"Sarco" und der Ruf nach einem Spezialgesetz für Suizidhilfe – eine Einordnung

vd-sarco-in-room-1.jpg

"Sarco" bei einer Ausstellung
"Sarco"

Bereits im Dezember 2021 erregte die sogenannte Suizidkapsel "Sarco" die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit. Am 23. September 2024 wurde der "Sarco" in einem privaten Waldstück im Kanton Schaffhausen durch die Organisation The Last Resort erstmals eingesetzt, was erneut zu viel Medienberichterstattung führte. Dabei wurde teils ungenau über die Rechtslage und die langjährige Praxis des assistierten Suizids in der Schweiz berichtet; es wurde gar der Ruf nach einem "Sterbehilfegesetz" laut. Eine Einordnung mit Sachkenntnis ist angezeigt.

Eine Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft ist nicht außergewöhnlich

Die Schaffhauser Staatsanwaltschaft hatte bereits vor Wochen eine Untersuchung angekündigt für den Fall, dass der "Sarco" auf dem Gebiet des Kantons eingesetzt würde. Dies wurde in den Medien als außergewöhnlich und teilweise gar als Drohung und Verbot dargestellt.

Fakt ist: Seit jeher untersucht jede kantonale Staatsanwaltschaft mit Unterstützung von Polizei und Amtsarzt bei jedem assistierten Suizid, ob womöglich Artikel 115 des Strafgesetzbuches und weitere Regulatorien verletzt wurden; das heißt insbesondere, ob die Assistierenden aus "selbstsüchtigen" (deutscher Gesetzestext von Artikel 115 StGB) respektive "egoistischen" ("mobile égoïste", französischer Gesetzestext) Motiven handelten.

Dass der assistierte Suizid mit dem "Sarco" der Polizei gemeldet wurde, und auch die darauf folgende staatsanwaltliche Untersuchung entspricht der Rechtslage sowie der jahrzehntelangen gängigen Praxis in der Schweiz im Umgang mit Freitodbegleitungen. Jeder assistierte Suizid gilt als "außergewöhnlicher Todesfall" und wird von den Behörden untersucht.

Im vorliegenden Fall hat die Voruntersuchung durch die Staatsanwaltschaft offenbar zur Eröffnung eines Strafverfahrens geführt. Das bedeutet, dass es jetzt an der Justiz liegt festzustellen, ob der bestehende rechtliche Rahmen eingehalten wurde oder nicht.

Es braucht kein Spezialgesetz für Suizidassistenz

Die Medienberichterstattung rund um den "Sarco" erweckt bei Politikerinnen und Politikern den Eindruck, die Suizidassistenz sei in der Schweiz schlecht oder nicht ausreichend reguliert und es brauche nun ein Spezialgesetz, insbesondere um die Verwendung des "Sarco" zu unterbinden.

Fakt ist: In der Schweiz existiert seit 40 Jahren durch die beiden Schweizer Exit-Vereine, seit 26 Jahren durch DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben und wenige weitere Organisationen die Praxis des professionellen, ärztlich unterstützten assistierten Suizids (auch Freitodbegleitung oder Suizidassistenz genannt) mit ausgebildeten Mitarbeitenden und unter Verwendung des seit Jahrzehnten bekannten Medikaments Natrium-Pentobarbital. Diese Praxis hat sich bewährt und sie wird von der Öffentlichkeit und der Politik gestützt.

Es gibt keine Evidenz, dass diese Praxis unsicher ist oder es zu Missbrauchsfällen oder "Wildwuchs" kommt. Der bestehende Rechtsrahmen ist klar und wird von den Behörden, allen voran der Staatsanwaltschaft, konsequent angewendet. Der Bundesrat befand bereits 2011, dass die allgemeinen Gesetze ausreichend sind, um Missbräuche zu verhindern.

Der "Sarco" wird sich in der Schweiz nicht etablieren

Der "Sarco" beschäftigt wiederholt die Medien und weckt vielerorts eine Mischung aus Ablehnung und Faszination. Auch wenn dem Erfinder des "Sarco", Philip Nitschke, die Schweiz aufgrund der Rechtslage wohl das geeignetste Land zu sein scheint, den "Sarco" zu lancieren, und er dazu eine neue Organisation gegründet hat, ist zu bezweifeln, dass sich diese Methode der Suizidhilfe in der Schweiz etablieren wird und Menschen aus (vielen) verschiedenen Ländern anreisen werden, um auf diesem Weg ihr Leiden und Leben selbstbestimmt zu beenden. Der Einsatz eines technologisierten Geräts wie dem "Sarco", in welchem ein Mensch abgeschnitten von seinem Umfeld und überwacht von Instrumenten sein Leben beendet, scheint kaum der verbreiteten Auffassung von Suizidhilfe im Sinne einer menschlichen, würdigen, umsichtigen und mitfühlenden Begleitung bis zuletzt zu entsprechen.

