Aktion "Was glaubt Österreich?" – Kritik eines Nicht-Gläubigen

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Wien, Votivkirche
Wien, Votivkirche

Die aufwändige Aktion "Was glaubt Österreich?", die vom Zukunftsfond unterstützt wurde und im ORF verbreitet wurde, geht nun langsam zu Ende und man fragt sich, was das Ganze gebracht hat und ob es das Geld wert war. Schließlich war auch die Universität Wien involviert und man sprach daher von "Forschung". Dr. Gerhard Engelmayer bezweifelt nicht den unterhaltenden Wert der Aktion für den ORF, denn die Beiträge sind gut gestaltet und interessant. Aber es handelt sich hier nach Aussage des ORF auch um eine repräsentative Studie des Forschungszentrums der Universität Wien. Da gibt es einiges zurechtzurücken.

"Die repräsentative … Studie 'Was glaubt Österreich?' ist Teil des gleichnamigen ORF-Projekts 'Was glaubt Österreich?', das von der ORF-Abteilung für Religion und Ethik initiiert wurde. Für die Studie des Forschungszentrums 'Religion and Transformation in Contemporary Society' der Universität Wien wurden im April und Mai insgesamt 2.160 Personen mit Wohnsitz in Österreich zwischen 14 und 75 Jahren zu ihren Glaubens-, Sinn- und Wertvorstellungen befragt." (Zitat ORF)

Immerhin war der Anspruch: "… unterschiedlichste religiöse und nicht-religiöse Lebens- und Glaubenswelten in ganz Österreich sichtbar zu machen und einander besser kennen und verstehen zu lernen." Während die Glaubenswelten von Gläubigen hell beleuchtet wurden, bestreite ich, dass die Aktion den Anliegen der Nicht-Gläubigen gerecht wurde. In einem kurzen Artikel über Atheisten kam nichts Wesentliches zur Sprache, was die eigentliche Interessenslage und die Erklärungen der Konfessionsfreien anlangt. Daher versuche ich hier ungefragterweise einiges nachzuliefern, was zu einem vollständigen Bild der Situation gehört, immerhin machen die Nicht-Gläubigen mehr als die Hälfte des Publikums aus und – entgegen der landläufigen Meinung – haben Sie sehr wohl etwas dazu zu sagen und Interessen zu verteidigen.

Vorergebnisse

Wenn man von Forschung spricht, so erwartet man, dass man auf den seriösen Forschungsergebnissen aufbaut, die es schon gibt. So wird zum Beispiel seit über 30 Jahren die "Religiosity Study" des renommierten Gallup international Instituts durchgeführt, die über Jahre hinweg sehr konsistente Ergebnisse lieferte. Sie ist, anders als die vorliegende Studie, keine Momentaufnahme, sondern zeigt die Entwicklung der Religiosität und das weltweit. Danach gehört Österreich schon lange zu den Top 13 areligiösen Staaten der Welt, gleichauf mit Deutschland.

Man unterscheidet zwischen "areligiös" und "atheistisch". In Österreich sind 53 Prozent (!) areligiös, rund 20 Prozent davon bezeichnen sich selbst als "Atheisten" (also 10 Prozentpunkte). Die derzeit 42 Prozent Religiösen nehmen seit Jahrzehnten in geradezu naturgesetzlicher Weise beständig ab. Das wird auch in der nahen Zukunft so sein, denn nach einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2018 sind nur mehr 5 Prozent der jungen Leute zwischen 18 und 29 Jahren hochreligiös. 38 Prozent behaupten: "Ich war früher religiöser als heute".

Analyse der Kirchenmitglieder

Zur Erklärung des Phänomens des Mitgliederschwunds der Kirchen gab es bisher kaum Beiträge von Nicht-Gläubigen und wenn, waren es keine Vertreter einer Nicht-Gläubigen Organisation, die sich mit dem Thema befasst haben. Auf die Diskriminierung der Nicht-Gläubigen in diesem Land hat die bekannte Philosophin Lisz Hirn schon 2018 in einem Standard-Artikel hingewiesen.

Dabei ist die Dynamik der religiösen Bindungen eine der Kernfragen, wenn es um gesellschaftliche Entwicklungen geht und bestimmt auch maßgeblich für unser politisches Leben. Gibt es dafür eine vernünftige, gesellschaftlich relevante Erklärung, warum Menschen ausgetreten sind, oder hat man Angst, dass diese Aussagen zu kritisch ausfallen würden?

Eine Erklärung wäre zum Beispiel das Aufkommen der Missbrauchsfälle, die tatsächlich einen Anstieg bei den Austritten gebracht haben. Das erklärt aber nicht den jahrzehntelangen beständigen Mitgliederschwund. Im ORF ist über die Jahre immer nur die Kirche dazu gefragt worden. Seitens Prof. Paul Zulehner sah man "eine Verbuntung der Gesellschaft", zu einer ernsten Analyse des Phänomens kam es nicht.

