Wenn Wissenschaft zum Humbug wird

gottesdirenst_r_by_rolf-van-melis_pixelio.de_.jpg

Schmutzige Werbeschilder / Foto: Rolf van Melis (pixelio.de)

BERLIN/CHEMNITZ. (hpd) Auch Wissenschaft will und soll in die Öffentlichkeit. Wenn es aber in einer offenen Mediengesellschaft keine Kontrollmechanismen mehr für seriöse Standards gibt, öffnet sich das weite Feld des Unsinns. Das ist besonders problematisch, wenn korrekte Ergebnisse zu besserer Marktakzeptanz verdreht und verfälscht werden. Neue Beispiele von Mosaiksteinen religiöser Propaganda.

Nun stand Ostern, das höchste Fest der Christenheit, vor einigen Tagen vor der Tür und da passte doch eine Meldung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vorzüglich ins Konzept: „Im Laufe ihres Lebens werden die Deutschen immer religiöser – aber die Kirchenbänke werden trotzdem nicht voller“.

„Im Laufe ihres Lebens werden die Deutschen immer religiöser“

Die Wettervorhersage für Ostern war überwiegend sonnig, die Leute fuhren lieber ins Grüne, so dass die Kirchenbänke so leer blieben, wie sie es sonst auch sind. Aber nun war man ja getröstet, denn es wurde klar, wie aktuell erforscht: Im Laufe ihres Lebens werden die Menschen in Deutschland dann doch wieder religiöser – auch wenn das nicht so sichtbar ist.

Diese Mitteilung wurde auch über den Informationsdienst Wissenschaft (idw) verbreitet und fand so ihren Weg in die Medien.

Die Märkische Allgemeine berichtet korrekt: „Ältere gehen häufiger in Gottesdienste“ und verweist dann auch auf eine nicht-religiöse Möglichkeit des häufigeren Kirchgangs, nämlich die Beschäftigungskomponente „Der Kirchengang ist für viele Senioren eine Freizeitbeschäftigung, für die sie erst im Alter genügend Zeit finden.“

Dagegen steigen die Katholische Nachrichtenagentur (kna) und das Kölner Domradio gleich ins Gewünschte ein und kopieren einfach die Pressemitteilung des DIW, die ganz in ihrem Sinne ist: „Studie: Deutsche werden im Laufe des Lebens religiöser“.

Interessant, wenn es denn stimmen würde

Das wäre eine interessante Feststellung, wenn sie denn stimmen würde. Aber gerade in der Verquickung von korrekten wissenschaftlichen Arbeiten und ihrer sehr schiefen öffentlichen Darstellung, die dann weit verbreitet durch die Medien gehen, gibt es hinreichend Beispiele wie den viel zitierten Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung, nach der angeblich 70 % der Deutschen religiös und 25 % sogar „hoch-religiös“ seien, was dadurch erzeugt worden war, dass die Zählintervalle schlicht wie gewünscht, aber eben falsch gesetzt worden waren.

Die Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das ein Interesse daran hat, sein kostspieliges Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) öffentlich zu preisen, schien dabei die korrekte empirische Arbeit eines Soziologen verkürzt und medial aufgeblasen zu haben, was sich jedoch bei Nachfragen als unzutreffend herausstellte. Die Pressemitteilung war mit dem Wissenschaftler abgesprochen und von ihm frei gegeben worden.

Worum geht es? In einem Panel der empirischen Sozialwissenschaften werden regelmäßig immer wieder die gleichen Personen befragt, so dass es möglich ist, über den erfassten Zeitraum Einstellungs- und Verhaltensänderungen bei den Befragten individuell zu erfassen. Für die Fragestellung waren dafür Auskünfte über einen Zeitraum von 15 Jahren vorhanden (1992 bis 2007). Das ist schon sehr viel, aber mehr eben auch nicht. Es sind somit jeweils die Veränderungen im Verlaufe von 15 Jahren vorhanden, aber keine „Lebensläufe“.

Kern der Studie war dann die Kirchgangshäufigkeit der Befragten, eine Feststellung der formalen Anzahl. Dabei stellte sich u.a. heraus, dass im Laufe der Jahre die Kirchgangshäufigkeit insgesamt abgenommen hat, was allerdings auch jede normale Statistik der Kirchgangshäufigkeit bereits feststellt. Ebenso dass der regelmäßige Gottesdienstbesuch in verschiedenen Altersgruppen schwächer und stärker ausfällt, ist bekannt. Und das in den erfassten 15 Jahren bei allgemein absinkender Häufigkeit des Kirchgangs die älteste Altersgruppe etwas häufiger in die Kirche geht... ein Thema?

Etwas ‚Schmissiges’ für die Öffentlichkeit

Nun geschehen jedoch mit der SOEP-Studie ein paar Veränderungen, die innerwissenschaftlich zwar auch schon grenzwertig wären. Da man es bei den Fachwissenschaftlern aber mit Informierten zu tun hat, kann es von denen angemessen bewertet werden, in der veröffentlichten Meinung für Nicht-Wissenschaftler aber nicht.

