Seit einigen Wochen ist die neue österreichische Bundesregierung im Amt, nach mehreren Anläufen bei Koalitionsverhandlungen und viel Abstimmungsbedarf. Es ist die erste Regierung aus drei Parteien in der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Der Zentralrat der Konfessionsfreien in Österreich hat sie sich mit Blick auf säkulare Themen näher angesehen.
Die neue Kultusministerin ist Claudia Plakolm (ÖVP), sie hat unter ihren Agenden auch die Religionspolitik. Sie ist in der Regierung die Ansprechpartnerin der Religionsgesellschaften und theoretisch, wenn die österreichische Politik die über 30 Prozent Konfessionsfreien am Radar hätte, auch für diese. Somit muss sie auch die geplanten religionsrechtlichen Maßnahmen, die im Regierungsprogramm stehen und priorisiert wurden, erklären und verantworten.
Unter anderem steht ein erneuter Anlauf beim Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 14 Jahren auf der Agenda, auch eine "Verschärfung" des Islamgesetzes wurde bereits genannt. Keine Änderung ist beim Karfreitag geplant, Plakolm hat die daran interessierten Religionsgesellschaften bereits mit der Erklärung abblitzen lassen, dass die Abschaffung des privilegierten Feiertages für einzelne Religionsgesellschaften von einem Höchstgericht veranlasst worden sei. Den Feiertag wirklich abgeschafft hat jedoch die 2019 gescheiterte ÖVP-FPÖ-Koalition. Für diese waren die 3 Prozent der Bevölkerung, für die dieser Feiertag ein Anliegen war und die lang genug das Privileg des Zusatzfeiertages genossen haben, weniger wichtig als die Interessen der Klientel.
Claudia Plakolm wurde der Reihe nach in verschiedenen Medien vorgestellt und interviewt, daraus lassen sich ihre Einstellungen zur Religionspolitik der nächsten Jahre gut ablesen.
Tiroler Tageszeitung, 17. März: Auf die Frage der Journalistin, wie die geplante Kopftuch-Regelung, die nur eine einzelne Religionsgemeinschaft betrifft, angesichts von Kreuzen in Klassenzimmern verfassungskonform umgesetzt werden kann, antwortet Claudia Plakolm: "… Generell ist das Verschwinden von Religion im Alltag, in der Schule oder wo auch immer, ein Zeichen von falsch verstandener Toleranz." Wohlgemerkt, es geht immer noch darum, dass sie einer Religionsgemeinschaft das Verschwinden bestimmter äußerer Zeichen in der Grundschule aufzwingen will.
Außerdem hat sie die Kausalität falsch herum verstanden: Das Verschwinden der Religion im Alltag ist ein natürlicher, selbstbestimmter, sich beschleunigender Säkularisierungsprozess. Darauf kann die Politik demokratisch reagieren oder eben – aus falsch verstandener Toleranz gegenüber einer ehemaligen Staatsreligion – nicht. Kein Wunder, dass die Journalistin nachfragt.
Claudia Plakolm weiter: "Wenn man das Kreuz im Klassenzimmer abnimmt, dann ist das in meinen Augen schon falsch verstandene Toleranz, weil man glaubt, es könnte sich jemand davon gestört fühlen. Man sollte sich schon eher die Frage stellen, ob denn das Wertefundament jener Person, die sich durch das Kreuz gestört fühlt, das unsere ist. Wir sind ein christliches Land. Acht von zehn Gläubigen in Österreich sind Christen."
Mit der Aussage "wir sind ein christliches Land", die angesichts neuerer Studienergebnisse sehr zu bezweifeln ist, versucht sie, jede inhaltliche Diskussion zu vermeiden. Nun bezeichnen sich in der "Was glaubt Österreich?"-Studie 27 Prozent der Befragten als "religiös", 24 Prozent als "spirituell", 11 Prozent als beides. Das ergibt eine Obergrenze von 27 plus 24 minus 11 gleich 40 Prozent irgendwie gläubiger Menschen. Woher der Anteil "acht von zehn" stammt, wissen wir nicht, aber vielleicht hat sie als Kultusministerin ja Datenquellen, die nicht öffentlich sind. Nehmen wir mal an, dass die Anteile stimmen: Dann gibt es in Österreich 32 Prozent oder weniger christliche Menschen! Weniger als ein Drittel der Bevölkerung macht Österreich also zu einem "christlichen Land". Plötzlich steht die "falsch verstandene Toleranz" in einem anderen Licht: Zwei Drittel brauchen die Kreuze nicht, die aber weiterhin hängen. Und diesen zwei Dritteln unterstellt sie, nicht "unser" Wertefundament zu haben!
