DHARAMSALA. (hpd) Mit großem Tamtam hatte der Dalai Lama Anfang des Jahres angekündigt, von all seinen politischen Ämtern zurücktreten zu wollen. Ab sofort wolle er nicht mehr Gottkönig sein, sondern nur noch Gott.
Ein Kommentar von Colin Goldner
Seine „politischen Ämter“ bestanden in erster Linie darin, einer von keinem Land der Erde anerkannten „Tibetischen Exilregierung“ vorzustehen, die seit je mit engsten Vertrauten aus seiner exklusiven Mönchskoterie besetzt und im Übrigen durch nichts und niemanden demokratisch legitimiert war. 2001 wurden erstmalig „Wahlen“ durchgeführt, die allerdings reine Farce waren, zumal er selbst gar nicht zur Wahl bzw. Abwahl stand. Er blieb „Staatsoberhaupt“ der etwa 60.000 vor allem in Indien und Nepal lebenden Exil-Tibeter. Auf den Posten des völlig bedeutungslosen „Premierministers“ wurde der angeblich reinkarnierte Lama Lobsang Tendzin, alias Samdhong Rimpoche, gewählt.
Dem geplanten Rücktritt des Dalai Lama vorausgesetzt war eine „Verfassungsänderung“, die dem auf Lebenszeit eingesetzten „Gottkönig“ erlaubte, den politischen Teil seiner Macht formell abzugeben. Hintergrund des groß inszenierten Abdankungsspektakels dürfte zum einen der angegriffene Gesundheitszustand „Seiner Heiligkeit“ sein - bei seinen öffentlichen Auftritten erweckt er zunehmend den Eindruck fortschreitender Demenz -, und zum anderen der Umstand, dass er durch die von ihm zu verantwortenden Gewaltexzesse im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 enorm an Rückhalt und Sympathie selbst bei eingefleischten Bewunderern verloren hat.
Seit geraumer Zeit schon wird insofern gezielt ein Nachfolger für ihn aufgebaut: der inzwischen 25jährigen Urgyen Trinley Dorje, zum 17ten Male „wiedergeborenes“ Oberhaupt der Karma Kagyü-Sekte und seit über zehn Jahren am Exilregierungssitz des Dalai Lama in Nordindien ansässig. Ob Urgyen Trinley letztlich wieder als „Gottkönig“ installiert wird, der „weltliche und spirituelle Macht in sich vereint“, steht dahin.
Bis auf Weiteres wird für die „weltlichen“ Aufgaben jedenfalls ein Ende März neugewählter „Premierminister“ zuständig sein. Für den vakanten Posten - Samdhong trat nicht mehr an - standen drei Kandidaten zur Wahl. Zwar entstammen alle dem engeren Umfeld des Dalai Lama - einer davon war lange Jahre Privatsekretär „Seiner Heiligkeit“ -, aber erstmalig waren es keine Kuttenträger mehr. Alle drei wurden in den USA ausgebildet. Gewählt wurde laut offizieller Bekanntgabe vom 27.4.2011 der Favorit des Dalai Lama, der 43jährige Harvard-Jurist Lobsang Sangay.
Wie Sangay schon in seinem „Wahlkampf“ betont hatte, werde er als „Premierminister“ die Linie des Dalai Lama ungebrochen fortführen. Da dieser selbst weiterhin als „Berater“ zur Verfügung steht, wird sich politisch wohl auch nicht viel ändern. Die Chancen, dass die 1959 zusammen mit dem "Gottkönig" ins Exil geflohene Clique aus Adel und hohem Klerus - bzw. deren Nachfolgegeneration, der auch Sangay angehört - in Tibet jemals wieder zu Macht und Einfluss kommt, stehen ohnehin gleich null.