Dass die formale Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs auch etwas mit der Intensität eines Gottesglaubens zu tun hat, ist bekannt. Aus dieser häufigen Nähe von Gottesdienstbesuch und Glaubensüberzeugung aber die in den Raum gestellte Qualität einer „Religiosität“ zu formulieren, wie es der Wissenschaftler im Titel seiner Arbeit formuliert überschreitet jede Sorgfaltspflicht. Zudem zeigt sich in dem Titel: „Wie verändert sich die Religiosität im Lebensverlauf? Eine Panelanalyse unter Berücksichtigung von Ost-West-Unterschieden.“ dann auch gleich der zweite Knackpunkt, der behauptete „Lebensverlauf“. Mit anderen Worten: Aus den aufeinander folgenden 15-Jahres-Abschnitten verschiedener Altersgruppen, die persönlich überhaupt nichts miteinander zu tun haben, wird ein kompletter individueller „Lebensverlauf“ konstruiert, was schlicht falsch ist.

Konstruktionen

Insgesamt, so die Studie, gehe die Kirchgangshäufigkeit zwar zurück, aber „vertiefende Analysen zeigen, dass der Übergang in den Ruhestand sowie in Westdeutschland die erste Eheschließung, Kinder im Schulalter und eine Verwitwung, jeweils zu einem Anstieg der Kirchgangshäufigkeit beitragen und den positiven Alterseffekt somit teilweise vermitteln.“ Und wie das DIW mitteilt: „Auch nach dem Tod des Partners gehen sie häufiger in die Kirche. ‚Die Verbindung zu Gott kompensiert für viele Menschen die verloren gegangen Beziehung zum Partner’, vermutet der Soziologe.“ Eine Vermutung, die allerdings nur aufgrund US-amerikanischer Untersuchungen formuliert wurde und sich nicht aus den in Deutschland erhobenen Daten folgern lässt.

Das Fazit: „Im Laufe Ihres Lebens werden die Deutschen immer religiöser“, ist eine derart grobe Falschdarstellung der empirischen Daten, dass es einem beinahe die Sprache verschlägt. Aber es scheint ja so nahe liegend: Die unbekümmerte Jugend geht ja lieber ins Schwimmbad, nur die nachdenklicher werdenden Älteren suchen nach dem Sinn des Lebens und finden eine Antwort in der Kirche ... Und auch das stimmt nicht. Warum Ältere der jetzigen Jahrgänge etwas mehr in die Kirche gehen (statt alle zwei Monate gehen sie nun einmal im Monat) wird durch die nur mengenmäßigen Angaben inhaltlich weder erfasst noch begründbar.

Aber auch diese Falschdarstellung fügt ihr Mosaiksteinchen zu der gebetsmühlenartigen Behauptung einer „Rückkehr der Religionen“. Ein frommer Wunsch.

Länger leben?

Dass derartiger Humbug nicht selten vorkommt, zeigt auch ein Beispiel vom vergangenen Montag. Die Tageszeitung DIE WELT veröffentlichte den Artikel: „Wem Gott zu langem Leben verhilft“ mit der Zusammenfassung: „Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass die Religiosität einen positiven Einfluss auf die Gesundheit und die Lebenserwartung hat. Die beobachteten Effekte sind unabhängig davon, an welchen Gott die Menschen glauben. Religiöse Menschen sind weniger einsam und gestresst. Das ist gut für ihr Herz. Auch Fasten- und Ruhezeiten sind eine sehr gute Gesundheitsvorsorge. Regelmäßige Kirchgänge sollen das Leben zusätzlich verlängern - das sogar um bis zu 14 Jahre.“

Auch ein Humbug. Denn die meisten Menschen, die in einen zweidimensionalen Lebensstil „Schwarz-Weiss-Schema“ leben, die (zu) wissen (vermeinen), was „Gut und Böse“ ist, leben „gesünder“, da sie weniger Stress haben, weniger im Leben riskieren und um Widersprüche kümmern.. Das gilt für Alle, die ein solches Weltbild haben, sei es aus religiöser Sicht oder diversen ideologischen Begründungen oder einfach nur aus Dummheit. Mit Religion hat das alles nur am Rande zu tun.

Ebenfalls am vergangenen Montag verbreitete das anerkannte Ipsos Institut die Meldung: „Jeder vierte Deutsche glaubt an Gott, ...“. Was in dieser Überschrift, die den Prozentsatz von 27 % oder ein Viertel vermeidet, ausgespart bleibt, steht dann im weiteren Text: „Jeder dritte Deutsche glaubt nicht an Gott oder ein höheres Wesen“. So einfach kann man mit Schlagzeilen eine Gottgläubigkeit suggerieren und dabei die Frage vermeiden, was denn die 59 % Kirchenmitglieder in Deutschland glauben, wenn nur ein Viertel der Bevölkerung noch an einen Gott glaubt. Bei den Konfessionsfreien stimmen die Angaben dagegen weitestgehend überein.

C.F.