Fakt ist: Seit Jahren ging und geht es Philip Nitschke – er promovierte 1972 in Physik; Arzt wurde er erst 1989 – und seiner Organisation Exit International darum, Menschen Zugang zu Technik und Wissen zu ermöglichen, mit denen sie selbstbestimmt ihr Leiden und Leben beenden können. Dies insbesondere dann, wenn ihnen professionelle legale Suizidassistenz verwehrt wird. Das ursprüngliche Ziel von Nitschke mit dem "Sarco" ist, dessen 3D-Druck-Baupläne Personen unter bestimmten Voraussetzungen zugänglich zu machen. Damit könnten sie die Selbstbestimmung über ihr eigenes Leidens- und Lebensende zuhause in ihrem Land ausüben und müssten gar nicht erst in die Schweiz reisen.

Die liberale Praxis der Suizidhilfe in der Schweiz ist sicher und hat sich bewährt. DIGNITAS sieht keinerlei Veranlassung, professionelle Freitodbegleitungen in der Schweiz mit einer anderen Methode als der bisherigen durchzuführen.

Mehr Respekt und Mitgefühl statt Paragraphen

Just wenige Stunden bevor der "Sarco" erstmals zur Anwendung kam, äußerte sich Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider zu einer Anfrage zu diesem Apparat im Nationalrat: Ihre Fachleute im Departement gaben ihr vor, der "Sarco" verstoße gegen das Produktesicherheitsgesetz, und der dabei angewandte Stickstoff kollidiere mit dem Chemikaliengesetz. Das ist ein Irrtum. Das Produktesicherheitsgesetz will, dass Produkte, die im Leben verwendet werden, Menschen nicht gefährden. Das Chemikaliengesetz hat zum Ziel, dass Menschen durch Chemikalien nicht zu Schaden kommen. Wenn jedoch ein Gerät wie der "Sarco" genau das Gegenteil will, nämlich dass Menschen mit seiner Verwendung ihr Leben selbstbestimmt beenden können, sind beide Gesetze gar nicht anwendbar.

Fakt ist: Seit der Abstimmung 1977 über die "Volksinitiative Sterbehilfe auf Wunsch für unheilbar Kranke" im Kanton Zürich, die mit über 60 Prozent vom Volk gutgeheißen wurde – notabene entgegen der ablehnenden Haltung von Regierung und Parlament –, zeigt sich, dass die Schweizer Bürgerinnen und Bürger Selbstbestimmung und Wahlfreiheit sowohl im Leben wie am Lebensende schätzen und verteidigen.

In Bundesbern täte man gut daran, statt mit Verbotsgesetzen und Regulierungen den Wünschen der Menschen am Lebensende mehr Respekt und Mitgefühl entgegenzubringen.

Liberalisierung der Suizidhilfe in anderen Ländern angezeigt

Noch immer haben Menschen in zahlreichen Ländern keine legale und sichere Möglichkeit der selbstbestimmten Leidens- und Lebensbeendigung im eigenen Land. Nach wie vor sehen sich daher viele Menschen gezwungen, in die Schweiz zu reisen, um dieses Freiheitsrecht in Anspruch zu nehmen.

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hielt dazu am 18. Juli 2024 treffend fest: "Dass ein Phänomen wie 'going to Switzerland', also der Sterbetourismus, überhaupt existiert, ist ein fundamentales Politikversagen der Länder mit restriktiven Gesetzen. Sie lassen ihre Bürger in einer verzweifelten Situation im Stich."

Fakt ist: Würde anderswo die Politik das Menschenrecht auf Selbstbestimmung über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes wirklich respektieren, so wie dies das Schweizer Bundesgericht 2006 und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2011 festhielten, bräuchte es so etwas wie den "Sarco" gar nicht.

Die Schweiz täte gut daran, Länder, die ihren Bürgerinnen und Bürgern nach wie vor eine legale, sichere Möglichkeit zur Beendigung ihres Leidens und Lebens verweigern, darauf hinzuweisen, dass die Selbstbestimmung über das eigene Lebensende ein Menschenrecht ist.

Unterstützen Sie uns bei Steady!