Das Besteuerungsrecht der Kirchen
Man mag einwenden, das Grundgesetz gebe den Kirchen aber doch ebenfalls das Recht, Steuern zu erheben. In Art. 137 (6) WRV heißt es: Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.
Leider ist den meisten Leuten nicht klar, dass dies keine Rechtfertigung der jetzigen Praxis darstellt, sondern ein System meint, in dem die steuererhebenden Kirchen – verfassungskonform – von den Finanzämtern die Steuerlisten für ihre eigenen Mitglieder erhalten, um diesen „Kirchensteuerbescheide“ zu schicken. So wurde es früher gehandhabt, erst unter den Nationalsozialisten wurde 1935 die jetzige, verfassungswidrige Praxis – Abführung der Kirchensteuer durch den Arbeitgeber – eingeführt. Dies wurde auch nach dem Krieg so beibehalten. (Dank an Carsten Frerk, der in seinem Violettbuch Kirchenfinanzierung darauf hinweist. – Textauszug weiter unten.)
Nazi-Praxis wurde beibehalten
Das bedeutet, dass die jetzige Praxis, bei dem die Zugehörigkeit zu einer steuererhebenden Kirche auf der Lohnsteuerkarte vermerkt und die Kirchensteuer direkt vom Arbeitgeber einbehalten und abgeführt wird, nicht durch die Verfassung gedeckt ist. Und der bloße Umstand, dass das jetzige Verfahren „einfacher“ und für die Kirchen billiger ist, kann ja wohl kaum als Begründung für einen Verfassungsverstoß herhalten.
Die deutsche Praxis ist verfassungswidrig
Auch ohne die Einbeziehung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hätten eigentlich schon die deutschen Gerichte feststellen müssen, dass die jetzige Praxis ganz klar verfassungswidrig ist. Dass nicht einmal der EGMR dies zu erkennen vermag, ist bedauerlich – es bleibt zu hoffen, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist.
Anhang
Das Urteil enthält auch die sehr aufschlussreiche abweichende Meinung.
Literaturhinweise
Gerhard Czermak: Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht, S. 191-193: Kirchensteuer III (Kirchenlohnsteuer)
[…]
"V. Lohnsteuerkartenvermerk. Auf wie dünnem Eis die z.T. komplizierten Bemühungen der Rechtsprechung zur Rechtfertigung des derzeitigen Kirchensteuersystems stattfinden, zeigt besonders deutlich das Problem des Vermerks der (fehlenden) Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte. Art. 136 III l WRV/ 140 GG sagt klipp und klar: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Oberzeugung zu offenbaren.“ Zwar gilt eine Ausnahme vom Schweigerecht für ein Fragerecht der Behörde. Es betrifft den Fall, dass von der Kenntnis Rechte oder Pflichten abhängen. Doch muss dabei selbstverständlich Art. 4 GG beachtet sein. Im übrigen ist in Art. 136 III l WRV von der Zulässigkeit einer Weitergabe an Dritte (hier: Arbeitgeber) nicht die Rede. Das BVerfG hat das Problem („im Zweifel für die Kirche“) 1978 so „gelöst“: Das Kirchenlohnsteuerverfahren ist verfassungsgemäß (siehe oben). Es erfordert aus „Zweckmäßigkeitsgründen“ einen Vermerk über die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zu einer steuerberechtigten Religionsgemeinschaft. Aus diesem Grund ist eine Grundrechtsverletzung „noch nicht“ anzunehmen. Das nach Auffassung des BVerfG schrankenlose Grundrecht des Art. 41, II GG (dessen Teilaspekt Art. 136 III l WRV ja ist), wird also entgegen dem klaren Wortlaut der Verfassung aus bloßen Zweckmäßigkeitsgründen eingeschränkt: ein verfassungsrechtlicher Abgrund (BVerfGE 49, 375). Denn eine Besteuerung von Kirchenmitgliedern ist auch ohne Lohnsteuerkartenvermerk jedenfalls möglich, also nicht verfassungsrechtlich „erforderlich“. Eingehend wie hier neben Schiller/Wasmuth auch der bekannte Staatskirchenrechtler Korioth in: Maunz/Dürig, GG, Komm. zu Art. 140 GG, S. 124-126 (Rn 92)."
Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen, S. 25-26
Freie Kirche im Freien Staat
"Mit der Weimarer Reichsverfassung 1919 wurde die Kirchensteuer im gesamten Nationalstaat eingeführt. Zweck war die finanzielle Absicherung der Kirchen, die mit der Weimarer Verfassung von der staatlichen Kirchenaufsicht (als „Staatskirche“) und damit auch der staatlichen Finanzierung befreit wurden („Freie Kirche“ im „Freien Staat“). Ihnen sollte eine sichere eigene Einnahmequelle geschaffen werden. Der Staat war ihnen nur insoweit behilflich, indem er sich verpflichtete, den Kirchen die staatlichen Steuerlisten zur Verfügung zu stellen, aus denen hervorging, wer Mitglied im Steuerverband Kirche war und wie viel Einkommensteuer er bezahlte. Eine weitere Verbindung oder gar „Partnerschaft“ war dabei nicht beabsichtigt. Ganz im Gegenteil war dies Bestandteil des Programms der kompletten finanziellen Trennung von Staat und Kirche.
Dass der Staat den Kirchen mit der Einführung der Kirchensteuer und den staatlichen Steuerlisten sehr großzügig zu einer neuen „Existenzgründung“ verhalf, wurde nicht als Widerspruch dazu gesehen.
Geplant und erhoben wurde diese nationale Kirchensteuer ursprünglich
(1) als Ortskirchensteuer (Empfänger waren die Kirchengemeinden),
(2) als vergangenheitsbezogen (erst nach Vorliegen der Steuerlisten konnten die Kirchen diese Steuer erheben) und
(3) ohne irgendeine weitere aktive Beteiligung des Staates oder gar der Arbeitgeber.
Alle drei Punkte konnten die Kirchen schließlich zu ihren Gunsten ändern und hatten – in historischer Kontinuität – keinerlei Skrupel, jedes politische System dafür zu nutzen.
Die Nationalsozialisten führten 1934 den Kirchensteuereinzug durch die Arbeitgeber (als „staatliche“ Aufgabe) ab dem 1.1.1935 ein. Und zwar im zeitlichen Zusammenhang mit dem Reichskonkordat vom 20.7.1933 und der Zustimmung zum ‘Ermächtigungsgesetz’ (23.3.1933), mit dem die diktatorische ‘Machtergreifung’ der Nationalsozialisten tatsächlich stattfand.
Damit war die Lohn-Kirchensteuer zur Gegenwartssteuer umgewandelt, die sofort mit der Lohnsteuer berechnet und abgeführt wurde. […]
Generell wurde zudem der automatische und damit höchst effiziente Einzug der Kirchensteuer durch die Finanzverwaltungen der Bundesländer vereinbart. Dieses staatliche Inkasso ist ein klarer Verstoß gegen das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche, was jedoch dem rheinischen Katholizismus der CDU in der Gründungsphase der Bundesrepublik offensichtlich egal war."