Religion ist Privatsache!

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Das Gebäude des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte / Foto: EGMR

STRASSBURG. (hpd) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil die deutsche Praxis bestätigt, der zufolge auf der Lohnsteuerkarte vermerkt wird, ob ein Arbeitnehmer Mitglied einer steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist.

Ein Kommentar von Matthias Krause

Diese Entscheidung führt dazu, dass man – entgegen der Bestimmung des Grundgesetzes (Art. 136 (3) WRV), dass niemand verpflichtet ist, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren – ausgerechnet seinem Arbeitgeber diese Information liefern muss. Der Religionseintrag auf der Lohnsteuerkarte ist und bleibt aber verfassungswidrig.

Die Argumentation der fünf Richter (zwei der sieben Richter äußerten eine abweichende Meinung) ist meines Erachtens nicht haltbar. Eigentlich müsste für jeden einsehbar sein, dass die deutsche Praxis verfassungswidrig ist.

Menschenrechte vs. Kircheninteressen

In der Pressemitteilung heißt es zur Urteilsbegründung:“ Im Einklang mit seiner jüngeren Rechtsprechung befand der Gerichtshof zunächst, dass die Verpflichtung Herrn Wasmuths, die Behörden über seine Nichtzugehörigkeit zu einer zur Erhebung der Kirchensteuer berechtigten Kirche oder Religionsgemeinschaft zu informieren, einen Eingriff in sein Recht darstellt, seine religiösen Überzeugungen nicht preiszugeben. Der Gerichtshof zeigte sich aber überzeugt, dass dieser Eingriff nach deutschem Recht gesetzlich vorgesehen war, wie die deutschen Gerichte übereinstimmend befunden hatten. Ferner verfolgte der Eingriff den legitimen Zweck, das Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf Erhebung der Kirchensteuer zu gewährleisten. Der Gerichtshof hatte folglich darüber zu befinden, ob der Eingriff im Hinblick auf diesen Zweck verhältnismäßig war.“ [Hervorhebung von mir.]

Ich wundere mich zunächst darüber, dass offenbar die Einschränkung von Menschenrechten schon aufgrund einfacher Interessen einer Organisation (nämlich der Kirche) zulässig sein soll. Ich hätte erwartet, dass Menschenrechte lediglich durch die Menschenrechte anderer eingeschränkt werden können. (Niemand wird unter der Berufung auf sein Menschenrecht anderen schaden dürfen, und die Gesellschaft hat natürlich das Recht, Verstöße z.B. durch Freiheitsentzug zu ahnden, was einen Eingriff in das Freiheitsrecht darstellt.)

Demgegenüber werden die Menschenrechte untergraben, wenn ein Staat wie Deutschland einfach per Gesetz konkurrierende „Rechte“ wie hier zugunsten der Kirchen erfinden kann. Was – es geht mir hierbei nur um das Prinzip – wenn der Gesetzgeber den Kirchen das Recht gäbe, Nichtmitglieder zu foltern, zu töten und ihren Besitz einzuziehen? (Abwegig, ich weiß – trotzdem war dies jahrhundertelang Praxis.) Menschenrechte sind doch aus ihrem Wesen heraus zunächst einmal Abwehrrechte, auch und gerade gegen den Staat, bzw. gegen die Mehrheit.

Von daher erscheint es mir bereits verfehlt, sich überhaupt auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit einzulassen, da es lediglich um ein den Menschenrechten nachgeordnetes Recht der Kirchen handelt, (in Deutschland) Steuern erheben zu dürfen.

„Beschränkter Informationswert“?

Das Gericht schreibt: „Der Gerichtshof zeigte sich überzeugt, dass die fragliche Eintragung auf der Lohnsteuerkarte, wie die deutsche Bundesregierung geltend gemacht hatte, nur einen beschränkten Informationswert hat, da sie dem Finanzamt lediglich Aufschluss darüber gibt, dass der Steuerzahler keiner der sechs Kirchen und Religionsgemeinschaften angehört, die in Bayern Kirchensteuer erheben können und dieses Recht tatsächlich ausüben.“

Es ist zwar richtig, dass ein „fehlender“ Eintrag der Religionszugehörigkeit lediglich bedeutet, dass man keiner der steuererhebenden Religionsgemeinschaften angehört – der Arbeitgeber kann nicht erkennen, ob man Atheist, Agnostiker, Moslem, Buddhist oder Angehöriger einer Freikirche ist. Darauf kommt es aber auch nicht an. Entscheidend ist, ob die enthaltene Information zur Diskriminierung verwendet werden kann.