Religiöse Menschen sind äußerst vielfältig gepolt. Es gibt daher auch wenige Marktforschungen, die gleiche oder auch nur ähnliche Ergebnisse liefern. "Wer Gutes tut kommt in den Himmel" glaubten nach einer Standard-Umfrage aus 2015 gerade noch 14 Prozent. "Es gibt eine Hölle, in der man für schlechte Taten bestraft wird" sagten 2012 in einer Standard-Umfrage nur 2 Prozent, in der Standard-Umfrage aus 2015 sind es 10 Prozent und das, obwohl sich knapp 40 Prozent als religiöse Menschen bezeichnen. Das deutet auf die Ambivalenz solcher Fragestellungen hin.

Ganz andere Ergebnisse liefert eine Market-Umfrage im Auftrag des Standard. Demnach bezeichneten sich 62 Prozent im Jahr 2018 als "Nicht-religiöser Mensch" (ein Jahr davor waren es noch 60 Prozent), wobei die Altersdifferenzierung und das Stadt-Land-Gefälle besonders stark auffällt. In der zukunftsrelevanten Gruppe der 16-29-Jährigen ist die Summe der Nicht-Religiösen um fast 20 Prozentpunkte höher als in der 50+-Gruppe. Im urbanen Raum (Wien) sind über 75 Prozent Nicht-Religiöse zu finden. Politisch orientieren sich die Religiösen eher an der ÖVP, aber auch dort ist fast die Hälfte areligiös.

Auch innerhalb der religiösen Community sind die Vorstellungen nicht konsistent mit dem, was man religiösen Glauben nennt. Denn ein integraler Bestandteil christlicher Theologie ist wohl der Glaube an ein Jenseits mit anschließender Sicherheitsverwahrung in einer sogenannten "Hölle", wenn man den Erwartungen des Gottes, den man anbetet, nicht entsprochen hat. Nach der Standard-Umfrage aus 2012 glaubten interessanterweise nur 10 Prozent, dass es einen Teufel gibt, der das Böse verkörpert. Ungeklärt ist, wo er wohnt und was die fast 30 Prozent glauben, die sich für religiös halten, aber ohne Teufel auskommen, der ein fixer Bestandteil des Katechismus ist, an den nach katholischer Lesart geglaubt werden muss. Nach dieser Umfrage glauben auch nur 16 Prozent an das Herz des katholischen Glaubens, nämlich an die Auferstehung. Dass die Welt von Gott erschaffen wurde, glauben nur mehr 19 Prozent und auch das ist angesichts dessen, dass die Evolution eine wissenschaftliche Tatsache ist, ein erschreckend hoher Prozentsatz, ein Hinweis auf die Wissenschaftsfeindlichkeit in Österreich.

Politische Aspekte und Säkulare Vorstellungen

Es wäre also ein nahe liegendes Ziel der Studie gewesen, zu hinterfragen, wie sehr die vorgegebenen Glaubensinhalte der Kirche noch mit denen der Gläubigen übereinstimmen. Sollte das nicht der Fall sein, muss man nach der Legitimität der politischen katholischen Fraktion fragen, ob wir uns also an einer ernstzunehmenden Gruppe mit einer soliden Weltanschauung politisch orientieren oder an einer religiösen Fata Morgana, die angeblich 49 Prozent der Bevölkerung umfasst, aber zum größeren Teil aus Taufscheinkatholiken besteht. Immerhin sitzen diese Leute im Parlament und entscheiden maßgeblich über unser Schicksal.

Bedenklich ist auch die doppelzüngige Einstellung der Österreicher:innen: Für die meisten sind trotz ihrer bescheidenen Religiosität christliche Inhalte in Schulen und Kindergärten nicht wegzudenken. Drei von vier Befragten (76 Prozent) ist es laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts IMAS wichtig, Kindern und Jugendlichen solche Werte zu vermitteln. Rund sieben von zehn Österreicher:innen sind gegen eine Verbannung von Kreuzen und christlichen Symbolen aus diesen Institutionen.

Säkulare Humanist:innen würden es lieber sehen, dass man den Kindern zuallererst Werte der Aufklärung und kritisches Denken vermittelt, um sie sattelfest zu machen gegen populistische Verführung in totalitäre Bereiche und gegen extreme religiöse Entwicklungen. Es scheint für Humanist:innen klar, dass Religionen eine gewisse Neigung oder Nähe zu totalitären Systemen haben, ein Ergebnis, das durch die ORF-Studie bestätigt scheint. 13 Prozent haben ein offensichtlich totalitäres Bild von Religion, indem sie der Aussage zustimmen, dass "manche Religionen anderen überlegen sind". Es liegt auf der Hand, dass solche Vorstellungen das Eingangstor für gefährliche politische Einstellungen sind, was ernste Konsequenzen nach sich ziehen sollte, denn aus diesem Pool entstammen offensichtlich Leute wie der Villacher Attentäter.

