BERLIN. (hpd) Jede Gemeinschaft ist zur Festigung ihres inneren Zusammenhalts darauf angewiesen, für besondere Situationen Formen eines gemeinsamen Gedenkens zu besitzen. Das gilt für private, gesellschaftliche und politische Zusammenhänge ebenso wie für einen Staat. Ihm aufgrund fehlender religiös-weltanschaulicher Gemeinsamkeit der Bürgerinnen das Recht auf Gedenkakte abzusprechen, übersieht durch Verkennung der Bedeutung gemeinsamer Rituale wesentliche Erfordernisse gesellschaftlicher und staatlicher Integrationsprozesse.
Die Notwendigkeit des würdigen Gedenkens gilt nicht allein für die Bundeswehr und ihre Toten bei Auslandseinsätzen oder Polizeibeamte, die ihren Dienst mit dem Leben bezahlt haben. Beweggründe für eine Gedenkfeier können durchaus vielfältig sein. Die Bundesrepublik Deutschland begeht regelmäßig wiederkehrende Gedenktage wie den Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, den Volkstrauertag und die Erinnerung an den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni. Zu diesen Anlässen haben sich feste, durchaus säkular geprägte, Formen des staatlichen Gedenkens entwickelt. Dazu zählen Feierstunden im Parlament und die Niederlegung von Kränzen an der Neuen Wache. Die Organisation obliegt öffentlichen Stellen, während die Beteiligung kirchlicher Stellen eher gering ist.
Anders ist aber der Umgang mit Katastrophen wie dem Flugzeugabsturz in Frankreich. Das zeigt sich an der Gestaltung der Trauerfeier im Kölner Dom am 17. März 2015. Auffällig war hier, wie zuletzt auch anlässlich der Beisetzung des früheren Bundespräsidenten Richard v. Weizsäcker, die als Selbstverständlichkeit zelebrierte Mischung eines christlichen Trauergottesdienstes mit einem klassisch säkularen Staatsakt. Die würdevolle Gedenkfeier in Köln mit der Teilnahme aller fünf Verfassungsorgane stand in ihrem ersten Teil als ökumenische Veranstaltung unter der Leitung des katholischen Erzbischofs und der evangelischen Präses.
Diese Gestaltung der Zeremonie wirft aber Fragen auf. Noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts waren rund 95 Prozent der Einwohner der (alten) Bundesrepublik Angehörige der beiden Großkirchen. Gelang es bei besonderen Anlässen die "Glaubensspaltung" zu überwinden, erschien die so dokumentierte Identität von Bürger und Christ noch irgendwie plausibel. Die Grundlagen für diese Gleichsetzung haben sich aber grundlegend verändert. Heute nähert sich der Anteil der Mitglieder der Großkirchen bundesweit der Marke von 50 Prozent; in den Stadtstaaten und in den östlichen Bundesländern liegt er bereits deutlich darunter. Bei großen offiziellen Anlässen schlagen sich diese tiefgreifenden gesellschaftlichen Verschiebungen aber noch nicht nieder. Die Verantwortlichen leiten wohl noch immer aus anlassbezogener Ökumene den Anspruch der christlichen Großkirchen auf Repräsentanz für (fast) alle Bürgerinnen und Bürger ab.
Wir müssen aber heutzutage davon ausgehen, dass auch Trauergemeinden den gesellschaftlichen Wandel zu mehr religiöser und weltanschaulicher Vielfalt widerspiegeln. In Köln war davon allenfalls durch die wenigen Worte einer Muslima und eines Juden etwas zu spüren. Erst nach dem Ende des - katholisch und evangelisch geprägten - religiösen Teils folgte bruchlos der Staatsakt mit der Rede der Ministerpräsidentin Kraft und der vortrefflichen Ansprache von Bundespräsident Gauck. Der christliche Teil verschmolz auf diese Weise mit dem “staatlichen” Bereich zu einer Einheit.
Es ist gerade mit Rücksicht auf die Situation vieler Hinterbliebener in keiner Weise zu beanstanden, wenn Erzbischof Woelki und Präses Kurschus mit Liturgie und Gebeten die Angehörigen ihrer Religion ansprechen. Es wäre gegenüber einer Vielzahl der Trauernden nicht akzeptabel, dieses Gedenken womöglich in irgendwelche öffentlichen Mehrzweckhallen verbannen zu wollen, um so die Trennung von Staat und Kirchen zu dokumentieren.