Religiöser Nationalismus
Die Verbindung einer nationalen Identität mit einer ausgewählten Religion nennt sich religiöser Nationalismus. Wir können von Österreich aus leicht erkennen, welche Probleme diese Verbindung in den USA, in Russland, in Indien verursacht. Und jetzt versucht die für Religion zuständige Ministerin, eine solche Verbindung herzustellen, allerdings ohne die Zahlen zu kennen, auf die sie das aufbauen könnte.
Nach einer "Leitkultur"-Diskussion wurde 2024 erhoben, welche Merkmale aus der Sicht von Österreicher:innen notwendig sind, um als "wirklich Österreicher:in" zu gelten. "Dem christlichen Glauben angehören" landet abgeschlagen auf der letzten Stelle (20% "wichtig", 13% sehr "wichtig"). Die Bevölkerung ist viel weiter als die zuständige Ministerin der Regierung – die Verbindung der österreichischen Identität mit der Religion ist für die große Mehrheit nicht erwünscht.
ORF Orientierung, 16. März: In dieser Sendung waren die Aussagen von Ministerin Plakolm in einen Beitrag eingebettet, in dem es auch ums Kopftuchverbot und andere Weichenstellungen ging. Auch hier nennt sie Österreich ein christliches Land, auch hier warnt sie davor, aus falsch verstandener Toleranz den Glauben irgendwo hintanzustellen oder aus dem öffentlichen Leben verschwinden zu lassen. Der Kontext ist auch hier: Ein bestimmtes Merkmal einer bestimmten Religionsgesellschaft soll aus einem Teil des öffentlichen Lebens verschwinden. Es gibt etliche gute Argumente dafür, junge Menschen nicht zu einer religiösen Markierung zu nötigen, die Konfessionsfreien würden das aber auch auf andere erzwungene religiöse Symbole ausweiten. Claudia Plakolm findet, dass ein Kopftuch nichts an einem jungen Mädchen verloren habe. Sie meint nämlich, dass "die Kirche" und das Judentum Österreich geprägt hätten. Wer die Geschichte des Antisemitismus in Österreich und die zögerliche Entwicklung, andere Religionen überhaupt zu tolerieren, kennt, wird das nicht unbedingt so sehen. Genauso haben übrigens die Habsburger und die Nazis Österreich geprägt – das ist kein Grund, ihre Ansichten und Symbole im Jahr 2025 kritiklos zu übernehmen.
Gesprächspartner fürs Verhältnis von Kirche und Staat
Schon einige Tage später empfing Claudia Plakolm Erzbischof Lackner, der mit ihr Fragen zum Verhältnis von Kirche und Staat erörtert hat. Auf ihren Wunsch hin durfte der Bischof die Räumlichkeiten und "neue Kreuze" segnen. Damit ist das "Verhältnis von Kirche und Staat" ziemlich genau abgesteckt. Eigentlich wäre die Ministerin für sechzehn anerkannte Religionsgesellschaften zuständig und sie sollte auch mit der zweitgrößten, bald größten weltanschaulichen Gruppe, den Konfessionsfreien den Austausch suchen. Aber das tut sie nicht. Sie behandelt nach wie vor die ehemalige Staatskirche als privilegierten Ansprechpartner und bittet diese aktiv um Ausführung ihrer Rituale in staatlichen Einrichtungen, in denen neutrale Politik für alle gemacht werden sollte.
Anhand dieser Beispiele ist keine Änderung der ignoranten, einseitig religionsfreundlichen und gleichzeitig populistisch ausgrenzenden Politik abzusehen. Währenddessen geht die Säkularisierung weiter: mit Ende des ersten Quartals 2025 sind mindestens 32,6 Prozent der österreichischen Bevölkerung, über 3 Millionen Menschen, konfessionsfrei. 49,2 Prozent der Bevölkerung sind noch Mitglied in der römisch-katholischen Kirche, keine andere Religionsgesellschaft erreicht auch nur annähernd einen zweistelligen Prozentsatz. Die Zeit für eine andere Religionspolitik, die nicht in der Vergangenheit steckengeblieben ist und auch das knappe Drittel der Konfessionsfreien wahrnimmt, ist längst gekommen. Auch wenn es um richtig verstandene Toleranz geht, und auch bei der Budgetkonsolidierung, auch beim gesellschaftlichen Zusammenhalt. Doch aktuell ist dieser Fortschritt mit dieser Ministerin nicht absehbar.
Übernahme unter geringfügigen Änderungen von der Website des Zentralrats der Konfessionsfreien Österreich.