Das Bestehen auf das christliche Erbe vertieft die Kluft zwischen den Klassenkamerad:innen, wo Zusammenhalt geboten wäre. Die übertriebene Betonung des Glaubens im öffentlichen Raum und speziell in der Schule begünstigt den Tribalismus, der Rechts-Populisten das Feld aufbereitet. Jede christliche Propaganda, die wie wir sehen, die oft gar keinen substanziellen Hintergrund hat, ruft religiöse Eiferer auf der anderen Seite auf den Plan. Das einigende Element kann nur die säkulare Sicht auf unser subsidiär gestaltetes Gemeinwesen sein, im Sinne von "Wir sind alle Menschen, die sich in ihrer jeweiligen Identität gegenseitig respektieren!".

Nach humanistischer Lesart gibt es keine muslimischen oder katholischen oder evangelischen Kinder. Sondern nur Kinder, die das Recht auf eine eigene Entwicklung haben, um ihre Potenziale bestmöglich auszuschöpfen. (Genaueres kann man in der Untersuchung aus dem Jahr 2018 nachlesen.)

Ökonomie und Religion

Vollkommen ausgeblendet ist der bedeutende Zusammenhang zwischen ökonomischem Wachstum und Religion, der in fast jeder Gallup Summary über Religiosität hervorgehoben wird. Die These ist: "Je ärmer, je religiöser!" In der Atheismus-Skala finden sich die reichen Länder des Westens fast alle ganz oben (Ausnahme: China).

Laut einer Analyse des Pew Research Centers aus dem Jahr 2015 ergibt sich ein klarer hyperbolischer Zusammenhang zwischen Religiosität und Einkommen. Die Kernfrage lautet: "Was war zuerst, die Säkularisierung und damit der Religionsverlust oder das ökonomische Wachstum mit der Säkularisierung als Folge?"

Diese Problematik ist von eminenter politischer Brisanz und ich hätte von so einer Studie "Was glaubt Österreich?" erwartet: Welche konkrete Lehre können wir hier ziehen? Aus Sicht eines säkularen Humanisten ist diese Frage jahrzehntelang unter den Tisch gekehrt worden. Sollte die Säkularisierung tatsächlich die ökonomische Entwicklung positiv beeinflussen muss sie gefördert werden oder zumindest, wie von mir schon 2016 in einem Gastkommentar in der Presse gefordert, in der Verfassung klar verankert werden.

Niemand denkt darüber nach, dass sich in diesem sich ergebenden Bild eine österreichische Lebenslüge offenbart: Wir tun alle so, als würden wir des Kaisers neue Kleider sehen, obwohl wir sie nicht sehen können. Nur die Kinder können uns retten, wie in dem Märchen von Andersen, die aber stecken wir nach wie vor in konfessionelle Schulen, um gesellschaftliche Angepasstheit zu demonstrieren. (Deshalb sind diese Schulen nach wie vor erheblich gegenüber anderen privilegiert.)

Diese Lebenslüge ist in die österreichische DNA eingegangen und stellt gewissermaßen sogar einen Wohlfühlfaktor der Angepasstheit dar, bedeutet aber auch, dass Österreicher auch ohne Wahrhaftigkeit gut leben können. Die insgeheime Areligiosität bei gleichzeitigem geheucheltem Taufscheinkatholizismus aufzudecken, wäre ein hehres Ziel dieser Studie gewesen. Anstatt dessen wurde der Wohlfühlcharakter der religiösen Lebensführung betont, der nur mehr für sehr wenige Menschen in Österreich zutrifft. Dabei fehlen die Gegenbeispiele der Wirklichkeit, was den fahlen Beigeschmack der Werbung für Religionsgemeinschaften aufkommen lässt. Schließlich ist es ja in der Tat so, dass auf der einen Seite eine sehr mächtige Kirche mit einem ungeheuren Apparat steht und auf der anderen, areligiösen, säkularen und humanistischen Seite gibt es niemanden, der im Vorfeld auch nur eingebunden gewesen wäre, geschweige denn, in solchen Fällen mitarbeiten darf.

Freiheit beginnt mit Genauigkeit. Es wäre an der Zeit, dass die Religionsabteilung des ORF sich unter dem Titel "ORF für alle" auch um die Anliegen der 53 Prozent Nicht-Religiösen und der 25 Prozent Konfessionsfreien kümmert und die Zusammenarbeit mit Nicht-Religiösen und Konfessionsfreien sucht.

Wenn der Anspruch wirklich war: "… unterschiedlichste religiöse und nicht-religiöse Lebens- und Glaubenswelten in ganz Österreich sichtbar zu machen und einander besser kennen und verstehen zu lernen", dann ist als nächster Schritt die Einführung des gemeinsamen Religionen- und Ethikunterrichtes anzuraten, der dieses Ziel dann sehr effizient schon von Kindesbeinen an verfolgen würde.

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