Ist es wichtig, darüber aufzuklären, dass es (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott gibt?

Die hpd-Gottesfragen-Challenge – Teil 2

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Nicht-religiöse Menschen sind keine gleichförmige Masse, sondern vertreten eine Vielzahl von unterschiedlichen Meinungen – in politischen und gesellschaftlichen Fragen, ja sogar was den Kernbereich des "Nicht-Glaubens" betrifft. Der hpd hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Meinungsvielfalt abzubilden. Als jüngst im Rahmen unserer redaktionellen Arbeit kontrovers darüber diskutiert wurde, ob es wichtig sei, darüber aufzuklären, dass es (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott gibt, fiel der Entschluss, die unterschiedlichen Standpunkte für die Leserinnen und Leser des hpd abzubilden. Die Kontrahentinnen der Gottesfragen-Challenge: hpd-Kolumnistin Ursula Neumann und die stellvertretende hpd-Chefredakteurin Daniela Wakonigg.

Natürlich ist es nicht wichtig, darüber aufzuklären, dass es (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott gibt – es sei denn, man möchte einen gesellschaftlichen Wandel bewirken. Denn Geschichte geschieht nicht einfach so, sie wird gemacht.

Derzeit befinden wir uns in Deutschland in einer Situation, in der insbesondere die beiden christlichen Großkirchen – jedoch auch kleinere Religionsgemeinschaften – mit besonderen staatlichen Privilegien bedacht werden. Diese Privilegien stammen aus einer Zeit, in der es normal war, an die Existenz eines – in hiesigen Breitengraden speziell des christlichen – Gottes zu glauben. Erst wenn die deutliche Mehrheit der Menschen nicht mehr an Götter glaubt und der Nicht-Glaube zum Normalfall wird, wird auch die Macht der vermeintlichen Vertreter der jeweiligen Götter auf Erden langsam enden. Erst dann ist die Voraussetzung dafür geschaffen, dass der Mensch sich darauf besinnt, dass die Verantwortung für sein eigenes Leben, für ein gelingendes gesellschaftliches Miteinander und das Überleben der Menschheit allein in seinen Händen liegt – und dass er beginnt daraus Konsequenzen für sein Handeln zu ziehen.

Bei der Frage, ob es wichtig ist, darüber aufzuklären, dass es (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott gibt, geht es also kurz gesagt um nicht weniger als die gesellschaftliche Deutungshoheit.

Es geht nicht darum, einen philosophischen Kampf zu gewinnen. Dass weder die Existenz eines Gottes noch seine Nicht-Existenz letztlich beweisbar sind, ist ein alter philosophischer Hut – selbiges gilt übrigens auch für die Existenz oder Nicht-Existenz eines fliegenden Spaghettimonsters oder eines unsichtbaren rosafarbenen Einhorns.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass für die Existenz eines Gottes gleich viel spricht wie dagegen. Ganz und gar nicht. Und das gilt es zu betonen, denn an genau dieser Stelle gleitet die Diskussion oft in eine Beliebigkeit ab, die der Materie nicht angemessen ist. Hervorgekramt wird das alte Appeasement-Mantra, dass es angesichts der Unbeweisbarkeit doch egal sei, ob man an Gott glaube oder nicht, Hauptsache, man sei nett zueinander. Doch die Wahrheit liegt definitiv nicht in der Mitte zwischen "Es gibt ihn" und "Es gibt ihn nicht" – das Pendel rationaler Argumente schlägt deutlich zur "Nicht"-Seite aus. Wer als Nicht-Gläubiger das Ist-doch egal-Mantra mitbetet oder unwidersprochen hinnimmt, statt diese Argumente zu benennen, hilft mit, die bisherigen religionsfreundlichen Strukturen zu verfestigen. Denn, wie gesagt, es geht hier nicht einfach um eine Geschmackssache, nicht darum, ob mir Rotwein besser schmeckt als Weißwein, es geht um Macht und Privilegien, die auf schlechten Argumenten gründen, und die sehr realen Einfluss auf unser aller Leben haben. 

Gern wird Atheisten in solchen Gesprächen vorgeworfen, sie würden missionieren. Dass religiöse Menschen dies so empfinden, will ich gern glauben. Doch unterscheidet sich meines Erachtens eine Aufklärung wie die oben genannte in mehrerlei Hinsicht von religiöser Missionierung. Beispielsweise durch die unterschiedliche Adressierung und Vehemenz der Aussage. Ein Missionar sagt: "Du solltest an Gott glauben, weil nur er dir ewiges Leben schenken kann". Ein Atheist sagt: "Ich glaube aus folgenden Gründen nicht an einen Gott – was du mit diesen Argumenten machst, musst du selbst entscheiden". Bemerkenswert ist ferner, dass niemand je auf die Idee käme, in anderen Zusammenhängen, in denen es ebenfalls um rationales Denken und um Aufklärung geht, dem Gegenüber Missionierung zu unterstellen. John Locke, ein Missionar des Empirismus? Der Physiklehrer, ein Großinquisitor der Thermodynamik?