Ist es aber angemessen, in einem nationalen Trauergottesdienst das christliche Glaubensbekenntnis zu beten und so alle Anwesenden ungefragt für sich zu vereinnahmen? Gab es nicht auch Angehörige der 150 Toten, die von der christlichen Botschaft nicht erreicht werden? Hier genügt es nicht, auf den Staatsakt und die Ansprachen des Bundespräsidenten und der Ministerpräsidentin zu verweisen, die alle Angehörigen gleichermaßen anzusprechen hatten. Menschen ohne Konfession oder mit anderen als christlichen religiösen Überzeugungen leiden aber ebenso wie Christen, Muslime und Juden unter dem furchtbaren Verlust ihrer Liebsten. Ist es daher nicht achtlos, diesen Menschen jene persönliche Ansprache zu versagen, die den christlichen Trauernden sowie, wenngleich in bescheidenem Umfang, auch den muslimischen und jüdischen Angehörigen, zuteilwurde?
Wir sollten als Menschen mit säkularer Überzeugung mit Rücksicht auf die Gefühle anderer und ohne antiklerikale Reflexe darüber nachdenken, wie angesichts wachsender religiös-weltanschaulicher Vielfalt und einer zunehmenden Zahl von Konfessionsfreien derartige - staatliche - Feiern künftig so gestaltet werden sollten, dass nicht länger ein bedeutender Teil der Bevölkerung unbeachtet bleibt.
Gemeinsame Gottesdienste der beiden großen christlichen Kirchen genügen als Rahmen für offizielle Staatsakte nicht (mehr). Das gilt für traurige Anlässe, ebenso wie für Eröffnungen des Parlaments und andere bedeutsame gesellschaftliche Anlässe. Eine Änderung der staatlichen Kultur des Gedenkens richtet sich gegen niemanden. Nationale Trauerfeiern an Stelle überkommener Gottesdienste, in denen die christlichen Kirchen einen Platz behalten sollten, dürfen aber niemanden mehr ausgrenzen.
5 Kommentare
Kommentare
valtental am Permanenter Link
Einspruch Euer Ehren,
Nach den ersten fünf Absätzen des Beitrages, die auf säkulare, staatliche Trauerfeiern verweisen und sich kritisch zur Kölner christlichen Selbstdarstellung äußern, vollführt der Autor anschließend eine seltsame Wende, in deren Ergebnis nicht etwa die Forderung nach einer weltanschaulich neutralen Zeremonie und Ort im Vordergrund steht, sondern das Gewicht auf eine ausreichende Repräsentierung verschiedener Weltanschauungen gelegt wird. Letzteres aber definiert Opfer wie Angehörige zuförderst über ihre Weltanschauung statt über die erlittene Tragödie. Ein Staatstrauerakt sollte deshalb nur an einem neutralen Veranstaltungsort stattfinden, wofür es durchaus auch würdige säkulare Örtlichkeiten gibt, die sich deutlich von "öffentlichen Mehrzweckhallen" unterscheiden. Anstatt die Angehörigen der Opfer und die Anteil nehmende Gesellschaft durch x weltanschauliche Redner zu separieren, sollte ein Staatsakt allein die Tragödie in neutraler Art behandeln. Niemandem wäre im Anschluss oder vorher verwehrt, Gottesdienste an anderem Ort durchzuführen.
Ich empfinde das Abhalten von Staatsakten in religiösem Rahmen und Ort als pietätlose Provokation gegenüber Nicht- und Andersgläubigen.
Jürgen Roth am Permanenter Link
Jetzt kommt mein Widerspruch zu Ihrem Widerspruch:
Haben Sie Dank für die kritische Stellungnahme zu meinem Artikel, der ich aber in der Sache widerspreche. Gerade bei großen Katastrophen steht der Staat nicht für sich allein. Er muss die Gefühle und Wünsche der Hinterbliebenen berücksichtigen. Das heißt aber auch, die Ansprache der Betroffenen kann deren unterschiedliche religiöse bzw. weltanschauliche Haltung nicht einfach ignorieren.
