Auf hohem intellektuellen Niveau und mit großem Sachverstand erklärt der Publizist und ehemalige österreichische Parlamentarier Niko Alm Begriffe und Sachverhalte zur Religion im öffentlichen Raum, zu Laizismus, zum Verhältnis von Kirche und Staat, zur Religionsfreiheit, religiösen Privilegien etc., über die in öffentlichen und privaten Diskussionen oftmals konfus und wenig fruchtbringend gestritten wird. Er entwirrt zahlreiche damit verbundene Missverständnisse und zeigt Lösungsvorschläge auf.
"Die Beantwortung der Frage, ob es, als Letztbegründung jeder religiösen Lehre und Praxis, Gott gibt oder nicht, darf als abgeschlossen betrachtet werden. Übrig bleibt – als Aufgabe dieses Buches – die Kritik am Verhältnis von Religion und Staat, die sich nicht an die Religion, sondern an die Republik und an eine Politik richtet, die Religion keine Grenzen setzt, sondern sie instrumentalisiert und selbst von ihr instrumentalisiert wird." (Niko Alm: Ohne Bekenntnis. S. 8)
Auf hohem intellektuellen Niveau und mit großem Sachverstand erklärt der Publizist und ehemalige österreichische Parlamentarier Niko Alm Begriffe und Sachverhalte zu Religion im öffentlichen Raum, zu Laizismus, zum Verhältnis Kirche:Staat, zu Religionsfreiheit, religiösen Privilegien etc., über die in öffentlichen und privaten Diskussionen oftmals konfus und wenig fruchtbringend gestritten wird. Er entwirrt zahlreiche damit verbundene Missverständnisse und zeigt Lösungsvorschläge auf; diese münden in die Aussage: "Die Menschen haben die Freiheit und das Recht, zu glauben, was sie wollen und das auch frei zu äußern. Das gedeihliche Zusammenleben fußt auf einer Trennung aller Versuche der Beantwortung metaphysischer Daseinsfragen, die im Privaten stattzufinden hat, von einem Staat ohne Bekenntnis" (S. 242).
Auf 256 Seiten vermittelt der Autor – mit zahlreichen Zitaten und Literaturverweisen – sehr viel Wissen zu den genannten Fragen, die einschlägig Interessierten gerade auch im Hinblick auf derzeitige Entwicklungen im Zusammenhang mit Migration und Integration auf den Nägeln brennen. Das Buch richtet sich an alle Teilnehmer der gesellschaftlichen Diskussion, die das Aufeinanderprallen von Religion und säkularer Gesellschaft einerseits verstehen und andererseits auch gedeihlich gestalten sowie Reibungen in der politischen Debatte vermindern möchten. Niko Alm argumentiert nicht religionsfeindlich ("eine der größten tatsächlichen Leistungen der Religion ist zweifelsohne die Etablierung einer Systematik für das menschliche Zusammenleben, die ethisches Verhalten in moralische Grundsätze und Regeln gerinnen lässt", S. 27), sondern beschreibt sachlich die Probleme, die sich aus der Verflechtung von Politik mit Religion und deren Sonderrechten und Ausnahmebestimmungen ergeben und plädiert für Laizität zu deren Lösung.
In 6 Haupt- und zahlreichen Unterkapiteln erläutert Niko Alm, zum Teil autobiografisch unterlegt, Grundlagen zur Entstehung und Bedeutung von Religionen sowie deren Rolle in Staat und Gesellschaft: "… erst mit der Aufklärung ist es in Europa gelungen, einen Prozess der Säkularisierung in Gang zu setzen, der neben einem größeren Ausmaß an individueller Religionsfreiheit auch ein größeres Ausmaß an Freiheit von Religion ermöglicht". Dass mit Religion Politik gemacht wurde und noch immer wird, ist evident; "wenn man die laizitäre Republik – der Staat überlässt metaphysische Fragen der Privatsphäre und Gewissensfreiheit seiner Bürger, die er beide zu schützen hat – als Idealbild oder zumindest als Verbesserung des derzeitigen Zustands im Verhältnis von Staat und Religion sieht, muss man zum Schluss kommen, dass die Aufklärung noch lange nicht zu einem Ende gekommen ist".
"Religion ist ein untrennbarer Bestandteil der Kultur und Gesellschaft eines Landes" (S. 35). Im religiösen Stufenaufbau der Gesellschaft (echte Gläubige, agnostische Gläubige, Kultur- und Traditionschristen, Atheisten) vollziehen sich starke Veränderungen; der Trend läuft einerseits zu Konfessionsfreiheit (in Deutschland 36 Prozent der Bevölkerung) und andererseits zu religiöser Substitution durch andere spirituelle oder esoterische Angebote; "Glaube an den Glauben" ist nach wie vor sehr präsent, verliert aber an Bedeutung.
