March for Science: Rede von Michael Schmidt-Salomon

"Es gibt keine Alternative zu Fakten!"

Beim diesjährigen March for Science wurde erneut in zahlreichen Orten gegen Wissenschaftsfeindlichkeit und für die Freiheit von Lehre und Forschung demonstriert. Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, beteiligte sich in Trier an der Demonstration und hielt einen Redebeitrag, der folgend dokumentiert wird.

Die großen sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme unserer Zeit sind nicht allein auf die gestiegene Biomasse der Menschheit zurückzuführen, sondern vor allem auf die zu wenig genutzte Hirnmasse. Denn es ist klar: Jede ökologische Nische verträgt nur ein gewisses Maß an Blödheit – und wir Menschen haben den Bogen in dieser Hinsicht gewaltig überspannt. 

Man spricht heute ja gerne von Schwarmintelligenz, doch bei nüchterner Betrachtung lässt sich das aktuelle Verhalten unserer Spezies eher mit dem Begriff "Schwarmdummheit" charakterisieren. Es ist exakt das umgekehrte Phänomen, das wir beispielsweise bei Ameisen beobachten können: Während aus der individuellen Beschränktheit der Ameisen eine kollektive Intelligenz entsteht, resultiert aus der individuellen Intelligenz der Menschen eine kollektive Beschränktheit. Erst gemeinsam sind wir richtig doof! Denn das ist unsere Spezialität: Wir haben Systeme geschaffen, die die Rationalität des Einzelnen mit tödlicher Präzision zur Grundlage eines kollektiven Irrsinns machen, die uns Entscheidungen treffen lassen, die innerhalb des Systems als "klug", ja sogar "vernünftig" erscheinen, obwohl sie in Wahrheit von atemberaubender Dummheit sind.

Angesichts der enorm gestiegenen technischen Möglichkeiten der Menschheit können wir uns eine solche strukturelle Dummheit allerdings nicht mehr leisten. Eines steht nämlich fest: Mit dem Smartphone in der Hand und der Bronzezeit im Kopf lassen sich die großen Probleme der Gegenwart und Zukunft nicht bewältigen! Eine Menschheit, die das Atom spaltet und über Satelliten kommuniziert, müsste die dafür erforderliche intellektuelle Reife besitzen. Wir aber verhalten uns wie Fünfjährige, denen die Verantwortung über einen Jumbojet übertragen wurde.

Apropos: Es ist bezeichnend, dass ein intellektuell Fünfjähriger derzeit der wohl mächtigste Mann der Welt ist, nämlich Donald Trump. Aus wahrnehmungspsychologischer Perspektive bietet das große Kind Trump geradezu ein Musterbeispiel für den sogenannten "Dunning-Kruger-Effekt". Dieser besagt, dass ein Mensch, der besonders wenig Kompetenz besitzt, in der Regel auch nicht die Kompetenz besitzt, zu erkennen, dass er keine Kompetenz besitzt – weshalb er in besonderem Maße von seiner Kompetenz überzeugt ist. 

Treffender lässt sich das Phänomen Trump kaum beschreiben. Und dennoch wäre es falsch, sich diesem Phänomen bloß aus individualpsychologischer Perspektive zu nähern, denn hinter Trumps Verhalten steckt nicht zuletzt auch eine perfide Herrschaftsstrategie. Sucht man nämlich nach dem hervorstechendsten Merkmal Trumpscher Regierungskunst, so ist es die Missachtung sämtlicher Standards der rationalen Argumentation. Die unzähligen Widersprüche in Trumps Aussagen, seine Vorliebe für "postfaktische Argumente", sein Beharren auf "alternativen Fakten", seine Verrisse von juristischen Beweisführungen und naturwissenschaftlichen Belegen – all dies sind keine zufälligen Erscheinungen, in ihnen offenbart sich vielmehr eine gefährliche Aushöhlung des Wahrheitsbegriffs, die für totalitäre Herrschaft typisch ist, denn: "Auf hohlen Köpfen ist gut trommeln" (Karlheinz Deschner). Aber so einfach sollten wir es den Despoten der Erde nun wirklich nicht machen!

In Trumps Welt wird die Güte eines Arguments nicht durch Logik und Empirie bestimmt, sondern durch denjenigen, der die Macht dazu hat, Argumente anzunehmen oder zu verwerfen. Und diese Macht liegt nun bei ihm, was das amerikanische Forschungs- und Bildungssystem schnell zu spüren bekam. "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch", meinte Friedrich Hölderlin – und glücklicherweise trifft dies auch hier zu. Ausgelöst durch Trumps Angriffe hat sich im letzten Jahr eine internationale Bewegung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern formiert, die 2017 erstmals weltweit ihre Elfenbeintürme verlassen haben und zur Verteidigung einer rationalen Streitkultur auf die Straßen gegangen sind. 

Beispielbild
"March for Science" in Trier, Foto: © Florian Chefai

Aus eben diesem Grund haben wir uns heute auch hier in Trier versammelt: Wir wollen klarmachen, dass wir von der Politik – auch von der deutschen Politik! – erwarten, dass sie rationalen, evidenzbasierten Argumenten weit größere Beachtung schenkt, als dies gegenwärtig geschieht. Denn: Es gibt nun einmal keine Alternative zu Fakten! Natürlich kann man sich eine alternative Wirklichkeit zurechtkonstruieren und es mag auch sein, dass eine mathematische unwahre Formel wie 2+2=22 ästhetisch adrett wirkt und vielleicht auch dem einen oder anderen Wähler imponiert. Aber: Auf einer solch falschen Formel lassen sich weder solide Brücken errichten noch Sozialsysteme, die einer größeren Belastung standhalten!

