Mehr als 230 Millionen Frauen und Mädchen sind laut Unicef weltweit von Genitalverstümmelung betroffen. Das ist ein Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zur letzten Schätzung, die vor acht Jahren veröffentlicht wurde. Terre des Femmes setzt sich seit über 40 Jahren für ein Ende von weiblicher Genitalverstümmelung (female genital mutilation/FGM) ein, unter anderem durch Sensibilisierungs- und Aufklärungsarbeit zum Thema, Lobbyarbeit sowie länderübergreifende Präventionsprojekte. In den letzten zwei Jahren war TDF Koordinatorin des EU-Projektes "Join our CHAIN" zur Prävention und Aufklärung zu FGM und und Früh- sowie Zwangsverheiratung (early and forced marriage/EFM). Gestern ging das Projekt mit einer Abschlusskonferenz in Brüssel zu Ende.
In weniger als zwei Jahren haben die Community-TrainerInnen der beteiligten NGOs Terre des Femmes, End FGM EU, AkiDwa und Action Aid Italia in Deutschland, Irland und Italien über 2.600 Community-Mitglieder durch "Behavior Change Activities" und Community-Veranstaltungen, rund 100 Community Leader (Personen mit einer führenden Rolle in der Community) und etwa 860 Fachkräfte aus unterschiedlichen Bereichen erreicht – unter ihnen Lehrkräfte, MedizinerInnen, AsylverfahrensberaterInnen, Hebammen, PsychotherapeutInnen.
In den Schulungen lernten die Fachkräfte den professionellen und sensiblen Umgang mit Betroffenen und Gefährdeten. Behavior Change Activities sind Aktivitäten, die von den Community-TrainerInnen angeboten werden, um in betroffenen Communitys offene Diskussionen zu FGM und EFM anzuregen und ein besseres Verständnis für die Themen zu schaffen.
Wissen ist Schutz – ein Leitfaden für den Umgang mit Betroffenen und Gefährdeten von FGM und EFM
Ein wichtiger Schritt in der Arbeit für den sensiblen Umgang und der Prävention von FGM und EFM ist es, Fachkräfte, die mit potenziellen Betroffenen zu tun haben, für den richtigen Umgang mit solchen Fällen vorzubereiten. Neben den Schulungen und Workshops, die das Projekt durchgeführt hat, hat "Join our CHAIN" eine ausführliche Handlungsempfehlung entwickelt, die praxisnahe, kultursensible Strategien bietet, um betroffenen Personen professionell zu helfen und diese Praktiken zu verhindern.
Langfristige und weitreichende Perspektive auf Wandel
Terre des Femmes ist zuversichtlich, dass es auch in der Zukunft weiterführende Unternehmungen auf EU-Ebene geben wird. Durch die Vernetzung über nationale Grenzen hinaus etabliert sich ein europaweites Netzwerk, welches wertvolle Ressourcen im Engagement gegen FGM und EFM bündelt. Insbesondere den Communities wird so eine Plattform geboten, auf der sie sich über Erfahrungen und Ideen austauschen, sowie ihre Forderungen auf europäischer Ebene hörbar machen können.
"Die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zeigt die Kraft gemeinsamen Handelns: Vier Menschenrechtsorganisationen arbeiteten zwei Jahre gegen weibliche Genitalverstümmelung sowie Früh- und Zwangsverheiratungen. Die Ergebnisse sind ein starkes Zeichen im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt. 'Join our CHAIN' beweist, dass grenzüberschreitende Kooperation nachhaltige Veränderungen schafft und Frauen schützt" sagt Petra Kappler, Projektleiterin von "Join our CHAIN" bei Terre des Femmes.
Eine Betroffene aus Somalia sagte: "Früher habe ich meinen Schmerz heruntergeschluckt und er hat mich aufgefressen. Jetzt kann ich mich bewegen – weg von der Depression, weg vom Schweigen, weg von der Scham. Ich bin nicht mehr der Mensch von gestern."
Ausblick in die Zukunft
Um die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN einzuhalten und FGM bis 2030 ein Ende zu setzten, müsste der weltweite Rückgang sich um das 27-fache erhöhen. Trotz der Herausforderungen zeigen positive Beispiele in einigen Ländern, dass Fortschritte möglich sind: Die Hälfte der in den letzten 30 Jahren erzielten Fortschritte wurde innerhalb des letzten Jahrzehnts erreicht. In Kenia, Sierra Leone und Ägypten geht die Praxis zurück.
Auch wenn ein Großteil der überlebenden Frauen und Mädchen in Afrika, Asien und im Nahen Osten leben, stellt das Problem auch eine große Herausforderung in Europa dar.