Drei Einblicke in den Alltag

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"Glaube" / Photos: Arno Declair

BERLIN. (hpd) „Glaube Liebe Hoffnung“, so heißt das Theaterstück, das im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Geschichten von hier“ am vergangenen Freitagabend im Deutschen Theater vorgeführt wurde. Drei unterschiedliche Geschichten wurden aus dem Berliner Großstadtleben aufgegriffen. In allen dreien spielen Glaube, Liebe und Hoffnung eine Rolle, balancieren sich gegenseitig auf unterschiedliche Art und Weise aus.

Glaube, Liebe, Hoffnung gelten als christliche Tugenden: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (1. Kor. 13,13). Der Titel des Stückes übernimmt die Bezeichnung eines Dramas von Ödon von Horvaths von 1932, das den Untertitel "Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern" hatte. Während Horvaths die Situation seiner Zeit in einer Frauenfigur bündelt, verlegt Regisseur Frank Abt die zeitgenössischen Szenen in drei verschiedene Sequenzen, die jedoch von den gleichen Schauspielern gespielt werden.

Glaube

Der kleine Theatersaal im Deutschen Theater ist gefüllt, alt und jung weichen auf die seitlichen Stufen aus. Das Bühnenbild wird langsam zum Publikum gedreht, ein einfach eingerichtetes Wohnzimmer mit Sofa, Tisch, Stühlen, Bildern und einem Kreuz kommt zum Vorschein. Stille.

Der Schauspieler Alexander Khuon steht im Zimmer, betrachtet das Kreuz, nimmt es ab und stellt sich direkt vor das Publikum, mustert einzelne Zuschauer. Immer noch Stille, die Spannung steigt. Dann: „Ich bin katholisch aufgewachsen“. Er fängt an, seine Geschichte zu erzählen. Von seiner Konvertierung zum Judentum, warum gerade das Judentum und nicht der Islam, die Reaktion seiner Eltern, und die Beschneidung. „ Der Schmetterlingsschnitt, dessen Naht eine Woche nach der Operation durch unzählige Erektionen immer wieder aufplatzte.“ Das Publikum ist amüsiert.
Er erzählt, wie er seine russische Frau kennen lernte hier in Berlin, und zum orthodoxen Judentum wechselte. Wie die Tora sein Leben regelte, bis hin zu seinem Eheleben, wann sie Sex haben durften und wie der Toilettengang zu verrichten sei. Doch ohne diese geregelte Distanz in seiner Ehe, ohne den Glauben, wäre die Ehe zerbrochen, so seine Überzeugung. Eine Geschichte, wie er freiwillig den Glauben sein Leben bestimmen lässt, erzählt voller Selbstironie und Ernsthaftigkeit. Kaum Bewegung auf der Bühne, nur seine klare Stimme, die geübt darin sein zu scheint, eine Geschichte zu erzählen - sie ergreift einen, stimmt einen nachdenklich und verklingt erst, als das Bühnenbild sich zu einer Wand wandelt.

Liebe

Die zweite Geschichte beginnt. Ein Liebespaar turtelt vor der Holzwand, erzählt dem Publikum von ihrer Beziehung. Sie drucksen herum, diskutieren, wer erzählt was. Dazwischen ihre Liebesanfälle. Im Internet haben sie sich kennen gelernt. Platt präsentieren sie ihre Privatsphäre. Sie klammern sich an die Hoffnung, endlich ihren Lebenspartner gefunden zu haben, sprechen pragmatisch über ihre Eigenschaften, die sich bequem zusammenfügen lassen, präsentieren ihre neue ausgewählte, gemeinsame Identität.
Es ist das nervenaufreibende und oberflächliche Gehabe eines Paares, das seine privaten Macken und Stärken nutzt, um das Publikum zu unterhalten, mit Erfolg. Es wird viel gelacht, auch wenn es nicht jedermanns Humor entspricht.

