Der Mensch: Empathie und Kooperation

(hpd) Der Primatenforscher Frans de Waal präsentiert eine Fülle von Beobachtungen und Forschungsergebnissen, welche die biologisch und evolutionär bedingte Neigung des Menschen zu Empathie und Kooperation belegen. Zwar werden im Text die einzelnen Beispiele etwas strukturlos aneinandergereiht, die präsentierten Einsichten decken sich aber mit einer Fülle von neueren Publikationen zum Thema.

„Man mag den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein“ (S. 11). Diese Worte stammen von Adam Smith, der heute allgemein als geistiger Vater eines auf egoistischer Konkurrenz beruhenden Kapitalismusverständnisses gilt. Franz de Waal, bekannter Professor für Primatenverhalten an der Emory University in Atlanta, zitierte sie zu Beginn seines neuen Buchs „Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können“. Darin wendet er sich nicht nur gegen eine einseitige und selektive Lesart von Adam Smith, sondern verbindet damit die grundsätzliche Auffassung „Wir brauchen eine Generalüberholung unserer Annahmen über die menschliche Natur“ (S. 18) - sei sie doch eben nicht nur durch Egoismus, sondern auch durch Empathie geprägt.

Diese Auffassung zieht sich wie ein „roter Faden“ durch die sieben Kapitel des Buches, das aus einer Aneinanderreihung der unterschiedlichsten Belege für eine solche Perspektive besteht: Es geht um Analysen der menschlichen Körpersprache, Beobachtungen des Sozialverhaltens von Affen, Berichte über die Bindungen von Hunden an ihre „Herrchen“, Deutungen von Zitaten aus Filmen und Pop-Songs, Erkenntnisse über das Teilen von Nahrung bei Tieren, Feststellungen zur physischen Ähnlichkeit länger verheirateter Paare, Interpretationen von Fotos historischer Ereignissen oder Wahrnehmungen der Kooperation von Fischen bei Gefahr. All dies widerlege nicht den Darwinismus, der einseitig als Lehre des Egoismus und Kampfes interpretiert werde. Vielmehr plädiert der Autor für die verstärkte Wahrnehmung der anderen Seite des Darwinismus, die eben auf Kooperation und Hilfe ausgerichtet sei. Diese Sicht sei mittlerweile fester Bestandteil der modernen Evolutionstheorien und damit eines darauf gründenden Menschenbildes geworden.

Frans de Waal geht es aber nicht um einen Austausch der einen Einseitigkeit mit der anderen Einseitigkeit, konstatiert er doch: „Wir stehen auf zwei Beinen: einem sozialen und einem egoistischen“ (S. 207). Bislang habe man aber allzu sehr die letztgenannte Perspektive geteilt. Neueste Forschungsergebnisse aus den unterschiedlichsten Bereichen und mit den verschiedensten Methoden würden aber immer stärker gegen die Auffassung sprechen, dass Egoismus und Gier die natürlichen Triebkräfte des Menschen seien. Außerdem müsste es hier keinen grundlegenden Gegensatz geben: „Die größte Unterstützung erhält das Gemeinwohl vom aufgeklärten Eigennutz: der Erkenntnis, dass wir alle besser fahren, wenn wir zusammenarbeiten.“ Und weiter heißt es: „Da Empathie Individuen miteinander verbindet und in jedem das Interesse am Wohlergehen anderer weckt, schlägt sie eine Brücke von der Welt des unmittelbaren Nutzens ... zur Welt des kollektiven Nutzens, für dessen Verständnis ein wenig mehr Nachdenklichkeit erforderlich ist“ (S. 288).

Der Autor begründet diese Sicht weder durch „fromme Wünsche“ noch durch „romantische Träumereien“. Vielmehr kann er auch und gerade mit den Vergleichen in Richtung Tierwelt gut aufzeigen, dass es sich bei Empathie und Kooperation um natürliche Eigenschaften des Menschen als Ergebnis des Evolutionsprozesses handelt: „Sich auf diese angeborene Fähigkeit zu besinnen kann jeder Gesellschaft nur zum Vorteil gereichen“ (S. 290). In dem Aufzeigen dieser besonderen Erkenntnis liegt der Wert des Buchs, das sich damit ganz auf der inhaltlichen Linie jüngerer Publikationen mit ähnlichen Auffassungen (Blech, Klein, Siefer, Tomasello etc.) bewegt. Frans de Waal reiht dabei aber etwas strukturlos einzelne Beispiele und Erkenntnisse aneinander. Die gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen der gewonnenen Einsichten deutet er gegen Ende des Textes nur kurz an. Mehr wäre aber vielleicht auch nicht die Aufgabe eines Biologen gewesen. Dessen Botschaft verdient aber auch in der Politik größere Aufmerksamkeit und eine inhaltliche Neuorientierung.

Armin Pfahl-Traughber

 

Frans de Waal, Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können. Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober, München 2011 (Carl Hanser-Verlag), 352 S., 24,90 €