Rezension

Felix Mitterer zum 70. Geburtstag

Der Tiroler Autor Felix Mitterer zählt zu den Größten der österreichischen, ja der gesamten deutschsprachigen Literatur, es gibt wohl nur wenige Menschen, die mit ihm nicht das eine oder andere persönliche Fernseh-, Theater- oder Hörspielerlebnis in Verbindung bringen. Mit seinen gesellschafts- und oftmals auch sehr religionskritischen Texten war und ist er seiner Zeit weit voraus und damit auch zahlreichen Widerständen und Anfeindungen ausgesetzt.

Bei z.B. "Stigma" (Thema Exorzismus) gab es Aufstände und Wallfahrten, in seiner Autobiografie "Mein Lebenslauf" schreibt er dazu: "Während jeder Vorstellung finden Wallfahrten ... und Messen statt, in denen gegen das Stück gepredigt, aber auch manchmal um mein Seelenheil gebetet wird…." (S. 121). "Die Beichte" thematisiert Kindesmissbrauch durch Kleriker: "Es geht hier um krankhafte, kriminelle Pädophilie, in der Hauptsache geht es um das Zölibat, darauf beharre ich nach den vielen Recherchen" (S. 381). In "Verlorene Heimat" beschreibt er die brutale Vertreibung der Zillertaler Protestanten durch die Katholiken und in zahlreichen weiteren Theaterstücken, Hörspielen und Drehbüchern wird das Thema Religiosität kritisch – oftmals ironisch, feinsinnig humorvoll – abgehandelt, bzw. beleuchtet.

In "'Literarische' Religionskritik anhand ausgewählter Werke von Felix Mitterer" findet man dazu:

"In seinen Werken greift Felix Mitterer häufig die Katholische Kirche an. Auf die Frage, wie er zur Institution Kirche stehe und ob er ein gläubiger Mensch sei, antwortete Mitterer in einem Interview Folgendes: 'Ich stehe sehr kritisch zur Katholischen Kirche, ich kritisiere diese Institution, sie hat viel angerichtet. Aber es gibt keinen Hass oder Antiklerikalismus. Ob ich ein gläubiger Mensch bin, kann ich nicht beurteilen. Obwohl ich vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten bin, kann ich möglicherweise gläubiger sein als ein eingetragener Katholik.' (Mitterer & Demel 1995, S.38)

In seinem Stück Krach im Hause Gott' greift Mitterer die Anliegen der feministischen Theologie auf, was ihm bereits vor der Ausstrahlung des Hörspiels eine Anzeige wegen Religionsverhöhnung einbrachte. Ausgangspunkt für dieses Werk war, dass Mitterer schon seit Jahren das Weibliche an der christlichen Religion vermisste. In diesem Mysterienspiel lässt er deshalb Maria der Männerrunde klarmachen, dass die Menschheit 'in die Irre geht, weil Gott Vater selbst und nach seinem Vorbild die christliche Religion 'das Weibliche' vernachlässigt und verdrängt habe' (Mitterer & Demel 1995, S.114) und will damit sein Publikum auf unterhaltsame Weise mit theologischen Problemstellungen, überhaupt mit den Auswirkungen der monotheistischen Religion konfrontieren.

Auch in seiner Version des 'Jedermann' dient bereits der rüde Ton in den Eingangspassagen – satirisch und ironisch – der Demontage von veralteten religiösen Vorstellungen. 'Persiflierende Bezeichnungen der drei göttlichen Personen' (Mitterer & Demel 1995, S.109) und andere Kraftäußerungen werden bewusst als sprachliche Mittel zur Anprangerung und zum Abbau von religiösen Klischees eingesetzt."