In einer Typologie religiöser Problemzonen (Glaubensinhalte, Zuordnungen, Abgrenzungen, Abwertungen, religiöse Widersprüche zur Wirklichkeit etc.) und in der Beschreibung von Religion als "Kulturkitt" vermittelt Niko Alm die Positionen, Erscheinungsformen und Problematiken, die sich aus den Verflechtungen von Politik und Religion auf verschiedenen Ebenen ergeben und zeigt auf, welche notwendigen Maßnahmen sich – ohne Einschränkung individueller und institutioneller Religionsausübung – dazu empfehlen.
"Die Zähmung des Islam in Mitteleuropa" und Fragen zur "Marke Gott" sowie zu "religiöser Korrektheit" mit auch kritischen Ausführungen zu Atheismus und Agnostizismus bilden weitere Themenfelder, wobei es sich als vernünftig erweist, religiöse Dogmen in all ihren Konsequenzen zu hinterfragen. "Kritik an der Grundlage der Religionen ist aber keine Aufgabe des Staates. Seine Aufgabe ist es, die Wahrheitsfindung in der privaten Sphäre zu schützen und den offenen Diskurs in der Gesellschaft zu ermöglichen. Der Staat ohne Bekenntnis darf nicht nur agnostisch sein, er muss sich sogar auf diese theoretische Position zurückziehen" (S. 106).
Religionsfreiheit muss sich nach wie vor gegen den Restwiderstand von Staaten und Kirche durchsetzen, der Begriff hat sich von einer "inklusiven" Religionsfreiheit, die allen Individuen gleichermaßen zustehen soll, zu einer "exklusiven Religionsfreiheit" gewandelt, die organisierten, anerkannten Religionen über die Unantastbarkeit ihres Glaubens dazu dient, gesetzliche Privilegien zu akkumulieren. "Der Staat arbeitet religiöse Problemzonen nur zaghaft auf. Mit dem Verweis auf Religionsfreiheit und dem Recht, religionsinterne Angelegenheiten selbst zu regeln, wird fast jede Kritik neutralisiert" (S. 108).
Das Hauptkapitel "Die Sonderbehandlung von Religion" beschreibt die Geschichte von Staat und Religion, die unvollständige Trennung von Kirche und Staat, die vermeintlichen und tatsächlichen Leistungen der Kirche: "Der kirchliche Leistungskatalog erstreckt sich auf Bildung, Kultur, Sozialbereich und auf eine spirituelle Dimension, die tatsächlich genauso wenig messbar ist, wie der Glaube selbst" (S. 148). Es erläutert zudem "Das synkretistische Staatsreligionenmodell", wie es in Deutschland und Österreich vorherrscht: "…der Staat hebt religiöse Weltanschauungen aus dem Kreis der Lebensphilosophien heraus und verleiht ihnen … einen bevorzugten Status" (S. 150); Kreuze in den Klassenzimmern und Amtsstuben, Gottesbezug in der Verfassung, verpflichtender Religionsunterricht, rituelles Schächten, Beschneidung und katholischer Missbrauch ohne staatliche Reaktion bilden Beispiele. Der Staat "… verhält sich damit nicht indifferent im Sinne der Zulässigkeit und individuellen Beantwortung persönlicher Wahrheits- und Sinnsuche, sondern tatsächlich affirmativ. Gott ist mehr als nur eine Möglichkeit, sonst fände er keinen Platz in so mancher Verfassung" (S. 156).
"Jede moderne Gesellschaft muss damit zurechtkommen, dass Religionen fürs Erste ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Lebens bleiben werden" (Zitat nach Carlo Strenger). Aus dieser Tatsache ergeben sich Konsequenzen, die der Autor eingehend erläutert und zu Überlegungen von "Religion im säkularen Staat" verdichtet: Braucht der Staat eine Metaphysik? Wie weit führen sprachliche Normierungen von Religionen im Staat? Welche Wege führen zum weltanschaulich neutralen Staat und was bedeutet Religion im säkularen Staat? Darf der Staat Religionen ablehnen, darf der säkulare Staat Religionen fördern? Wichtige Fragen, deren Antworten – über Definitionsfragen von Laizität und Laizismus – zu den "Konsequenzen der Laizität" (S. 224) führen. Als Beispiele seien genannt: Laizität beendet weltanschauliche Diskriminierung und Privilegierung! Laizität wirk integrativ (durch Kooperation)! Laizität führt zu verpflichtendem Ethikunterricht: Dieser "… ist kein Ersatzunterricht für Schüler, die sonst keiner Wertediskussion ausgesetzt sind, sondern er ist die einzige Möglichkeit, dass Kinder in einem gemeinsamen Forum Werte als Aushandlungsprozess begreifen lernen" (S. 231). "Das bedeutet nicht, dass Religion völlig aus den Schulen entfernt werden soll oder muss. Im Rahmen anderer Fächer … und natürlich im Ethikunterricht findet Religion nach wie vor Platz. Es werden dort aber keine religiösen Lehren aus der Innensicht vermittelt" (S. 232).
