Erbgut im Dialog

(hpd) Der Biologe und Fachjournalist Jörg Blech kritisiert in seinem Buch „Gene sind kein Schicksal. Wie wir unsere Erbanlagen und unser Leben steuern können“ einen neuen Glauben an die Allmacht der Biologie.

Anhand von Forschungsergebnissen zu den unterschiedlichsten Fragen menschlicher Existenz veranschaulicht er aus der Perspektive der Epigenetik: „Die Gene steuern uns – aber auch wir steuern sie“.

 

Glaubt man Berichten in den unterschiedlichsten Medien, so gibt es für viele geistigen und körperlichen Eigenschaften des Menschen eine rein genetische Veranlagung. Aber auch unter Evolutionsforschern und Soziobiologen kursieren Auffassungen, wonach der Mensch als Reproduktionsmaschine der Gene verstanden werden müsse. Daraus leiten nicht wenige Betrachter einen Determinismus der Erbanlagen ab: Nun sollen die Gene die Gestaltung und Richtung des Lebens vorgeben. Doch lässt sich eine solche Auffassung auch wissenschaftlich belegen? Diese Frage verneint der Biologe und Fachjournalist Jörg Blech, Redakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, ausdrücklich. In seinem Buch „Gene sind kein Schicksal. Wie wir unsere Erbanlagen und unser Leben steuern können“ beruft er sich dabei auf die Ergebnis der Epigenetik. Dieser neuen Richtung der Genforschung geht es darum, dem Einfluss der über den Erbanlagen liegenden Informationen in ihrem Wechselverhältnis mit äußeren Einflüssen nachzugehen.

Anhand der unterschiedlichsten Beispiele zeigt sich für Blech: „Die Gene sind gar nicht die Marionettenspieler, für die wir sie gehalten, haben, und wir sind keine Marionetten. Die Gene steuern uns – aber auch wir steuern sie“ (S. 10). Diese Kernposition will der Autor in den 14 Kapiteln seines Buchs anhand der Forschungen zu den verschiedensten Bereichen menschlicher Existenz belegen. Hierbei geht es um das Antrainieren von Sehfähigkeit unter Wasser, die Entstehung von Krebs und anderen Krankheiten, die Herausbildung unterschiedlicher Intelligenzpotentiale, die Neigung zu Herzproblemen und Übergewicht oder den Umgang mit Arbeitsstress und Depressionen. In all diesen Fällen sei bislang von dem entscheidenden Einfluss der Vererbung ausgegangen worden. Für Blech muss aber anders argumentiert werden: „Dem genetischen Determinismus zufolge waren unsere Geschicke biologisch vorherbestimmt. Doch jetzt hat die Forschung die gegenläufige Erkenntnis gewonnen: Wir sind verantwortlich für unsere Gene“ (S. 50).

Demnach streitet der Autor den Einfluss der Gene gar nicht ab, er geht im Unterschied zur deterministischen Sicht der Dinge aber von einem stärkeren Wechselverhältnis von Genen und Umwelt und von einem damit zusammenhängenden Veränderungsprozess bei den Genen aus: „Die Gene sind wunderbar wandelbar – diese Erkenntnis der Epigenetiker ist revolutionär“ (S. 44). Und weiter heißt es: „Denn das Erbgut ist formbar und führt einen ständigen Dialog mit der Umwelt. Seine epigenetischen Markierungen durchleben einen beständigen Wandel“ (S. 45). Demnach könnte auch die gesellschaftliche Umwelt bzw. die individuelle Verhaltensweise Einfluss auf die Wirkung der Gene nehmen. Persönliche Beziehungen und soziale Erfahrungen veränderten die Art und Weise der Arbeit von Genen im Gehirn. Menschliches Verhalten ist demnach für Blech keineswegs biologisch fixiert, sondern vielmehr durch kulturelle Einflüsse wandlungsfähig: „Unser Leben ist weit weniger vorbestimmt, als wir immer dachten“ (S. 264).

Blech legt als ausgewiesener Fachjournalist ein gut verständlich geschriebenes Buch zu einer komplizierten Materie vor. Informativ und sachkundig referiert er diverse Forschungsergebnisse, die weit verbreiteten Auffassungen von biologisch vorbestimmten Verhaltensweisen der Menschen widerlegen. Der Autor formuliert darüber hinaus aber auch eine interessante Deutung zur Wirkung einer solchen Sicht: „Und doch erscheint die Genetik vielen Menschen wie eine neue Religion. Ihr Schicksal, so denken sie, habe sich in ihren Genen bereits entschieden. Der Glaube an die Allmacht der Biologie spendet Trost und schenkt Entlastung“ (S. 255). In der Tat weist der Glaube an die Allmacht der Gene formale Gemeinsamkeiten mit dem Glauben an die Allmacht eines Gottes auf. In beiden Fällen behauptet man, den Schlüssel zur absoluten Erkenntnis gefunden zu haben. In beiden Fällen meint man, den vorgegebenen Weg gewiesen zu bekommen. Demgegenüber erinnert Blech im besten aufklärerischen Sinne an die Wandelbarkeit von Geist und Genen.

Armin Pfahl-Traughber

Jörg Blech, Gene sind kein Schicksal. Wie wir unsere Erbanlagen und unser Leben steuern können, Franfurt/M. 2010 (S. Fischer-Verlag), 286 S., 18,95 €