Die Verletzung der Rechte indigener Völker

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Linda Poppe / Foto: privat

BERLIN. (hpd) Durch ein Video von der Überfliegung eines bis dahin unkontaktierten Volkes im brasilianischen Urwald wurde die NGO „Survival International“ im letzten halben Jahr bekannt. Der hpd sprach mit der Berliner Vertreterin der Organisation, Linda Poppe.

hpd: Was war der Auslöser für die Gründung von survival international? Ist das - wegen des englischen Namens - eine internationale Organisation (NGO)?

Poppe: Den Anstoß für Survivals Gründung vor gut 40 Jahren war ein Zeitungsartikel über den Völkermord an der indigenen Bevölkerung Brasiliens. Der Bericht über Mord, Versklavung und Ausbeutung war so schockierend, dass Survival mit dem Ziel gegründet wurde, die Rechte indigener Völker zu schützen. Das erste Büro von Survival gründete sich in London, daher auch der englische Name. Aber inzwischen veröffentlichen wir regelmäßig Informationen in sechs Sprachen, sind in mehreren Ländern vertreten und betreuen Fälle von Menschenrechtsverletzungen an indigenen Völkern weltweit.

Was wollt ihr bewegen bzw. ändern? Und warum?

Unsere Absicht ist es, die Verletzung der Rechte indigener Völker zu beenden und ihnen die Möglichkeit zu geben, selbst über ihr Leben und ihre Zukunft zu bestimmen. Heute werden sie häufig an den Rand der Gesellschaft gedrängt, haben keine Rechte auf Mitbestimmung und viele Menschen betrachten ihre Art zu Leben als rückständig. In vielen Ländern sind sie Opfer von Gewalt oder Vertreibung, die oft ohne Konsequenzen für die Verursacher bleibt.

Wir wollen das ändern, weil wir der Meinung sind, dass indigene Völker eine der am stärksten benachteiligten und diskriminierten Gruppen weltweit sind und ihre Behandlung oft jeder Idee der Menschenrechte spottet. Und wir glauben auch, dass es wichtig ist, ihnen zu erlauben anders zu leben als wir es tun. Das hat viel mit Toleranz zu tun, aber auch mit dem Wert, den eine Vielfalt menschlichen Lebens für uns alle hat.

Weshalb hältst Du es für notwendig, auf das Leben indigener Völker aufmerksam zu machen?

Ich denke, es ist wichtig über das Leben indigener Völker zu informieren, damit ihre Art zu leben besser verstanden wird und sie respektiert werden. Zum Beispiel belächeln wir oft die Tatsache, dass sie bestimmte Orte als heilig definieren. Wenn ein Stück Wald für sie „heilig“ ist, bedeutet das aber meist nichts weiter, als dass bestimmte Regeln im Umgang mit diesem Stück Land gelten. Diese Regeln sind wiederum wichtig, um zum Beispiel Übernutzung durch die Gemeinschaft zu vermeiden und langfristig ihre Lebensgrundlage zu sichern. Wenn man es so sieht, wird ein Mythos zu einer ziemlich pfiffigen und ausgeklügelten Idee. Wenn man über solche Dinge informiert, kann man viel effektiver gegen die Entmündigung indigener Völker und die Verletzung ihrer Rechte auftreten. Es trägt auch dazu bei, in der Öffentlichkeit eine andere Wahrnehmung von indigenen Völkern zu fördern.

Im Zusammenhang mit dem Video der Überfliegung eines bisher noch nicht bekannten indigenen Volkes kam die Frage auf, ob ein solcher Überflug nicht als Kontaktaufnahme gelten kann und damit die Bezeichnung "unkontaktiertes Volk" nicht ad absurdum geführt wird.

