Die Erfindung der Jesus-Religion

(hpd) Wer es heutzutage, nach unzähligen anderweitigen und manchmal brillanten Versuchen unternimmt, das längst entzauberte Christentum nochmals zu entzaubern, tut etwas Gewagtes. Und wer einiges an religionskritischer Literatur gelesen hat, wird keinen Bedarf nach weiterer Aufklärung über das Christentum verspüren. Und doch hat dieses Buch von Heinz-Werner Kubitza seine volle Berechtigung.

 
Burkhard Müller hat das Grundproblem jeder Christentumskritik in seinem meisterhaften Schlußstrich auf den Punkt gebracht: „Wer...eine Kritik des Christentums verfasst, beginnt etwas zugleich Abgetanes, als wollte er darlegen, dass die Erde eine Kugel ist, und etwas Aussichtsloses, als bräche er eine Polemik gegen die Schwerkraft vom Zaum, eine donquixotische Paarung des Unnötigen mit dem Unmöglichen. Das ist ein Paradox, aber in ihm gedeiht das Christentum, der Kritik auf das merkwürdigste entrückt und anzusehen wie ein Gespenst, das in der Mittagssonne auf der Hauptstraße spukt.“

Natürlich: Wer auch nur einen Teil der Bücher insb. von R. Augstein, F. Buggle, E. Dahl, K. Deschner, J.W. Franke, H. Groos, C. Hitchens, J. Kahl, T. Logisch, G. Lüdemann, U. Ranke-Heinemann, B. Russell u.a. gelesen hat, wird keinen Bedarf nach weiterer Aufklärung über das Christentum verspüren. Und doch hat dieses Buch des Verlegers Kubitza (Tectum Verlag, Wissenschaftsliteratur) seine Berechtigung.

Der Ex-Theologe und heutige philosophische Naturalist unternimmt es zunächst, eine geschlossene kritische Darstellung der heiligen Schriften des Christentums und vor allem der Person Jesus unter allen wesentlichen Aspekten vorzunehmen. Der Erörterung des peinlichen Gottes des AT folgt die des fragwürdigen NT-Gottes. Die kritische Analyse von Leben und Lehre des Jesus folgt auf den Seiten 65 bis 228. Wegen dieser Schwerpunktsetzung trägt das theologiegeschichtliche Buch zu Recht den verkaufsförderlichen Titel „Der Jesuswahn“, der eine Parallele zum „Gotteswahn“ von Dawkins und zum „Atheismus-Wahn“ von Alister McGrath, einem Anti-Dawkins, darstellt. Kubitza erörtert eingehend die allgemeinen Probleme der Evangelien, die wesentlichen Kapitel des Lebens Jesu einschließlich seiner widersprüchlichen Ethik und der Stufen seiner Vergöttlichung. Ein weiterer großer Themenkomplex sind die Hauptlehren des Christentums mit seiner Erlösungstheologie, Trinitätslehre, Sündenlehre und der ganze „Zauberwald der Dogmen“ sowie die Bibelgläubigkeit und das Christentum als Ideologie und sein Verhältnis zur Esoterik (S. 229-332).

Wegen der politischen Propagierung der angeblich christlichen Werte ist der letzte Abschnitt des Buchs von aktuellem Interesse. Er analysiert im Detail den zweifelhaften Wert der 10 Gebote, problematisiert die biblischen „Tugenden“ Glaube, Hoffnung und Liebe und erläutert zusammenfassend den ambivalenten Vorbildcharakter des von seinen Übermalungen befreiten historischen Jesus. Den Abschluss bildet die kurze Darstellung der wirklichen Herkunft zentraler Werte unserer demokratischen Kultur. Am Ende steht das Christentum als überflüssiges und hierzulande einsturzgefährdetes Gebilde da (333-358).

Das Buch vermag im Rahmen der selbstgestellten Aufgabe inhaltlich natürlich nichts Neues zu bieten. Wer sich für die zahlreichen naturwissenschaftlichen und soziologischen Erklärungsversuche für das Verständnis des Phänomens Religion oder für die Kirchengeschichte interessiert, wird in dem Buch ebenfalls nicht fündig. Das wird dem Leser aber auch nicht versprochen.

Der Band hat indessen erhebliche andere Vorzüge. Die Bibel wird dem Leser geschlossen vorgestellt. Das geschieht in einer wohltuend entschlackten und stets klaren Sprache, die die sehr flüssig vorangehende Lektüre für den noch nicht so gut mit der Materie vertrauten Leser fast zum Vergnügen machen müsste. Dazu tragen etliche Einsichten bei, die in sehr griffigen Wendungen präsentiert werden. Interessant ist es, die Wandlungen des biblischen Gottes zu verfolgen, später dann die allmähliche Vergottung des jüdischen Rabbi Jesus.

Wegen der desolaten Quellenlage zwangsläufig nur die neutestamentlichen Texte als Quellen auch für die ethischen Aspekte des Lebens Jesu verwertend, weist Kubitza in seinen zusammenfassenden Anmerkungen dazu auf Folgendes hin: Die Verfasser der ältesten Texte des NT, Paulus und Markus, teilen zur Lehre Jesu fast nichts mit. Im übrigen treten erhebliche Widersprüche zutage. Kubitza: „Jesus scheint nicht zu bemerken, dass mit den in die ewige Feuerhölle geworfenen Menschen auch seine Liebesbotschaft den Flammen übergeben wird.“ Er weist zutreffend darauf hin, dass „wir aufgrund der Quellenlage letztlich nicht mehr wissen können, was Jesus eigentlich gewollt hat.“

An Kritikwürdigem ist dem Rezensenten lediglich aufgefallen, dass die „Absurdität des christlichen Antisemitismus“ und seine vielfältige Verwurzelung im NT reichlich knapp dargestellt ist, lässt sich doch nachweisen, dass die Judenfeindschaft sogar ein entscheidendes und existenzstiftendes Moment des beginnenden Christenglaubens gewesen ist. Andererseits ist z.B. der Hinweis Kubitzas darauf erhellend, dass sich im Vaterunser (Mt 6,9-13), einem klar jüdischen Gebet, nicht ein einziger christlicher Gedanke findet. Spätestens, wer das Buch gelesen hat, weiß: der Jesus des NT hat mit dem Christus bzw. Jesus der Kirche buchstäblich nichts zu tun.

Die Einzelargumentation lässt sich anhand der zahlreichen Fundstellen von Bibelzitaten gut nachvollziehen. Das Fehlen eines Anmerkungsapparats habe ich wegen des zugrunde liegenden Konzepts nicht als Mangel empfunden. Die Existenz eines Personen- und Sachregisters ist sehr erfreulich.

Der angenehme, solide Band eignet sich hervorragend insbesondere als Einstiegslektüre für ernsthaft interessierte junge Leute, aber auch für Randchristen, die es wissen wollen. Unter www.jesuswahn.de kann man sich näher informieren.

Gerhard Czermak

 

Heinz-Werner Kubitza: Der Jesuswahn. Wie die Christen sich ihren Gott erschufen. Die Entzauberung einer Weltreligion durch die wissenschaftliche Forschung. Tectum Verlag, Marburg 2011, 382 S. ISBN 978-3-8288-2435-5, 19,90 Euro.