Aber auch diese Szene präsentiert eine Geschichte aus dem Großstadtleben in Berlin. Der verzweifelte Versuch in der anonymen Masse an die Liebe zu glauben und die Hoffnung nicht aufzugeben, seine Liebe zu finden - auch wenn das Internet nicht gerade der romantischste Ort dafür ist. Es erlaubt einem die gezielte Auswahl, den maßgeschneiderten Lebenspartner zu suchen - nicht zu hübsch, aber sensibel und nicht dumm und wenn es geht, einigermaßen erfolgreich. Möbel- und Musikgeschmack sollten passen, den Konflikt über den Kater als Haustier erträgt man gerade noch - der war sowieso zu alt und verschwand spurlos.

Hoffnung

Alexander Khuon ist wieder alleine auf der Bühne, seine Partnerin Natali Seelig verschwindet. Er erzählt etwas Altkluges über Projektion und Fetisch im Internet. Sie kommt als alte Frau wieder auf die Bühne. Die Szenen fließen ineinander, noch sind sie körperlich ein Paar, doch schon tauchen sie in die nächsten Rollen - er spielt einen Journalisten, der eine alte Dame deutscher Herkunft interviewt.
Der Übergang ist raffiniert gemacht. Das Zimmer wird wieder zum Publikum gedreht. Natali Seelig spielt jetzt die Hauptrolle der alten Dame. Auch sie stellt sich vor das Publikum und mustert es schweigend. Dann beginnt sie zu erzählen, vom Krieg, von der DDR, von ihren Töchtern, von ihrem Mann, von den Reisen- von den Hochs und den Tiefs und immer wieder der beharrliche Wille durchzuhalten, nach vorne zu schauen, sich über Wasser zu halten.
Sie lebt jedoch schon längst nicht mehr in der Gegenwart, beginnt zu vergessen, die Fragen des Journalisten holen sie ins Jetzt zurück, immer schweift sie wieder ab in die Vergangenheit. Ja, sie habe jetzt ein Zuhause, wenn gleich etwas einsam, aber damit komme sie schon zurecht, sie sei schon mit vielem zurecht gekommen und es gehe ihr ja sonst gut, außer der Einsamkeit habe sie ja sonst nichts zu beklagen. Die Liebe ist schon lange tot, der Glauben ist auch schon etwas angebrochen, doch die Hoffnung, die stirbt zuletzt. „Du schaffst es“, bloß nicht versagen.

Natali Seelig spielt ihre Rolle gut. Man taucht in die Welt der alten Dame ein, ist berührt von ihrem Lebenswille, mitgerissen von ihren Hürden, die sie überwunden hat, etwas verwirrt von seiner Zuneigung gegenüber dieser alten Dame die zugleich auch Zeugin und Mittäterin des deutschen Reiches ist. Ihre Einsamkeit bedrückt und ruft einem all die alten Leute ins Gedächtnis, die in Vergessenheit geraten. Vielleicht denkt der ein oder andere an seine eigene Mutter oder Großmutter, die er zurückgelassen hat.

Am Ende ertönt auf Tonband das reale Interview, auf dessen Geschichte die Szene basiert. Geschichten von hier- die Auswahl war treffend. Die kulturelle und religiöse Seite, die globale und die geschichtliche Seite Berlins, der Generationswandel und der Wertewandel wurden anhand von drei Szenen dargestellt. Alle drei verbinden Glaube, Liebe und Hoffnung, ob mit Humor oder Ernsthaftigkeit - die alltägliche Vielfalt einer deutschen Großstadt wie Berlin wurde dargestellt. Wenn auch nur in Ansätzen, da doch viele, vielleicht auch zu heikle Themen ausgelassen wurden. Ein relativ bequem zu verdauendes Theaterstück eben, das zumindest dem Anspruch Geschichten von hier in nur knapp zwei Stunden wiederzugeben, gerecht wird. Der zweite Teil „ Kapitulation“ folgt.

Theresa Siess

Deutsches Theater, Berlin: „Geschichten von hier - Glaube Liebe Hoffnung“, ein Projekt von Frank Abt / Bühne Anne Ehrlich / Kostüme Katharina Kownatzki / Dramaturgie Meike Schmitz / Interviews Dirk Schneider / Besetzung: Alexander Khuon, Natali Seelig

Weitere Termine: 22. Oktober 2010 (20.30 - 21.45 Uhr), 23. Oktober 2010 (20.30 - 21.45 Uhr)