Stuart Wie sieht es mit den Schulen aus? Würden die Lehrer dem richtigen Glauben angehören müssen?
Rapsch: Wir haben zwar einige Schulen, die der Kirche gehören, allerdings sind diese in der Minderheit, da die meisten Schulen durch den Staat verwaltet werden. Aber doch, ja, sobald Du bei einer kirchlichen Organisation angestellt bist, musst Du deren Glaubensrichtung angehören. Derzeit gehören ca. 80 bis 90% aller sozialen Einrichtungen in Deutschland der Kirche. Als Atheist muss man also entweder heucheln und vorgeben evangelisch oder katholisch zu sein und Kirchensteuer zahlen oder damit rechnen, keine Arbeitsstelle zu bekommen.
Stuart: In Krankenhäusern ist das ziemlich kritisch, oder? Denn es gibt ja viele kirchliche Krankenhäuser. Wenn es nur wenige kirchliche Schulen gibt, kann ein Lehrer ja „Nein, Danke, ich arbeite lieber in einer anderen Schule“ sagen. Aber als Chirurg in einer Klinik hätte man weniger Wahlmöglichkeiten.
Rapsch: Ich glaube nicht, dass die Situation so ernst ist, was Krankenhäuser betrifft. Sozialeinrichtungen sind schlimmer dran. Wenn Menschen alt und gebrechlich werden und man sich um sie kümmern muss, liegt deren Pflege fest in den Händen der Kirche. Meine Freundin leidet ebenfalls darunter. Sie ist Humanistin und arbeitet für eine Pflegeeinrichtung. Ihr Arbeitsvertrag legt klipp und klar fest, dass sie sich nicht an atheistischen Veranstaltungen beteiligen darf. Wenn sie sich jemals humanistisch engagieren wollte, dürfte sie das nicht. Wir Humanisten verstehen uns zwar nicht automatisch als Atheisten, da gibt es schon noch einen Unterschied – aber die Kirche sieht das wohl etwas anders.
Stuart: Erzähl uns mehr über die Giordano Bruno Stiftung.
Rapsch: Ich habe schon erwähnt, dass die GBS sich als Think Tank versteht, die eine Ethik für das 21. Jahrhundert entwickelt. Menschen können Werte auch ohne Gott haben. Wir finden diese Werte größtenteils bereits vor. Dies ist eine der Aufgaben der GBS. Wie viel ist ein dem Menschen eigentümlicher Sinn für Fairness und wie viel davon ist Erziehung? Es ist sehr interessant, diese Diskussion zu verfolgen. Eine Diskussion ohne Grenzen, die sich über Jahre, vielleicht Jahrhunderte hinzieht. Was heute als ethisch gilt, mag auch in tausend Jahren seine Gültigkeit haben, wohingegen Moral von der jeweiligen Gesellschaft abhängig ist. Ein Bürger des Römischen Reiches mag eine andere Vorstellung von Moral gehabt haben als ein Mensch im mittelalterlichen Deutschland oder ein Einwohner des Dritten Reiches. Moral wird von der Gesellschaft diktiert, wohingegen Ethik ein allgemeines faires Verhalten der Menschen untereinander meint.
Die Goldene Regel „verhalte Dich anderen gegenüber so, wie Du selbst behandelt werden möchtest“, steht zwar auch in der Bibel, gab es aber schon viel früher und ist immer noch gültig. Dies ist in groben Zügen, womit sich die GBS beschäftigt.
Wie ein Konzern Tochtergesellschaften hat, so hat die GBS Ortsgruppen, eine davon in Berlin. Es gibt noch andere, in Köln z.B. oder in der Schweiz, wo sich gerade eine Ortsgruppe gründet. Die Berliner Gruppe wurde letztes Jahr im Juli gegründet, direkt im Anschluss an die Buskampagne. Die Buskampagne kam ursprünglich aus England, Busse wurden mit Aufschriften versehen „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott. Ein erfülltes Leben braucht keinen Glauben.“. In Deutschland wollten wir das ebenfalls machen. Unglücklicherweise war ich daran nicht beteiligt, ich bin erst später dazugestossen. Der erste Vorsitzende unserer Ortsgruppe in Berlin war übrigens Sprecher der Buskampagne aber ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, wie ich ihn kontaktieren konnte.
Stuart: Du hast gesagt, für die Buskampagne sollte ein Bus gemietet werden und umherfahren. Nur in Berlin oder auch außerhalb?
Rapsch: Durch ganz Deutschland. Es war notwendig geworden, einen Bus zu mieten, da die Betreiber der öffentlichen Verkehrsmittel durch die Bank weg die Erlaubnis verweigerten, eine entsprechende Anzeige auf ihren Fahrzeugen zu schalten. Sie redeten sich damit heraus, dass sie keine weltanschauliche Werbung zulassen würden und vergaßen dabei, dass bereits überall große Plakate mit Sprüchen wie „Jesus, Richter oder Retter?“ und dergleichen gezeigt wurden. Das gab uns allerdings die Chance, auf diese Umstände hinzuweisen und zumindest in Berlin verschwanden diese Anzeigen. Ab und an sieht man noch welche, allerdings recht klein und nicht für lange. Sie haben meiner Ansicht nach also eher das Gegenteil dessen was sie beabsichtigten erreicht.
