(hpd) Der ehemalige US-Präsident und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter schildert in seinem Buch persönliche Erfahrungen und Reflexionen zum Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Zwar ist eine eher einseitig kritische Auffassung gegenüber Israel unverkennbar, Carter präsentiert aber überlegenswerte Grundprinzipien für die Beendigung des Konflikts.
Jimmy Carter galt als US-Präsident trotz seines außenpolitischen Engagements im Kontext des Camp David-Abkommens und seiner innenpolitischen Reformen im Bereich der Bildungs- und Umweltpolitik als glückloser Politiker. Nach seiner Amtszeit erwarb er sich im Einsatz für Menschenrechte und als Vermittler in Krisengebieten große Verdienste. Dafür sprach man Carter 2002 den Friedensnobelpreis zu. 2006 veröffentlichte er in den USA sein Buch „Palestine. Peace not Apartheid“, das aufgrund seiner kritischen Äußerungen zur israelischen Kritik ebendort heftige Reaktionen auslöste. Es dauerte über vier Jahre bis es zu einer deutschen Übersetzung kam. Sie erschien im Melzer-Verlag, der auch „Der Semit. Unabhängige jüdische Zeitschrift“ herausgibt. Dabei handelt es sich um ein Blatt, das mit aggressiver Polemik jüdische Interessenorganisationen und den Staat Israel kritisiert. Diese inhaltliche Ausrichtung erklärt auch, warum ausgerechnet in diesem Klein-Verlag eine deutsche Ausgabe von Carters „Palästina. Frieden nicht Apartheid“ erschien.
Wer die Lektüre beginnt, muss sich erst durch das Vorwort des Verlegers Abraham Melzer arbeiten. Er schlägt mit Inhalten und Wortwahl wild um sich, beklagt die angeblich unkritische Haltung der Öffentlichkeit und Politik gegenüber dem Staat Israel und seiner Politik gegenüber den Palästinensern. Wüsste man nicht, dass hier ein Protagonist einer Minderheit von Juden mit einer übertrieben einseitigen negativen Einstellung gegenüber Israel schreibt, könnte man eine latent antisemitische Einstellung vermuten. Eine solche Einschätzung wäre gleichwohl ebenso verfehlt wie die ähnlichen inhaltlichen Vorwürfe gegen Carter nach der Veröffentlichung seines Buches in den USA. Der ehemalige US-Präsident argumentiert darüber hinaus denn auch ausgewogener, differenzierter und sachlicher als sein deutscher Verleger. Gleichwohl nimmt auch Carter eine einseitig kritische Haltung gegenüber Israel ein, ohne dessen legitime Sicherheitsinteressen ausreichend zu berücksichtigen und manche bedenkliche Positionen von palästinensischer Seite stärker zu problematisieren.
Sein Buch ist über weite Strecken der sehr persönlicher Bericht eines ehemaligen Politikers, der mit Carters erstem Israelbesuch 1973 beginnt, auf sein diesbezügliches außenpolitisches Engagement während der Präsidentschaft 1977 bis 1981 eingeht, die Nahost-Politik unter Reagan, Bush, Clinton und Bush jr. beschreibt und kommentiert sowie persönliche Eindrücke von Verhandlungen und Wahlen schildert. Im letzten Kapitel wendet Carter sich gegen den Bau der Mauer, die ihm als Gefängnis gilt.
Als Grundvoraussetzungen für eine Überwindung des Konflikts benennt er:
- "Die Sicherheit Israels muss garantiert werden. Die Araber müssen öffentlich und explizit anerkennen, dass Israel ein Faktum ist und das Recht hat, in Frieden innerhalb sicherer, anerkannter Grenzen zu existieren.
- Die bisher offene Debatte in Israel über seine Grenzen muss ein Ende finden, um die endgültigen rechtmäßigen Grenzen festzulegen. ...
- Die Souveränität aller Staaten im Nahen Osten und die Unverletzlichkeit internationaler Grenzen müssen respektiert werden“ (S. 279-281).
Gegen die Formulierung „Frieden nicht Apartheid“ im Titel gab es nach der Publikation der US-amerikanischen Originalausgabe des Buchs heftige Kritik. In der Tat wäre eine Gleichsetzung mit dem seinerzeitigen Regime in Südafrika unangemessen. Bei allen Einwänden gegen den Umgang mit Palästinensern in und außerhalb Israels geht eine solche Einschätzung doch an der Realität des südafrikanischen staatlichen Rassismus vorbei. Nur weil auch Shulamit Aloni oder Desmond Tutu diese Begrifflichkeit zur Einschätzung nutzen, muss sie nicht richtig sein. Die genaue Lektüre von Carters Buch macht darüber hinaus deutlich, dass er ein „Apartheidssystem“ als negative Perspektive für die Zukunft beschreibt, gleichwohl hier auch von einer „gegenwärtig gängige(n) Praxis“ (S. 289) spricht. Aber diese wie andere Einseitigkeiten sollten nicht zur Ignoranz gegenüber den von Carter benannten Bedingungen für die Beendigung des Nahost-Konflikts führen. Sie machen den interessanten Kern des ansonsten stark persönlich geprägten Buches aus.
Armin Pfahl-Traughber
Jimmy Carter, Palästina – Frieden nicht Apartheid. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Helgard Barakat, Neu-Isenburg 2010, 337 S., 24,95 €