Dass sich der March for Science weltweit vor allem gegen irrationale Formen der Politik richtet, hat einen guten Grund. Denn, um es mal in Anlehnung an den berühmtesten Sohn dieser Stadt (und damit meine ich jetzt nicht Guildo Horn) zu formulieren: Die herrschende Dummheit einer Zeit ist stets auch eine Dummheit der Herrschenden! 

Allerdings reicht es nicht aus, den Blick nur auf das politische Establishment zu richten, denn wir stehen hier letztlich vor einem gesamtgesellschaftlichen Problem. Schließlich geht in der Demokratie alle Dummheit (oder sagen wir einmal: fast alle Dummheit) vom Volke aus! Deshalb haben wir exakt auch die Regierungen, die wir verdienen – was kein allzu gutes Licht auf uns selber wirft.

Als ich vor zwei Jahren an meinem Buch "Die Grenzen der Toleranz" arbeitete, war mir schnell bewusst, dass das eigentliche Problem nicht in einem "Mangel an Toleranz" besteht, sondern in einem "Übermaß an Ignoranz". (Wer vor wenigen Tagen die Sendung "Hart aber fair" gesehen hat, bei der mein Stiftungskollege Hamed Abdel-Samad von einer Dame angegriffen wurde, die sich weigerte, auch nur einen einzigen Blick in seine Veröffentlichungen zu werfen, wird verstehen, was ich meine.) Es ist zweifellos eines der Grundübel unserer Zeit, dass so viele Menschen entweder nicht willens oder nicht fähig sind, zwischen Humanem und Inhumanem, zwischen Recht und Unrecht, zwischen Wahrheit und Propaganda, zwischen Vernünftigem und Widersinnigem zu unterscheiden.

Die Ursachen hierfür liegen nicht zuletzt in unserem Bildungssystem. In unseren Schulen lernen Kinder und Jugendliche zwar ein ganzes Arsenal an oft unnützem Wissen, das sie bald nach den Prüfungen wieder vergessen, nicht aber die intellektuelle Basiskompetenz, um zwischen rationalen und irrationalen Argumenten zu unterscheiden. Klar ist: Wer niemals gelernt hat, dass es einen fundamentalen Unterschied gibt zwischen subjektiven Meinungen und objektiven Tatsachen, der wird in seinem späteren Leben die Bedeutung wissenschaftlicher Beweisführungen nicht zu schätzen wissen – und das muss dringend korrigiert werden!

Allerdings hat sich die Wissenschaft ihren oft schlechten Ruf zum Teil selbst eingebrockt – und auch das muss auf einem Science Marsch angesprochen werden. Ich verweise hier nur auf die vielen "mietbaren Knechte der Wissenschaft", die ihre Forschung so designen, dass die Ergebnisse mit den Interessen ihrer Auftraggeber übereinstimmen. Negative Auswirkungen hat auch die Tatsache, dass im eher konservativ ausgerichteten "Sozialsystem der Wissenschaft" gerade diejenigen, die die "Methode der Wissenschaft" besonders ernstnehmen, häufig ausgegrenzt werden. 

Zudem ist es höchst problematisch, dass viele Forscherinnen und Forscher ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkommen, sondern sich oftmals mit einem geradezu grotesken, sprachlichen Imponiergehabe vom Rest der Gesellschaft abgrenzen. Wissenschaftssprache in diesem Sinne ist eine Perversion der Aufklärung, denn sie führt nicht aus der Unmündigkeit hinaus, sondern in sie hinein. Ich würde mir wünschen, dass sehr viel mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Punkt Karl Popper folgen würden, der in seinem Plädoyer "Wider die großen Worte" darauf hinwies, dass jeder Akademiker, der das Privileg hatte, zu studieren, es seinen Mitmenschen schuldet, "die Ergebnisse seines Denkens in der einfachsten und klarsten und bescheidensten Form darzustellen". So etwas wird an deutschen Universitäten leider nicht gelehrt – und ich meine, es ist allerhöchste Zeit, dass sich dies ändert!

Meine Damen und Herren, gestern wurde unweit dieser Stelle eine derzeit noch verhüllte Marx-Statue aufgestellt. Ich habe mich deshalb dazu entschlossen, meine Rede mit einem Marx-Zitat zu beenden. Es ist zwar weithin unbekannt, kann aber durchaus als eine Art "ökologisches Testament" verstanden werden. Im posthum veröffentlichten 3. Band des "Kapital" schrieb Marx, kurz vor seinem Tod: "Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen."

Von der Verwirklichung dieser Forderung, die Erde "den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen", sind wir heute weit entfernt. Doch es ist kein Naturgesetz, dass der Mensch ein Umweltschädling sein muss. Nehmen wir uns also ein Beispiel an den Ameisen, die auf diesem Planeten eine weit größere Biomasse stellen als wir Menschen, aber weder mit Überbevölkerung noch mit Müllbergen zu kämpfen haben. Sollten wir dazu nicht auch in der Lage sein? Es wäre doch gelacht, wenn die stolzen Mitglieder der Spezies Homo sapiens nicht irgendwann in der Lage sein sollten, ihren Stoffwechsel mit der Natur ähnlich intelligent zu gestalten, wie es die Ameisenvölker schon seit Jahrmillionen tun! Ich bin überzeugt, dass es sich lohnt wird, hieran mit den erprobten Mitteln der Wissenschaft gemeinsam zu arbeiten! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.