Zu seinem 70. Geburtstag erschien seine Autobiografie "Mein Lebenslauf", die Gerfried Pongratz für den hpd rezensiert hat:

Mein Lebenslauf

Felix Mitterer, ein Name, der jedem Literatur- und Theaterfreund geläufig ist und den wohl auch die meisten Film- und Fernsehfreunde kennen: Als Autor von mittlerweile 50 Theaterstücken, 30 Drehbüchern, 6 Hörspielen und mehreren Büchern; als Träger zahlreicher hoher Auszeichnungen und nicht zuletzt als beeindruckenden Schauspieler – kurzum als Darsteller und Literaten, der zu den bedeutendsten Schriftstellern des deutschsprachigen Raumes zählt.

Jeder einschlägig Interessierte kennt seinen Namen, wer aber – außerhalb seines persönlichen Umfeldes – kennt auch die Person Felix Mitterer? Die zu seinem 70. Geburtstag 2018 erschienene Autobiografie "Mein Lebenslauf" erlaubt erstmals tiefere Einblicke in seinen Werdegang, sein Denken und Arbeiten, sein Fühlen und Wollen. Sie legt dazu auch, wie es sein Freund und Lektor Michael Forcher schreibt, ein weit über einen "Lebenslauf" hinausgehendes Werk zur österreichischen Theater- und Fernsehgeschichte vor. Im Register des Buches scheinen über 700 Namen von Theaterleuten auf, die mit Felix Mitterer und seinem Lebenswerk verbunden sind, im Text des Buches werden lebende, wie auch schon verstorbene Freunde und Mitstreiter mit Dank und Anerkennung gewürdigt, einigen sind eigene Unterkapitel, bzw. berührende Nachrufe gewidmet.

"Ein Bub vom Land wird Dichter" nennt sich das erste Hauptkapitel des Buches, das in ruhiger, jedem Pathos und jeder Dramatik abholder Sprache von einer Kindheit erzählt, die für Außenstehende nur als Drama zu begreifen ist. Felix Mitterer wird als Sohn einer verwitweten Landarbeiterin und eines rumänischen Flüchtlings, den er nie kennenlernt, geboren und direkt nach der Geburt an ein mit der Mutter befreundetes Landarbeiterehepaar, das ihn später adoptiert, "verschenkt". Die ärmliche Kindheit auf verschiedenen Bergbauernhöfen ist hart, arbeitsreich und – abgesehen von Almsommern – auch psychisch extrem belastend (die Adoptivmutter neigt zu Zornausbrüchen und traktiert das Kind immer wieder mit Schlägen und Liebesentzug). Exzessives Lesen – später auch Schreiben – bilden die wichtigste Fluchtmöglichkeit aus bedrückenden Lebensumständen. Nach Absolvierung der Pflichtschulen besucht Mitterer die Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck, verlässt sie vorzeitig und arbeitet ab 1966 beim Zollamt Innsbruck. Seine Nächte gehören (bis heute) dem Schreiben, es erscheinen erste literarische Arbeiten. In den turbulenten 1968er Jahren wird aus dem Träumer ein gesellschaftskritischer Beobachter: "Ich … begann den Verhältnissen auf den Grund zu gehen und die Zusammenhänge zu durchschauen, begann über meine Herkunft nachzudenken und sie anzunehmen…/…dass ich endlich schreiben konnte und wollte über meine Welt, meine Herkunft, meine Menschen; zuerst in Kurzgeschichten, dann in Hörspielen, Stücken und Drehbüchern" (S. 47/48).

1970 werden im ORF erste Beiträge gebracht, 1977 macht er sich als freier Autor selbständig. Als feinfühliger Beobachter und Erzähler schildert er in seinen Werken die Welt der kleinen Leute, der Bedrängten, der Schutzlosen, der Opfer der Allgemeinheit ("…die Opfer sind 'die Anderen'. Und diese 'Anderen' – die Außenseiter, die Ausgestoßenen – sind ein durchgehendes Thema meiner literarischen Arbeit…" (S.154)), mit literarischem Gespür und Humor blickt er den Menschen in die Herzen. Mit seinem ersten Theaterstück "Kein Platz für Idioten", in dem er auch als Schauspieler reüssiert, erlangt Felix Mitterer hohe Anerkennung; es folgen zahlreiche weitere, ebenso erfolgreiche Stücke, sie gehören mittlerweile zu den meist gespielten in Österreich und sehr oft aufgeführten in Deutschland.