Ich behaupte mal, dass Diskriminierung üblicherweise bedeutet, dass die Mehrheit Einzelne oder Minderheiten deshalb diskriminiert, wie diese Auffassungen vertreten, die von der Mehrheitsmeinung abweichen. (Für Minderheiten dürfte es schwer sein, zu diskriminieren, solange die Betroffenen von der Mehrheit akzeptiert werden.)

Und der Grund für die Diskriminierung dürfte in der Regel weniger in der konkreten Auffassung bestehen als vielmehr darin, dass sich die vertretene Auffassung von der Mehrheitsmeinung (zu sehr) unterscheidet. So wird z.B. bei aktuellen Fällen in islamischen Ländern – entgegen einer verbreiteten Darstellung – nicht der Übertritt speziell zum Christentum mit Strafe bedroht, sondern der Abfall vom Islam. Und in Deutschland müssen z.B. Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen bestimmten Religionsgemeinschaften angehören. Für eine Kündigung kommt es also gar nicht auf die Information an, welcher Religionsgemeinschaft man konkret angehört, sondern welcher nicht.

Und da es gerade die größten und wichtigsten – auch als Arbeitgeber – Kirchen sind, die in Deutschland Steuern erheben, ist die Angabe auf der Lohnsteuerkarte durchaus heikel.

„Keine Öffentliche Verwendung“

Die Lohnsteuerkarte wird normalerweise nicht öffentlich verwendet; sie erfüllt keinen Zweck außerhalb des Verhältnisses zwischen dem Steuerpflichtigen und seinem Arbeitgeber oder dem Finanzamt.

Das Gericht spielt hier darauf an, dass die „Öffentlichkeitswirkung“ des Eintrags auf der Lohnsteuerkarte weitaus geringer ist als z.B. der früher praktizierte Eintrag der Religionszugehörigkeit auf den Personalausweisen in Griechenland. Dass es weniger schlimm ist heißt aber nicht, dass es zulässig ist.

Wenn man eine Rangfolge von Leuten und Organisationen aufstellen würde, denen gegenüber das Recht, über seine Religionszugehörigkeit zu schweigen, besonders wichtig ist, dann würde der Arbeitgeber sicher ganz weit oben rangieren. Der EGMR ist offenbar der Auffassung, dass ich mich zwar gegenüber meinem Sitznachbar im Bus nicht weltanschaulich offenbaren muss, dem Arbeitgeber gegenüber aber schon.

Wie schon oben beim Informationsgehalt scheint das Gericht auch hier zu argumentieren „Es könnte schlimmer sein.“ – Das kann aber kein Kriterium sein! Wie jemand andernorts bemerkte: Wenn jemand sagt, er schlägt seine Kinder nur noch einmal die Woche statt jeden Tag – ist das dann in Ordnung?

Verfassungsmäßig?

Der Gerichtshof zeigte sich aber überzeugt, dass dieser Eingriff nach deutschem Recht gesetzlich vorgesehen war, wie die deutschen Gerichte übereinstimmend befunden hatten. Ferner verfolgte der Eingriff den legitimen Zweck, das Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf Erhebung der Kirchensteuer zu gewährleisten. Diese Darstellung des Gerichts ist schlichtweg falsch.

Das Gericht scheint zu übersehen, dass das deutsche Grundgesetz in Art. 136 (3) WRV ausdrücklich bestimmt: Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.

Man muss also seine Religionszugehörigkeit, wenn überhaupt, nur den Behörden gegenüber offenbaren.

Es wäre übrigens Wortklauberei, wenn man behaupten wollte, der Eintrag auf der Lohnsteuerkarte offenbare die religiöse Überzeugung nicht, weil ja zumindest bei denjenigen, die nicht Mitglied einer steuererhebenden Kirche sind, eben lediglich die Nichtmitgliedschaft dokumentiert wird und nicht die eigentliche religiöse Überzeugung. Der Eintrag auf der Lohnsteuerkarte widerspricht erkennbar dem Sinn der Verfassungsvorschrift.