Rezension

Die "Hisbollah" – Eine erste deutschsprachige Überblicksdarstellung

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Rauchwolke nach dem Anschlag auf das US-Marines-Hauptquartier am 23. Oktober 1983 im Libanon. Von den USA wird die Hisbollah für den Anschlag verantwortlich gemacht,
Rauchwolke nach dem Anschlag auf das US-Marines-Hauptquartier im Libanon.

Die Bedeutung der Hisbollah ist jedem Kenner des Nahost-Konflikts klar. An einer deutschsprachigen Einführung zu ihrer Geschichte fehlte es bislang. Joseph Croitoru, ein bekannter Fachjournalist, legt jetzt eine solche Monographie vor: "Die Hisbollah. Irans Schattenarmee vor den Toren Israels". So informativ der Band die Ereignisse beschreibt, so sehr hätte man sich aber auch noch mehr Analyse und Einschätzungen gewünscht.

Fragt man nach wichtigen Akteuren im Nahost-Konflikt, so dürfte dabei immer wieder auch die Hisbollah aus dem Libanon genannt werden. Denn zu den konfliktverschärfenden Faktoren gehört auch, wenngleich nicht zentral, diese "Partei Gottes". In ihrem Entstehungsland agiert sie nicht nur als Gewaltformation. Diese Dimension ist der Hisbollah auch eigen, man sollte sie aber nicht nur bezogen auf diese Handlungsebene mit kritischem Interesse wahrnehmen. Denn im Libanon baute sie einen "Staat im Staate" auf, was für eine gesellschaftliche Bedeutung im kaum zu überschätzenden Sinne steht. Die Hisbollah ist dort auch Partei und Wohlfahrtsorganisation. Nur bei Berücksichtigung des Ineinandergreifens dieser Rollen lässt sich verstehen, welcher gesellschaftliche Machtfaktor eben diese Organisation in der dortigen Wirklichkeit ist. Hinzu kommt die hohe Bedeutung der Förderung durch den Iran bzw. besser formuliert der Lenkung dieses Organisationskomplexes durch den dortigen "islamischen Staat".

Cover

Wer sich auf dem deutschsprachigen Büchermarkt indessen über die Hisbollah informieren will, muss das Fehlen einschlägiger Monographien konstatieren. Umso erfreulicher ist daher das Erscheinen einer ersten Überblicksdarstellung. Deren Autor ist Joseph Croitoru, der seit Jahren über den thematischen Kontext publiziert. Bekannt wurde er durch seine Beiträge in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, später schrieb er dann für die Süddeutsche Zeitung. Darüber hinaus erschienen von ihm auch einige Bücher, sei es über die Hamas, sei es über Selbstmordattentäter. Sie ließen einen ausgezeichneten Kenner der Materie erkennen, der mit leichter Hand die relevanten Sachverhalte präsentierte. Jetzt legt er sein Buch "Die Hisbollah. Irans Schattenarmee vor den Toren Israels" vor. Die Abhängigkeit vom Iran ist darin kontinuierlich ein Thema. Daher passt zum Buchinhalt auch der Untertitel. Es handele sich um die "erste Gesamtdarstellung der Hisbollah", heißt es im Klappentext des Verlags. Das stimmt in der Aussage nicht ganz, eher geht es um eine kurze Geschichte.

Croitoru ist Historiker und dies merkt man seinem Werk auch an. Der eher knapp gehaltene Band ist bezogen auf die jeweiligen Entwicklungsphasen chronologisch strukturiert, wobei den Ausführungen zwei Hintergrundkapitel vorgeschaltet wurden. Darin geht es einmal um die Besonderheiten des Libanon und einmal um das Selbstbewusstsein der dort lebenden Schiiten. Dem folgen Ausführungen zu deren politischem Erwachen in den 1960er und 1970er Jahren. Erst Anfang der 1980er Jahre organisierten sich dort die Khomeini-Anhänger. Der Autor geht anschließend auf deren Gründungsmanifest ein und thematisiert das strategische Kalkül der Selbstmordattentate. Besondere Bedeutung kommt Hasan Nasrallah zu, stand er doch jahrzehntelang an der Organisationsspitze. Croitoru geht auch auf die Rolle als "Staat im Staat" ein, wobei der Blick immer über den Libanon hinaus reicht. So kommt der Iran-Kooperation ebenso wie dem Israel-Krieg große Relevanz zu. Auch die Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg ist dabei ein wichtiges Thema.

Bilanzierend spricht der Autor von einem "vierzig Jahre andauernden iranisch-israelischen Stellvertreterkrieg, den die Hisbollah als Schattenarmee Teherans gegen den übermächtigen Gegner Israel führt". Damit gehöre man zur "Achse des Widerstands", wie das den gemeinten politischen Kräften eigene Selbstverständnis tituliert wird. Auch in diesem Buch erweist sich Croitoru als ausgezeichneter Experte, indessen liefert er eher eine Bilanz seiner früheren Reportagen zum Thema. Und dann dominiert der studierte Historiker über die vielen Seiten. Diese Ausrichtung zeigt sich darin, dass historische Darstellungen hintereinander gereiht werden. Dabei vermisst man die systematische Erörterung spezifischer Fragen, etwa die zu Ideologie, Organisation und Strategie. Zum erstgenannten Aspekt gibt es zwar Ausführungen zum Gründungsmanifest, über die Organisationsform wird bei den Wohlfahrtsorganisationen im Zusammenhang informiert. Deren genauere Einschätzungen wären aber noch notwendig gewesen.

Joseph Croitoru, Die Hisbollah. Irans Schattenarmee vor den Toren Israels, München 2025 (C. H. Beck-Verlag), 193 S., 18,00 Euro

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