ASCHAFFENBURG. (hpd) Soeben erschienen ist MIZ 4/10. Das Heft verzichtet auf einen Schwerpunkt; stattdessen erörtert ein längerer Leitartikel, wie viel Religion und wie viel Republik Deutschland braucht. Insofern ist die Ausgabe ein Beitrag zur Leitkulturdebatte.
Allerdings wird die Vorstellung einer Leitkultur, zumal einer „jüdisch-christlichen“, abgelehnt. Bereits das Editorial ist mit „Leitkultur, nein danke!“ überschrieben. Chefredakteur Christoph Lammers kritisiert darin, dass hinter der „Kultur“ unausgesprochen immer die christliche Religion stecke. Er verweist darauf, dass die Mehrzahl der in Deutschland lebenden Christen in lebensweltlichen Fragen eher ihren eigenen Überzeugungen vertraue als kirchlichen Anweisungen. Der Versuch, gesellschaftliche Debatten vor dem Hintergrund einer vorgeblichen christlich-jüdischen Leitkultur zu führen, erweist sich somit als konservatives Manöver, das eigene Lager als größer erscheinen zu lassen, als es tatsächlich ist.
Leitkultur oder Konsens?
Auch Jochen Beck votiert gegen eine christlich-jüdische Leitkultur und fordert einen humanistisch-republikanischen Konsens ein. Dessen Funktion müsse sein, das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Weltanschauungen zu ermöglichen. Inhaltlich lasse sich dieser Basiskonsens mit Aufklärung, kritischer Vernunft, offener Gesellschaft und allgemeinen Menschenrechten füllen.
Die Heiligen Bücher haben, nach Becks Auffassung, zur Begründung der Menschenrechte wenig beizutragen. Um diese dauerhaft zu sichern, baut er auf eine antiautoritäre Ethik und demokratische Verfahren. Entsprechend wendet er sich auch gegen die „in Deutschland übliche Manie, jedem Menschen eine konfessionelle Identität zuzuordnen“ oder Menschen gar pauschal mit der Mehrheitsreligion des Landes, aus dem sie stammen, zu identifizieren.
Fehlläufer oder Erfolgsstory?
Ein anderer umfangreicher Artikel befasst sich mit Religion aus einer evolutionären Perspektive. Ausgehend von Susan Blackmores „Konversion“ (sie sieht Religion mittlerweile nicht mehr als „Virus“ an, sondern vergleicht sie mit einem Bakterium, das auch für den „Wirt“ Vorteile mit sich bringt) stellt Andreas Kilian einige Fragen, die helfen könnten, die grundsätzliche Frage zu beantworten, ob Religion ein Fehlläufer oder eine Erfolgsstory der Evolution ist. Sein Fazit dürfte viele überraschen; selten ist Religion so klar als rein diesseitige Strategie der Vorteilsnahme beschrieben worden.
Imamausbildung und kirchliches Arbeitsrecht
Dass ausgerechnet ein Gremium, das sich „Wissenschaftsrat“ nennt, für die Einführung der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten plädiert und damit der etablierten Islamwissenschaft de facto das Wasser abgräbt, kritisiert Assia Maria Harwazinski. Sie stellt die Frage, warum die bisherige Arbeit der säkularen Kulturwissenschaftler auf diese Weise abgewertet wird und sieht in der jetzigen Entwicklung einen Schritt in die falsche Richtung (gerade wenn es um Integrationsfragen geht).
Der frühere Verwaltungsrichter Gerhard Czermak erläutert, was die jüngste einschlägige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte („Fall Schüth“) für das besondere kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland bedeutet. Interessant erscheint hier ein Detail: Aufgrund der Bestimmungen der Zivilprozessordnung ist es möglich, dass der Fall trotz des Urteils aus Straßburg ohne positive Folgen für den Betroffenen bleiben könnte.
Interviews mit Nils Opitz-Leifheit und Djemila Benhabib
Nils Opitz-Leifheit gehört zu den Initiatoren der „Laizisten in der SPD“. Mit ihm sprach Gunnar Schedel über die Haltung des Parteivorstands und die Aussichten des Arbeitskreises. „Ein Leben gegen den Koran“ führt die in Algerien geborene Journalistin Djemila Benhabib. Mit ihr sprach Nadia Creutz über Emigration, Multikulturalismus und Religionskritik.
Weitere Artikel befassen sich mit religiösen Denkfallen (René Hartmann), der Lobbyistin Annette Schavan (Roland Ebert) und einem Fall von klerikaler Produktpiraterie (Klaus Blees).
Daneben gibt es Berichte über säkulare Veranstaltungen, Pressemitteilungen und Webseiten, Buchbesprechungen sowie die Internationale Rundschau mit einschlägigen Kurzmeldungen aus aller Welt.
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