Schweiz

Realitätsverlust oder religiöse Verflechtungen beim SRF?

Der Verein Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben hinterfragt den Entscheid von Schweizer Radio und Fernsehen SRF, die Fernsehspots von Exit (Deutsche Schweiz) mit Anita Fetz, Peach Weber und weiteren nicht auszustrahlen. Die Behauptung des SRF, Freitodbegleitungen seien "nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich stark umstritten" zeigt, dass das SRF entweder die Realität nicht kennt oder wegen politisch-religiöser Angst eine von Gegnern der Selbstbestimmung im Leben und Lebensende gerne missbrauchte falsche Behauptung kopiert.

Das Schweizer Radio und Fernsehen SRF lehnte die Ausstrahlung von Fernsehspots von Exit (Deutsche Schweiz) ab. Freitodbegleitungen seien "nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich stark umstritten" und "die Bewerbung der Freitodbegleitung in den Service Public-Programmen (würde) einen nicht unerheblichen Teil des Publikums in seinen Gefühlen verletzen". Was dabei auffällt:

Die Spots sind keine Werbung für die Freitodbegleitung, sondern Aussagen für das Recht auf Selbstbestimmung und persönliche Entscheidungen mit Eigenverantwortung im Leben und am Lebensende – Werte, welche Exit und Dignitas seit vielen Jahren hochhalten und gegen paternalistisch-religiös motivierte Freiheitsgegner verteidigen. Die Worte "Freitodbegleitung" oder "Sterbehilfe" kommen in diesen Spots gar nicht vor.

Angesichts von vielen Umfrageergebnissen, die eine Gutheissung von Selbstbestimmung am Lebensende und Sterbehilfe von bis zu über 80% der Befragten belegen, sowie den Abstimmungsresultaten der beiden kantonalzürcherischen Volksinitiativen "Nein zum Sterbetourismus" und "Stopp der Suizidhilfe!", welche mit wuchtigen 78% respektive 84% der Stimmen bachab geschickt wurden, erscheint die Behauptung des SRF, dies sei "gesellschaftlich stark umstritten" als Realitätsverlust. Dass das SRF in "Schweiz aktuell" vom 15. Mai 2011 über die Abstimmungsresultat berichtete, ist da nur ein Detail: vielleicht hat das SRF auch diese Realität vergessen.

Ebenso realitätsfremd ist die gleichzeitig erhobene Behauptung des SRF, diese Selbstbestimmung sei "politisch stark umstritten". So haben Bundesrat und Parlament nach eingehender Diskussion 2011 respektive 2012 gut begründet dargelegt, der bestehende Rechtsrahmen für die Suizidhilfe sei ausreichend, und der ehemalige Justizdirektor Markus Notter hielt im Zürcher Kantonsrat fest, dass die im Kanton Zürich domizilierten Organisationen – gemeint Exit und Dignitas – korrekt arbeiten.

Die Behauptungen des SRF entbehren somit eines Realitätsbezugs und sind damit für ein Medienunternehmen nicht gerade ein Ausweis für Qualität in der Recherche.

Was noch viel bedenklicher erscheint: Das SRF kopiert mit der Behauptung "politisch und gesellschaftlich umstritten" einen von Gegnern der Selbstbestimmung im Leben und am Lebensende gerne missbrauchten Slogan: Die gleichen Töne hört man aus dem vom katholischen deutschen Moraltheologen Markus Zimmermann(-Acklin) angeführten Schweizer Nationalen Forschungsprogramm "Lebensende" (NFP 67), welches wegen Voreingenommenheit, Intransparenz und fragwürdiger Projektauswahl, Verfilzung mit religiös-konservativen Kräften, mit Fehlern gespickten Publikationen und Missbrauch von Steuergeldern zulasten des Ansehens des Forschungsplatzes Schweiz seit 2013 in der Kritik steht.

Wollte das SRF es vermeiden, vor der Billag-Abstimmung CVP-Kreise zu verärgern, wie der "Infosperber" fragt? Ob dem so ist oder nicht – es wirft ein höchst ungünstiges Licht auf ein Medienunternehmen, welches in einem säkularen Staat der ausgewogenen Berichterstattung und nicht religiös-tendenziösem Lobbying verpflichtet ist. Nachdem ähnliche TV-Spots von Exit vor sieben Jahren für das SRF noch kein Problem darstellten, muss man sich die Frage stellen, ob viele Jahre nach Trennung von Kirche und Staat die Vertreter paternalistisch-religiöser Kräfte mittels Infiltrierung staatlicher Institutionen und verdecktem Lobbying ihre verlorene Macht wieder zurückholen wollen. Religion ist jedoch Privatsache.

Würden sich die deutlich über 100.000 Mitglieder von Exit zusammentun, könnten sie der "No-Billag" Initiative vielleicht zum Durchbruch verhelfen…