Der Begriff „unkontaktiertes Volk“ meint eigentlich nichts anderes, als dass die entsprechende Gruppe keinen regelmäßigen, friedlichen Kontakt zur Hauptgesellschaft eines Landes hat. Aber Kontakt besteht gelegentlich zu anderen indigene Gruppen oder über die Distanz, wie es mit dem Überflug der Fall war. Unkontaktierte Völker wissen von ihrer Umgebung, manchmal leben sie nur wenige Kilometer von Siedlungen entfernt. Aber es gibt eben keinen persönlichen und friedlichen Kontakt. Auch bei den Bildern die während des Überflugs entstanden sind sieht man, dass einige Mitglieder der Gruppe das Flugzeug mit Pfeil und Bogen avisieren.


Was können wir Mitteleuropäer tun, um - neben der Bewusstmachung, dass es noch unkontaktierte Völker gibt - diesen das Überleben fern jeder sog. Zivilisation zu ermöglichen? Mir käme zuerst die Idee, eine Art "Reservat" einzurichten. Aber hätte man dann nicht eine Art "Zoo" für Menschen. Was ich als menschenverachtend ansehen würde.

Als wir die Aufnahmen des unkontaktierten Volkes veröffentlicht haben, wollten wir damit die Regierungen der Region dazu drängen, das Land der Indianer zu schützen – unter anderem mit einer Unterschriftenaktion, an der auch jeder Europäer teilnehmen kann. Wenn wir den Schutz ihres Landes fordern, meint das in der Tat so etwas wie ein Reservat oder Schutzgebiet einzurichten, damit nicht gegen den Willen der indigenen Gruppe in ihr Gebiet eingedrungen und Kontakt zu ihnen aufgenommen werden kann. Das ist wichtig, weil dieser Kontakt – besonders durch Krankheiten – lebensgefährlich für die Menschen sein kann.

Damit soll aber kein „Zoo“ errichtet werden. Anders als in einem Zoo, könnte die Gruppe beispielsweise selbst ihr Gebiet jederzeit verlassen und Kontakt aufnehmen, wenn sie das wünscht. Es gibt viele Beispiele anderer indigener Völkern die in Schutzgebieten leben. Einige meiden den Kontakt weiterhin, andere haben inzwischen sogar eigene Vertretungen gegründet und bringen ihre Forderungen politisch ein. Ganz egal was die Gruppen letztendlich gemacht haben, hat ihnen das Schutzgebiet erst ermöglicht den Kontakt, der ohne Frage einen großen Einfluss auf ihr Leben hatte, nach ihren Vorstellungen mitzugestalten. Es geht nicht darum indigene Völker vor Veränderungen und Einflüssen von Außen zu schützen, es geht darum, dass ihre Menschenrechte geschützt werden.

Ist dieser Zwiespalt nicht ein generelles Problem in Eurer Arbeit?

Ich glaube nicht, dass die Forderung nach einem Schutzgebiet im Widerspruch zu unserer Arbeit steht. Zum einen fordern wir keine „Reservate“ wie man sie vielleicht von den Nordamerikanischen Ureinwohnern kennt, in denen die Menschen umgesiedelt und dann auf kleine Flecken Land zusammengepfercht wurden. Land zu schützen heißt – auch nach den nationalen Rechtsvorschriften auf die wir uns berufen – dass angestammte Land indigener Völker zu erfassen und ihr Rechte daran anzuerkennen.

Wenn die Landrechte indigener Völker hingegen nicht anerkannt werden, steht dies in aller Regel im Widerspruch zu unserer Arbeit. Dann können sie einfach vertrieben werden. Wenn es soweit kommt, kämpfen diese Gruppen meist gegen Krankheiten, Unterdrückung, Unterernährung; es folgen Depressionen, Alkoholismus, Armut und so weiter. Vieles davon kann ihnen erspart bleiben, wenn ihr Land geschützt wird. Zudem haben sie dann auch viel bessere Möglichkeiten ihre Rechte einzufordern und aktiv an Entscheidungen teilzunehmen, die ihr Leben betreffen.

