeirat bedauerte das selbstverständlich. Nun ja, Kinder verstehen ja manchmal Dinge falsch.

Zur weiteren Aufklärung teilte er mir noch mit, dass es sich bei dem Gottesdienst "insgesamt um eine ganz nette Veranstaltung für alle Kinder" handle und man sich "die Teilnahme aller wünsche", da ausdrücklich auch die Ethikkinder eingeladen seien – schließlich sei es "einfach als nette gemeinsame Veranstaltung für alle gedacht".

Das war erhellend! Ich war bislang tatsächlich davon ausgegangen, dass Eltern, die ihre Kinder zum Ethikunterricht schicken, eher kein besonderes Interesse an religiösen Feiern haben. Man lernt nie aus. Beruhigt war ich dann, als ich hörte, dass außer mir niemand in der Elternschaft einen "persistierenden Schaden" empfinde.

Die Schulleitung reagierte schließlich wie gewünscht auf meine schriftliche Bitte, die rechtliche Grundlage für die Nachfrage nach Befreiungsgründen mitzuteilen. Und siehe da – die Überraschung war groß: Artikel 131 der Bayerischen Verfassung!

Nicht Lesen, Schreiben und Rechnen stehen dort im Vordergrund, sondern "die Ehrfurcht vor Gott". Das erklärt natürlich einiges. So können die vereinzelten Kinder an der Schule, die laut Aussage einer Lehrkraft in der 3. Klasse noch Schwierigkeiten haben, ihren Namen zu schreiben, wenigstens für ihre Bildung beten.

Mit Erhalt dieses Schreibens erklärte der Elternbeirat seine Zuständigkeit für beendet. Kein weiterer Handlungsbedarf – ich hatte ja eine Antwort bekommen.

Es lebe die Demokratie!

Die Energie, mit der plötzlich dieselben Personen, die früher Befreiungen vom Schulgottesdienst unproblematisch akzeptierten, nun auf Teilnahme drängen, kann ich mir nicht recht erklären.

In Verbindung mit der in Bayern ministeriell veranlassten Erhöhung der Religionsstunden seit diesem Schuljahr ergibt sich an unserer Grundschule zusammenfassend folgendes Bild:

  • mehr Schulgottesdienste im Jahr,
  • der Wegfall der Information zur Befreiungsmöglichkeit,
  • der Wechsel zu "ökumenischen" Feiern unter Einbindung einer muslimischen Gemeinde,
  • die ausdrückliche Einladung der Ethikkinder,
  • die erstmalige offizielle Auflistung zusätzlicher muslimischer Feiertage und
  • telefonische Nachfragen, die aus demokratischer Sicht zumindest fragwürdig sind.

Ob all dies Zufall ist oder Ausdruck eines größeren Trends – fest steht, dass wir gut hinsehen müssen.

Nehmen Kirchenlobbyisten aktuell verstärkt Einfluss an Schulen und versuchen die Kirchen, durch Schulen neue Mitglieder zu gewinnen, während die Austrittszahlen steigen? Gibt es neue Erlasse des Kultusministeriums oder Anweisungen der Schulämter?

Sollten die Veränderungen an unserer Schule kein Einzelfall sein – was ich vermute, aber nicht sicher weiß –, dann verstärkt sich aktuell die staatlich-religiöse Bevormundung, die mir in dieser Ausprägung bislang nicht begegnete. Unterstützen staatliche Schulen die Kirchen nun verstärkt beim letzten Aufbäumen und dem verzweifelten Ringen gesellschaftlich relevanten Einfluss zu behalten?

Sollten sich solche Entwicklungen auch andernorts zeigen, wäre eine grundlegende und längst überfällige Debatte über religiöse Einflussnahme an staatlichen Schulen unabdingbar.

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