Wenn wir hier nach neutralen Orten suchen und uns mit einer allgemeine gehaltenen - politischen - Lithurgie eines Trostes für alle gleichermaßen begnügen, werden wir den Menschen nicht gerecht. Wir laufen dann sogar Gefahr, die Trennung von Staat und Kirche ideologisch zu überhöhen und sie dann zu Lasten der Betroffenen umzusetzen. Ich halte als Befürworter einer Trennung eine solche Vorgehensweise für nicht angemessen, ja sogar politisch für gefährlich. Wir brauchen ein Gedenken, dass die gesellschaftliche Vielfalt zum Ausdruck bringt, sie nicht aber auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herabstuft.
herzlicher Gruß
Jürgen Roth
valtental am Permanenter Link
Danke für Ihre nochmaligen Ausführungen! Ich kann Ihren Standpunkt nachvollziehen, aber nicht teilen.
Es darf gern auch weltanschauliche Redner geben, aber ohne Kulthandlungen und an neutralem Ort. Dies ermöglicht durchaus das von Ihnen erwünschte Ansprechen unterschiedlicher Weltanschauungen und würde den Menschen sehr wohl "gerecht" werden. Es wäre ein praktikabler und auch würdevoller "kleinster gemeinsamer Nenner", der die von Ihnen und auch mir gewünschte integrierende Wirkung solcher Veranstaltungen auf die Gesellschaft haben würde. Der Staat kann sich aber nicht entgegen seines Neutralitätsgebotes zum Organisator von Gottesdiensten machen. Ich hoffe, dass Sie meinen Standpunkt nicht einfach nur als "antiklerikalen Reflex" abtun.
Ihre Argumente erinnern sehr stark an das jüngst ergangene Kopftuchurteil, wo gleichfalls in einem staatlichen Bereich die Neutralitätspflicht mit dem Verweis auf eine angeblich bessere Integration hinten angestellt wird. Bei staatlichen Akten ist dies wie auch im Kölner Dom m.E. der falsche, ja sogar kontraproduktive Weg.
Wie bei der Kopftuch-Debatte sind auch einige Ihrer Argumente nicht belastbar:
"Gerade bei großen Katastrophen steht der Staat nicht für sich allein." Das Böckenförde-Diktum durfte auch dort nicht fehlen.
"Wenn wir hier nach neutralen Orten suchen und uns mit einer allgemeine gehaltenen - politischen - Lithurgie eines Trostes für alle gleichermaßen begnügen, werden wir den Menschen nicht gerecht." Woher wissen Sie das denn? Und natürlich kann es auch weltanschauliche Redner geben.
"Wir laufen dann sogar Gefahr, die Trennung von Staat und Kirche ideologisch zu überhöhen und sie dann zu Lasten der Betroffenen umzusetzen." Hier haben Sie wieder nur die Religiösen als Betroffene im Blick. Hat ein areligiöser in einer religiösen Zeremonie etwa keine Lasten zu ertragen? Für viele wäre dies eine Zumutung, wie für Christen ein Voodoo-Zauber.
"Ich halte als Befürworter einer Trennung eine solche Vorgehensweise für nicht angemessen, ja sogar politisch für gefährlich." Über diese Gefährlichkeit würde ich gern Näheres erfahren.
"Wir brauchen ein Gedenken, dass die gesellschaftliche Vielfalt zum Ausdruck bringt, sie nicht aber auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herabstuft." Das Gegenteil ist m.E. für staatliches Handeln der bessere Weg: gesellschaftliche Vielfalt (auch im Gedenken) bei Achtung und Wahrung gemeinsamer Übereinkünfte, welche nicht anderes als das Grundgesetz sind, und in diesem Fall Glaubensfreiheit heißen: Niemand darf gegen seinen Willen... Aber wie Sie sehen, man darf doch, sogar von Staats wegen.
Rainer Bolz am Permanenter Link
Eine Frage die mich, bei Kenntnis der angekündigten Trauerfeier sofort beschäftigte:Wurden alle Familienangehörige überhaupt gefragt, ob sie einer religiösen Zeremonie zustimmen?
Unter den Trauernden Angehörigen wollten vermutlich auch nicht alle das Geschwurbel von rituellen Kanibalen vernehmen!
Thomas am Permanenter Link
Weitestgehende Zustimmung für valtental!