"Das Ende der Religion im Staat ohne Bekenntnis" bildet das Schlusskapitel eines Buches, das in seiner umfassenden und tiefgründigen Darstellung der Problematik der Verflechtungen von Religion, Staat und Politik und in seinem leidenschaftlichen Plädoyer für Laizität seinesgleichen sucht. "Der moderne demokratische Rechtsstaat bedarf keiner Legitimation aus einer religiösen Ordnung der Welt. Er stützt sich selbstbewusst auf universelle Werte, die jede Identifikation mit konkreten Weltanschauungen und Religionen ausschließen" (S. 242).
Ein Buch, das zur Pflichtlektüre aller Politiker sowie aller Kultur- und sonstigen Verantwortungsträger des Staates, aber auch aller an grundlegenden Fragen des Zusammenlebens Interessierten – egal welcher Weltanschauung – gehören sollte!
6 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Der Rezension nach zu urteilen scheint das Buch von Niko Alm wirklich lesenswert zu sein.
Wird aber wirklich das religions-politische "Eine Hand wäscht die andere" aufgearbeitet, das "die Kirchen treiben jenen politischen Parteien die Wähler zu, welche ihre Privilegien erhalten und ausbauen" aufgearbeitet? (In Deutschland: die kath. Kirche treibt ihre Gläubigen zu den C-Parteien, die ev. Kirche zu den Grünen)
Wenn man dem Rezensenten glauben darf, erörtert Niko Alm NICHT die Frage, wie mittels Religion Menschen gesteuert, dressiert und sogar abgerichtet werden. (Beispiel: Christen werden zum Helfen abgerichtet bzw. zum "Christentum in alle Welt tragen", muslimische Mädchen werden zum Kopftuch-tragen dressiert, Muslime allgemein werden abgerichtet zum "Islam schützen", "Islam stärken", "Islam verbreiten").
Solche Fragen sind meiner Ansicht nach hochgradig Demokratie-relevant.
Bilden wir Menschen uns etwa auf unseren Verstand so viel ein, dass wir aus Eitelkeit nicht erkennen, wie leicht wir mit der Verheißung vom ewigen Leben gesteuert und dressiert werden können?
Mit Religion dressiert man Menschen. Gut dressierte/abgerichtete/gleichgeschaltete Menschen errichten gigantische Bauwerke, führen gigantische Kriege, bilden gigantische Staaten. Dieses Muster erstreckt sich von den frühen mesopotamischen Stadtstaaten bis zum heutigen China. Eine undressierte Menschheit zerfällt in viele kleine Grüppchen.
Die Frage sei erlaubt: Liegt die Lösung der Menschheitsprobleme in der Menschendressur per Religion? Wer entscheidet über die Zielsetzung der Dressur? China führt gerade die Menschendressur mit technischen Mittlen (Totalüberwachung) ein.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Hört sich gut an; aber "Gott ist mehr als nur eine Möglichkeit, sonst fände er keinen Platz..." liegt mir etwas quer.
Ist Niko Alm konvertiert? Ich denke, nein.
Enrice am Permanenter Link
Ich denke, dass sie diesen Satz missinterpretieren: er beschreibt den Ist-Zustand, nicht dass subjektive Soll des Autors.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich schrieb ja: "Ich denke, nein."
G.B. am Permanenter Link
Liebe Atheisten: Warum getraut ihr euch nicht ohne die Einschränkung (mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit) zu sagen,<Es gibt keinen Gott> da es doch offensichtlich ist, dass es NIE einen der vielen vo
Götter genant wurden, sie entspringen lediglich der Phantasie und der Angst der Menschen.
Es gab auch in der Antike nie wirklich einen Gott Zeus oder Wotan und dennoch glaubten die Menschen daran. Dieser Götterglaube dient einzig einer Gruppe von Menschen, welche dadurch Macht über die gläubigen Menschen und unsäglichen Reichtum erlangen konnten
und auch noch immer haben.
Es gibt keinen"Himmel" es gibt keine"Hölle" es gibt keine"Teufel" es gibt keine "Engel" es
gibt keine "Heiligen" es gibt nur "Scheinheilige" die andere "Scheinheiligen heilig sprechen.
Es gibt nur Macht und Geldgierige Menschen die uns das Leben zur "Hölle" machen.