Man kann sich das so vorstellen, als ob wir verhindern wollen, dass Du Dein Dach über dem Kopf und Deine Einkommensquelle verlierst und auf der Straße landest. Ich glaube das wäre ungefähr ein Equivalent unserer Forderungen hier in Deutschland.

Auf Eurer Webseite schreibt ihr: "Weltweit haben sich mehr als hundert indigene Gruppen dafür entschieden, sich von der Außenwelt zu isolieren.“ Haben diese Gruppen sich tatsächlich frei entschieden? Frei entscheiden können? Wenn ich davon ausgehe, dass es ein großes zivilisatorisches Gefälle zwischen diesen Gruppen und der Mehrheit der Weltbevölkerung gibt, habe ich da leise Zweifel. Ist es nicht so, dass wir als die Mehrheit eher wie Eltern auf kleine Kinder schauen, wenn wir über indigene Völker reden?

Ich denke man kann von einer freien Entscheidung sprechen. Viele unkontaktierte Völker wissen von ihrer Umgebung. Vor einigen Jahren zum Beispiel nahm eine Gruppe Kontakt auf, die dann berichtet, dass sie schon seit Jahren die Dörfer in der Umgebung beobachtet hatten; manche hatten auch ab und zu Schweine gestohlen. Auch die unkontaktierten Indianer auf den Bildern sind wahrscheinlich Nachfahren von Indigenen, die früher an der Küste Brasiliens lebten und schon sehr früh mit unserer „Zivilisation“ Erfahrungen machten. Meist keine guten, daher die Entscheidung für den Rückzug. Unkontaktierte Völker hinterlassen auch gelegentlich Markierungen, um zu signalisieren dass man nicht weiter in ihr Gebiet gehen soll.

Das viele Menschen wie Kinder auf indigene Völker schauen ist sicher wahr, aber das hat weniger mit den indigenen Völkern zu tun als mit uns. Wenn wir sie als naiv oder rückständig wahrnehmen, kommt das meist daher, dass wir sie nicht verstehen. Es ist wie mit dem heiligen Stück Wald (siehe oben). Sie haben sehr komplexe Gesellschaften. Ihre Sprache, ihre Glaubenssystem, ihre Medizin, etc sind hoch entwickelt. Sie haben vielleicht nicht den Computer erfunden oder die Raumfahrt, aber das ist nur ein Indiz dafür dass sie sich in eine andere Richtung entwickelt haben, nicht, dass sie sich gar nicht entwickelt haben.


Ich bin mir bewusst, dass survival international gegen große Konzerne auftreten muss, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Kannst Du von Erfolgen und Misserfolgen berichten?

Generell gilt (mit Ausnahme von Shell in den 1980er Jahren), dass wir sowohl an den Erfolgen als auch den Missverfolgen noch arbeiten. Zum einen um den Erfolg langfristig zu halten und zum anderen um den bisherigen Misserfolg noch in einen Erfolg zu verwandeln. Solche Fälle gehen meist über Jahre, manchmal Jahrzehnte. Aber das wäre der aktuelle Stand. (Siehe Links am Ende des Artikels)

Wie kommst Du persönlich dazu, Dich in der NGO zu engagieren?

Eine schwierige Frage, für die es glaube ich eine Reihe von Gründen gibt. Was mich aber immer wieder motiviert ist die Sicht auf indigene Völker, die Survival versucht zu vermitteln. Sie werden weder als „edle Wilde“ verklärt noch als hilfsbedürftige Opfer stilisiert, sondern als ganz normale Menschen gezeigt, die einfach in anderen Gesellschaften leben. Das klingt banal und sollte wahrscheinlich selbstverständlich sein, aber leider ist das oft nicht der Fall.

Vielen Dank für die Aufklärung.

Die Fragen stellte Frank Navissi.

 

Erfolg:

Indien: Erfolg gegen Bergbaugiganten

Paraguay: Geldstrafe für Viehzüchter

 

Misserfolg:

shell - oil & gas company

Peru: Gemeinsam gegen Ölkonzerne