Das Kapitel "Chryseldis.Malerin" bildet ein bewegendes literarisches Denkmal von Mitterers späterer Frau Chryseldis Hofer-Mitterer, von ihrem Leben und Werdegang (und, am Ende des Buches, von ihrem tragischen Unfalltod): "Ihre Werke haben ein Geheimnis, das der Betrachter mit dem Herzen versteht, aber nicht formulieren muss, selbst wenn er dazu in der Lage ist" (S.76).

"Erfolge, Erfahrungen, Erlebnisse" beschreibt die Jahre 1978 – 1995, die neben großartigen Erfolgen auch böse Verrisse, Kämpfe und Aufführungsprobleme mit sich bringen. Fernsehproduktionen wie "Die Piefke-Saga" und "Verkaufte Heimat" sorgen für heftige, kontroverse Auseinandersetzungen (und erreichen letztendlich Kultstatus), Theaterstücke wie "Stigma" führen zu Gewaltandrohungen und Hetzkampagnen wegen vermeintlicher Pornografie und Blasphemie, Stücke wie "Karrnerleut", "Besuchszeit", "Die wilde Frau", "Kein schöner Land", "Verlorene Heimat", "Die Kinder des Teufels", "Sibirien" etc. erhalten begeisterte Zustimmung und schroffe Ablehnung ("...so machtvoll kann Theater sein, dass es die Dinge an die Oberfläche bringt, wo es vorher vielleicht nur im Untergrund kochte und brodelte..." (S. 152)), wobei Mitterer auch Anfeindungen verständnisvoll und mit dem ihm eigenen ruhigen Humor begegnet. Sinn und Zweck von Literatur definiert er mit: "Das ist Aufgabe der Literatur. Zu den Leuten kommen. An den richtigen Ort. Dorthin, wo es brennt" (S. 144).

Neben erhellenden Einblicken in die "Werkstatt" und Arbeitsweise eines Literaten, enthält das Buch auch spannende, meist humorvolle Beschreibungen des Theaterlebens mit den oftmals fast unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten bei Finanzierung, Ausstattung, Personalrekrutierung und Produktionen. Letztere besonders an ungewöhnlichen Lokalitäten (z.B. am Gipfel der 2.592 m Hohen Munde – interessant dargestellt im Tagebuch vom 3. August 1983 bis 3. August 1984) oder bei Dreharbeiten, wie z.B. in "Temeswar: Farbige Erzählungen", ermöglichen ein Miterleben und tieferes Verständnis der Vorgänge im und ums Theater, mit all seinen Problemen, Sorgen und Stresserscheinungen.

Die zahlreichen Ehrungen Felix Mitterers und seine (von ihm nicht angestrebte) Rolle als "öffentliche Person" bringen mit sich, dass er häufig um Ansprachen gebeten wird. Das Buch enthält beispielhaft seine Rede zum 150. Geburtstag von Peter Rosegger am 31. Juli 1993 in Alpl (S. 233), die exemplarisch an Roseggers Entwicklung und Dichtung auch Mitterers Denkweisen erfühlbar werden lassen (wobei er neben aller Empathie für Rosegger und sein Werk auch kritische Anmerkungen nicht verhehlt). Die biografischen und dichterischen Parallelen zwischen Rosegger und Mitterer sind unübersehbar und münden in eine Aussage zum Dilemma des Schriftstellers: "Er gehört im Grunde nirgends dazu, sitzt immer zwischen allen Stühlen. Er ist kein Bauer, kein Handwerker; wenn er Erfolg hat, kann er ein bürgerliches Leben führen, aber trotzdem gehört er auch nie zu den Bürgern. Er ist letztlich heimatlos… und sucht sich die Heimat schreibend zurückzugewinnen" (S 237).