Dies sein ohne Ausnahme Kirchen und Glaubensvertreter, welche uns ständig mit Höllenqualen drohen oder uns das Paradies im "Jenseits" versprechen wenn wir nur an Ihren Gott glauben.
Und die Politiker der jeweiligen Länder halten fest zu den uns ausbeutenden Glaubensmachern.
Es gibt mit Sicherheit KEIN Leben nach dem Tod, weder für Tiere noch für Menschen oder für Pflanzen.
Alles was lebt muss wieder vergehen, das ist der Kreislauf des Lebens.
Die Wurzel des Übels aller Religionen ist der Glaube an einen imaginären Gott und damit wird verhindert, das die Menschen als Individuen, ob Frau, Mann, Kind oder alles dazwischen, frei sind und die Menschenrechte weltweit Geltung haben.
Auch im technisch fortgeschrittenen 21sten Jahrhundert werden noch Menschen auf Grund
Ihres Glaubens oder nicht Glaubens verfolgt und gefoltert und auch hingerichtet sowie deren Menschenrechte missachtet und verachtet.
Denkt doch einmal logisch darüber nach, warum ein lieber, allmächtiger Gott es zulässt,
dass auf der Erde, welche er angeblich geschaffen hat Millionen von Kindern an Hunger und Krankheiten sterben, wahrend diejenigen die euch einreden, dass es Gott gibt, in Überfluss und unsäglichen Reichtum leben.
Diese Tatsachen kann man nicht oft genug und weit genug verbreiten um ein Verständnis für die Problematik und das Dilemma in dem die Menschheit steckt zu entwickeln.
Meines Erachtens ist jeder Mensch ein Universum für sich, welches bei seinem Urknall, das heisst beim Eindringen eines Spermiums in die weibliche Eizelle entstanden ist und sich danach ausdehnte bis zu seinem Tod nach dem sein Universum wieder in seine Atomaren Bestandteile zerfällt.
Auch dieses Universum ( Mensch ) wird von Milliarden von Kleinstlebewesen bewohnt, ohne die wir wiederum nicht lebensfähig wären.
Ebenso sehe ich unser vorhandenes Universum als ein Lebewesen, welches exakt nach den
Naturgesetzen lebt und auch wieder stirbt.
Thomas R. am Permanenter Link
"eine der größten tatsächlichen Leistungen der Religion ist zweifelsohne die Etablierung einer Systematik für das menschliche Zusammenleben,"
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"die ethisches Verhalten in moralische Grundsätze und Regeln gerinnen lässt",
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Religion kennt - OFFENSICHTLICH - keine Ethik und folglich auch keine Moral! Wären religiöse Vorstellungen von "gut" und "böse" oder "richtig" und "falsch" Ethik und das aus ihnen folgende Verhalten Moral, gäbe es - per definitionem - keine religiös begründeten Verbrechen. Entsprechendes gilt für ALLE normativen Systeme, die nicht der individuellen Verhaltenssteuerung mit dem Ziel bestmöglicher Leidvermeidung nach dem Grundsatz der gleichen Berücksichtigung gleicher Interessen dienen sollen. Daher ist es UNABDINGBAR, zwischen Ethik und allen übrigen Formen der Normativität zu unterscheiden.
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"Kritik an der Grundlage der Religionen ist aber keine Aufgabe des Staates."
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Sollte es aber sein - auch wenn religiös hirngewaschene Völker leichter zu regieren sein mögen als wissenschaftlich und ethisch gebildete.
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"Seine Aufgabe ist es, die Wahrheitsfindung in der privaten Sphäre zu schützen und den offenen Diskurs in der Gesellschaft zu ermöglichen."
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Um das zu gewährleisten, bedarf es keiner gesonderten Berücksichtigung der Religionen, geschweige denn einer expliziten Religionsfreiheit.
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"Der Staat ohne Bekenntnis"
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Es gibt keinen Staat "ohne Bekenntnis", denn auch er muß sich auf mehr oder weniger zutreffende Aussagen über die Welt und ihre Beschaffenheit beziehen.
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"darf nicht nur agnostisch sein, er muss sich sogar auf diese theoretische Position zurückziehen"
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Keineswegs! Die Existenz der bisher erfundenen Götter ist logisch ausgeschlossen und/oder von der Gesamtheit wissenschaftlicher Erkenntnisse widerlegt. Will "der Staat" nicht lügen, darf er weder religiös, noch agnostisch sein.
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"Darf der Staat Religionen ablehnen,"
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Er MUSS es sogar, denn religiöse Überzeugungen sind falsch, während religiöse Normativität eine umso größere Gefahr für ein Rechtswesen ist, je stärker sie inhaltlich von ihm abweicht.