Nach der Buskampagne stellte sich heraus, dass eine ganze Anzahl Menschen daran interessiert ist, Gleichgesinnte zu treffen und die Berliner Ortsgruppe wurde gegründet. Ich wusste damals von der GBS, mir war aber nichts über die Ortsgruppen bekannt. Allerdings interessierte ich mich sehr für den Sprecher der GBS, Michael Schmidt-Salomon, der drei Monate nach der Gründung der Ortsgruppe nach Berlin kam. Dabei hatte ich die Gelegenheit, einem Vortrag zuzuhören und erfuhr dort auch über die Existenz der Berliner Ortsgruppe, der ich umgehend beitrat. Michael Schmidt-Salomon präsentierte sein Buch „Jenseits von Gut und Böse“, in dem er zwischen Ethik und Moral unterscheidet – wir haben ja bereits darüber gesprochen. Er schreibt, dass Menschen, die wir gemeinhin als „böse“ ansehen, sich selbst nicht als böse betrachten. Sogar Hitler dachte, er würde dem deutschen Volk etwas Gutes tun, indem er ein Volk vernichtete, von dem er annahm, es würde sein auserwähltes deutsches Volk unterdrücken. Er betrachtete sich selbst also sicherlich nicht als „böse“. Um dieses Prinzip geht es in dem Buch: „Gut“ und „Böse“ als absolute Werte abzuschaffen und durch eine ethische Sichtweise zu ersetzen: „Ist das, was ich tue, fair gegenüber anderen?“, „Würde ich selbst behandelt werden wollen, wie ich andere behandele?“.
Stuart: Fairness klingt relativer als Gut und Böse, die beide absolut Werte sind. Man kann sich etwas ziemlich Faires vorstellen, etwas, das noch fairer ist oder etwas sehr Faires. Leute zu ermutigen in diesen Bahnen zu denken klingt bescheidener als sie aufzufordern grundsätzlich gut zu sein.
Rapsch: Ich finde diese Idee sehr anziehend, aber mir ist auch klar, dass einige Menschen nun einmal absolute Werte brauchen. Sie wollen nicht dieses knallharte Logik-Ding sondern sie benötigen einen festen Punkt in ihrem Leben. Ich verstehe das, aber ich wünschte, es wäre nicht so. Deshalb bin ich schließlich auch Humanist.
Jedenfalls, nachdem ich einige Monate Mitglied der Berliner Ortsgruppe war, trat der damalige 2. Vorsitzende aus persönlichen Gründen zurück und ich wurde an seiner Stelle gewählt, worüber ich sehr stolz bin.
Stuart: Glückwunsch!
Rapsch: Vielen Dank! Es handelt sich dabei um Menschen, mit denen ich gerne zusammen bin und die ich sehr schätze und ich bin stolz darauf, von diesen Leuten gewählt worden zu sein.
Stuart: Habt Ihr aktuell Aktionen zu laufen?
Rapsch: Ja, wir wollen humanistische Ideen aktiv fördern. Ich fürchte, wir haben keine Chance, der gesamten Bevölkerung den Humanismus nahezubringen aber wir wollen uns zumindest denen bekanntmachen, die sich bisher nicht darüber im Klaren sind, dass es noch mehr Leute gibt, die denken wie sie und sie wissen zu lassen, dass es uns gibt, wenn sie uns brauchen.
Und dann haben wir natürlich diese Situation mit der Kirche, die sich tief in Staatsangelegenheiten verstrickt hat. Wir wollen dagegen angehen, indem wir Leute darauf aufmerksam machen, denn die meisten Menschen wissen gar nicht, dass 98% der Finanzierung der Kirchenorganisationen durch ihre Steuergelder erfolgt. Fast eine halbe Milliarde Euro an Steuergeldern werden alleine für die Gehälter der Bischöfe und Kardinäle und deren Gefolgschaft ausgegeben. Soweit ich weiß betrifft das allerdings nicht den niederen Klerus, was auch erklärlich ist, wenn man sich an die Säkularisierung von 1803 erinnert, als die Kirchenfürsten durch den Staat bezahlt werden mussten.
Ansonsten kümmern wir uns um unsere eigene Weiterbildung und üben, wie man korrekt diskutiert und sammeln die Argumente die Gläubigen und Humanisten zur Verfügung stehen, denn man steht immer und immer wieder derselben Argumentation gegenüber. Welche Einwände gibt es dann? Unsere Mitglieder darüber zu informieren ist ebenfalls etwas, das wir tun.
Aus dem Englischen: Oliver-Martin Rapsch