"Irland: Schreiben im Land der Dichter": Von 1995 – 2010 lebt und arbeitet Felix Mitterer in Irland, wo er sich gemeinsam mit seiner Tochter Anna in Castlelyons ein schönes Heim schaffen konnte (Anna gestaltet rund ums Haus einen wunderbaren Garten). Zahlreiche hochgelobte Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher (u.a. zwölf "Tatorte") bilden das Ergebnis intensiver Arbeit (z.B. "Abraham", "Die Geierwally", "Krach im Hause Gott", "In der Löwengrube", "Gaismair", "Die Beichte", "Die Hutterer", "Die Weberischen"). Zum in den Volksschauspielen Telfs uraufgeführten Stück "Mein Ungeheuer" merkt Mitterer an: "Ich habe nie autobiografisch geschrieben, obwohl natürlich das eigene Leben in allem steckt, was man schreibt. 'Mein Ungeheuer' ist eine Ausnahme. In diesem Text verbirgt sich das Schicksal zweier Frauen, das meiner leiblichen und das meiner Adoptivmutter, untrennbar miteinander verwoben. Und das tote Kind, das im Schuhkarton von Wirtshaus zu Wirtshaus getragen wird, ist meine Zwillingsschwester, die mir bis heute fehlt" (S. 335).

"Wieder zurück in Österreich" nennt sich das letzte große Kapitel, das die Zeit von 2010 bis heute beschreibt. 2010 kauft Mitterer in Ravelsbach im Weinviertel einen alten Bauernhof, den er mit großer Mühe und fast ruinösem Kostenaufwand renoviert und seit 2011 bewohnt. Seine Leidenschaft und Schaffenskraft zur Literatur sind ungebrochen, seine Liebe zur Kunst bringt "Erholung vom aufdringlichen Lärm unserer Zeit, Erholung von der Bilderflut, die über die Medien auf uns einströmt, Erholung von der Unruhe und Unrast und Hässlichkeit in unserer einstmals heilen Landschaft" (S. 135). Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Agnes ("ohne sie hätte ich die letzten 10 Jahre nicht überstanden") gestaltet er ein intensives, äußerst kreatives Leben, das einerseits großartige neue Werke (u.a. "Passion" in Erl: "eine Passion, wie es sie noch niemals gab und auch nicht mehr geben wird"; "Jägerstätter", "Jakob der Letzte", "Der Boxer", "Märzengrund", "Galapagos", "Luther") hervorbringt und andererseits auch dazu führt, dass er nach 30 Jahren mit großem Erfolg wieder zu spielen beginnt – als Affe in "Ein Bericht für eine Akademie". Am 6. Februar 2018, seinem 70. Geburtstag, verkörperte er die Rolle im Theater in der Josefstadt zum letzten Mal: "Die erste Rolle ein Idiot, die letzte ein alter Aff, das hat doch was. Für mich jedenfalls. Beides durfte ich leben. Und nachfühlen" (S. 450).

Das vorliegende Buch bestätigt die Erfahrungen des Rezensenten und wahrscheinlich der allermeisten Theater- und Literaturliebhaber, dass Felix Mitterer ein begnadeter Dramatiker und wunderbarer Erzähler ist, der in seinen Theaterstücken, Drehbüchern und Hörspielen die Zuseher, Zuhörer und Leser unwiderstehlich in Bann zu ziehen vermag. Seine Werke fesseln inhaltlich, regen zum Nachdenken an, verzaubern – wenn man sie liest, vermeint man, ihn, den Autor, in seinem ruhigen, angenehmen Sprachduktus persönlich vor Augen zu haben. Uneingeschränkte Empfehlung für ein großartiges Buch!

Felix Mitterer: Mein Lebenslauf, Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2017, ISBN 978-3-7099-3425-8, 527 Seiten, 29,90 Euro (AT)