Ein Leitfaden zum Kopftuch-Verbot

(5) Aber wenn man immer noch glaubt, dass jeder in einer Schule seine "Identität" extern zeigen kann, muss dies auch für eine "Punk-", eine "Gothic-" und vielleicht auch für eine extrem rechte "Skinheads"-Identität gelten. Ist das der richtige Weg? Sollte eine Schulordnung alle Arten von Tattoos oder Piercings im Gesicht erlauben - auch Ausdruck einer Identität - oder soll man erst aufbegehren bei 56 Sternchen oder einem Gesicht wie eine Eisenhandlung? Kurz, gegenüber einer einfachen Regel über das Aussehen, steht so ein unübersichtliches Sammelsurium von möglichen Entgleisungen.
 
 (6) “Nicht was man auf den Kopf trägt ist wichtig, sondern was drin ist“. Dem steht ein anderes Motto gegenüber: „Der Glaube sitzt im Kopf, nicht auf dem Kopf als ein Label“. Die Wahrheit ist, dass Kleidung und Kopfbedeckungen wohl oder nicht Symbol sein können für das, was im Kopf ist. Der nackte Schädel von Yul Brunner hatte keine weltanschauliche Bedeutung, die eines rechten Skinheads wohl. Etwas Ähnliches gilt für Kopftücher. Die Kopfbedeckungen unserer Mütter und Großmütter bedeuteten, außer in der Kirche, nichts. Wer sie mit dem Hijab - Exponent eines weltweiten Fundamentalismus - vergleicht, hat vom Problem  nichts verstanden.

(7) Einige Leute führen die derzeitigen Schwierigkeiten zurück auf ein schikanöses Benehmen einiger Individuen: Es genügt, gegen diese Praxis einzutreten. Sie sind sich nicht bewusst, dass die Indoktrination des Hijabs als göttliche Verpflichtung im Religionsunterricht beginnt und manchmal durch die Eltern ergänzt wird. Ist das ein schikanöses Benehmen, wogegen Schuldirektoren eintreten können? Man muss auch kein großer Psychologe sein, um zu wissen, dass Einschüchterung auf Angst beruht, nicht nur die Angst, etwas zu tun oder zu lassen, sondern vor allem die Angst vor der Bekanntgabe des Zwanges. 

(8)  Es geht auch um die Gefahr der Gründung von Islamschulen. Es wird eintönig: Erneut setzt man die Dinge auf den Kopf. Wenn Schüler oder ihre Eltern eine solide Lehranstalt verlassen wegen Hijabverbot, dann beweist das noch einmal, welche extremistische Gründe sich hinter dieser Idee verstecken. (Siehe das Urteil des Großmufti: ' 2. f. '). Wir sind überzeugt, dass eine große Mehrheit unserer Muslime diesen Fanatismus ablehnen. Diejenige, die es nicht tun, gehen ruhig ihren Weg: Die negativen Auswirkungen haben sie in vollem Umfang selbst verschuldet.

(9) Einige Politiker und Leitartikler scheinen in einer anderen Welt zu leben. Sie halten den Hijab (und sogar den Niqab) für die Manifestation einer ethnischen Vielfalt; die Reaktionen dagegen wären dann fremdenfeindlich oder gar rassistisch. Das steht völlig im Gegensatz zu dem, was die überwältigende Mehrheit der Verteidiger dieses Schleiers selbst sagt: Sie finden, dass sie einer religiösen Verpflichtung nachkommen und berufen sich daher auf den Grundsatz der Religionsfreiheit. Insbesondere die Tatsache, dass sie sich hartnäckig weigern, in bestimmten Zusammenhängen (Schule, Amtsausübung) auf die Kleidung zu verzichten, widerspricht einer rein ethnischen Dimension.
Niemand hat etwas einzuwenden gegen die Schotten, wenn sie bei bestimmten Anlässen ihren Kilt tragen. Kein vernünftiger Mensch würde protestieren, wenn Berbermädchen dann und wann sich mit der Kleidung ihrer Urgroßmutter schmücken, auch wenn ein Schleier dazugehören würde. Viele schwarze Frauen in Brüssel kleiden sich in einer Weise, die gegenwärtig wohl typisch für Zentralafrika ist. Niemand bekommt davon schlaflose Nächte. Nicht die ethnische Vielfalt ist hier das Problem, sondern das Aufbrechen einer durch Laizität befriedeten  Gesellschaft.

(10)   Die Argumente für ein allgemeines Verbot in öffentlichen Schulen sind stark genug um darin keine negative Haltung gegen den Islam zu sehen: Der wird behandelt wie alle anderen Religionen; er erhält nur, im Zusammenhang mit der Bekleidung keine Vorzugsbehandlung. 

 

Allgemeine Schlussfolgerung
 
a. Dies recht detailliertes Plädoyer war notwendig um die verschiedenen Aspekte dieser Frage aus verschiedenen Gesichtspunkten zu beleuchten. Es war auch erwünscht eine Antwort auf Argumente aller Art in den Medien zu finden.
(…)

b. Dieser Text ist von jemandem geschrieben, der seit Jahren den Islam untersucht und der die Hoffnung auf einen friedlichen Islam hat, der die Menschenrechte in ihrer Gesamtheit achtet und dass dies vor allem in Europa möglich ist. Solange salafistische und andere fundamentalistische Bewegungen im Religionsunterricht und bei einigen Imamen vorherrschen, ist das aber nur eitle Hoffnung.

Jedoch gab es in der Vergangenheit Strömungen, die als Auftakt zu einem modernen Islam gelten können. Zentral steht da die Mu’tazila Bewegung, die den geschöpften Charakter des Korans betont (insbesondere 8. und 9. Jahrhundert). Diese Vision bietet die Möglichkeit zu einer modernen, wissenschaftlichen Herangehensweise an die heiligen Texte. Auch die Studie der großen arabischen Philosophen, und insbesondere Ibn Rusd (Averroës) kann zur Erneuerung beitragen. Z. Zt. wird an diesem Weg auch gebaut durch Menschen wie Mohammed Arkoun, Malek Chebel, Faslur Rahman, Nasr Hamid Abû Zayd, Abdelmajid Charfi, Farid Esack, Rachid Benzine, etc. Das Bestreben dieser mutigen Denker (denken Sie an das Schicksal von Abû Zaid, 1995 zum Apostaten erklärt und seither vogelfrei) wird durchkreuzt durch den fundamentalistischen Kampf für die Verbreitung des Hijabs und die ihm entsprechenden traditionellen Fragen. Dennoch, nur in der progressiven Annäherung an den Koran und die Sunna liegt die Chance, ein friedliches Zusammenleben von Christen, Muslime und Atheisten möglich zu machen.

Wird ein aufgeklärter Islam gewinnen, oder gehört die Zukunft dem Fundamentalismus? Es wird für einen Teil abhängen von der Frage, auf welche Seite die europäischen Intellektuelle und Politiker sich einreihen werden. 

(Übersetzung: Rudolf Mondelaers)