Nun ist es jedoch eine Binsenweisheit, dass der Mensch nicht immer für rationale Argumente zugänglich ist. Wer würde das bestreiten? Doch hat er grundsätzlich die Befähigung dazu, rationale Argumente zu verstehen und aus den gewonnenen Erkenntnissen Konsequenzen für sein Handeln zu ziehen. Dieser Hoffnungsschimmer ist es, der mich täglich antreibt, meine Arbeit zu tun. Und nicht nur mich, auch viele vor mir, die es weitaus schwerer hatten. Wo wären wir heute ohne diese Menschen, die es auf sich nahmen, aufklärerisches, rationales und wissenschaftliches Denken gegen den theologischen Mief der Jahrhunderte zu verteidigen? Nicht auszumalen, wo wir heute stünden, wenn sie einfach die Hände in den Schoß gelegt hätten im Glauben, dass der Mensch für rationales Denken nicht zugänglich sei.

Gewiss, man wird niemals alle Menschen erreichen. Und natürlich wird selbst der rationalste Mensch bei einigen Lebensentscheidungen nicht unbedingt rational handeln. Doch der Wandel, der bisher stattgefunden hat, gibt Anlass zur Hoffnung. Betrachtet man die Vielzahl von Menschen weltweit, die bisher noch keinen Zugang zur Bildung und damit auch zur Schulung des Denkens hatten, dürfte es hier noch ein gewaltiges Potential für die weitere Verbreitung von rationalem Denken geben.

Meine persönliche Erfahrung sagt mir, dass dies auch in Deutschland für die Aufklärung über die Argumentationslage hinsichtlich der Existenz eines Gottes gilt. Ich erinnere mich an unzählige Gespräche mit Christen, die aufrichtig erstaunt und verstört waren darüber, dass die Chancen für die Existenz ihres Gottes keineswegs Fifty-fifty stehen. Viele Menschen kennen diese Argumente schlicht und ergreifend (noch) nicht. Ich erinnere mich an Priesteramtskandidaten, die durch die intensive Beschäftigung mit der eigenen Religion vom Glauben abfielen. Und erst in diesem Sommer erzählte mir ein junger atheistischer Blogger aus Pakistan, dass er inmitten des zutiefst muslimischen Landes durch das Fliegende Spaghettimonster zum Atheisten geworden sei. Sein Religionslehrer hatte vor der Schulklasse erzählt, dass die "dummen Menschen im Westen" sogar ein Spaghettimonster anbeten würden. Was vom Religionslehrer als Verächtlichmachung des Westens gedacht war, führte dazu, dass dieser junge Pakistaner sich mit der Religionsparodie auseinandersetzte und sich dadurch vom Glauben an seinen Gott befreite.   

Ich fasse zusammen: Ein Umbau der Gesellschaft hin zu mehr Säkularität und weniger Einflussnahme durch Kirchen und Religionsgemeinschaften, ist nur zu erreichen, indem man aufklärt und rationales Denken fördert. Und dazu gehört auch und zuvorderst die Aufklärung über die Argumente, die zeigen, dass es nicht sinnvoll ist, von der Existenz eines Gottes auszugehen. Religionen werden dadurch nie völlig aussterben. Doch religiös zu sein wird irgendwann zu einem Hobby werden, einem Spleen. Wobei zu betonen ist, dass in einer freiheitlichen Gesellschaft jeder das Recht haben muss, einen Spleen zu haben. In Anlehnung an Voltaire würde ich sogar so weit gehen zu sagen: "Ich teile Ihren Spleen nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie ihn ausleben dürfen."

Nur eines muss klar sein: Die persönlichen Spleens unterschiedlicher Menschen dürfen nie und nimmer über der gemeinschaftlichen Gesetzgebung stehen. Geschweige denn dürfen sie zur Grundlage einer für alle verbindlichen Gesetzgebung werden. Eine anzustrebende gesellschaftliche Realität, von der wir angesichts der Lobbyarbeit der christlichen Kirchen in der deutschen Politik derzeit bedauerlicherweise noch weit entfernt sind.