MASTERSHAUSEN. (hpd/gbs) Die Giordano Bruno Stiftung verteidigt die Vergabe des Ethik-Preises. Der behindertenpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Markus Kurth, hatte die Verleihung des Ethik-Preises an die Initiatoren des Great Ape Projekts, Paola Cavalieri und Peter Singer, als „falsches Signal“ kritisiert.
Der Vorstand der Giordano Bruno Stiftung stellt dagegen fest, dass die Preisvergabe „genau das richtige Signal zur richtigen Zeit“ sei – nicht nur, um auf die Anliegen der Tierrechtsbewegung aufmerksam zu machen, sondern auch, um die „Prinzipien einer aufgeklärten Streitkultur“ zu verteidigen.
In einer Stellungnahme, die auf der Plattform der „Kooperation Behinderter im Internet e.V.“ (kobinet) am Montagabend veröffentlicht wurde, erklärte der grüne Bundestagsabgeordnete Markus Kurth, die Preisvergabe sei „ein Schlag ins Gesicht aller Menschen mit Behinderungen“. Die von der Giordano-Bruno-Stiftung wie auch von Peter Singer vertretene Auffassung, „kranke und behinderte Menschen mit allen Mitteln zu fördern, nicht aber Krankheit und Behinderung“, lehnte er ab. Der Grünen-Politiker bezeichnete es als „Irrglauben“, das eine vom anderen trennen zu können. Behinderungen seien, so Kurth, Ausdruck menschlicher Vielfalt und es sei geboten, „diese Vielfalt positiv zu betrachten, sie zu fördern und zu unterstützen“.
„Mir stockte der Atem, als ich diesen Satz las, und ich kann nur hoffen, dass Kurth es nicht so gemeint hat, wie es in dieser Pressemeldung geschrieben steht“, erklärte dazu gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon am heutigen Dienstagmorgen. „Denn wenn wir diesen Ausspruch wörtlich nehmen, so heißt das, dass wir die Grünenthal GmbH dafür hätten belobigen müssen, dass sie die menschliche ‚Vielfalt‘ im Zuge des Contergan-Skandals ‚förderte und unterstützte‘. Tatsächlich aber wurde das Unternehmen zu Recht dazu verurteilt, Entschädigungszahlungen in dreistelliger Millionenhöhe zu entrichten. Den berechtigten Forderungen behinderter Menschen auf angemessene Hilfe erweist man mit solchen Verlautbarungen, die ernsthafte Behinderungen als bloßen Ausdruck von ‚Vielfalt‘ bagatellisieren, einen Bärendienst. “
Warnung vor logischen Fehlern in der Argumentation
Zur grundsätzlichen Position der Stiftung, man müsse „Kranke und Behinderte fördern – nicht aber Krankheit und Behinderung“ erläuterte der Philosoph: „Wir müssen alle Mittel zur Verfügung stellen, damit Menschen, die etwa unter Krebs oder Spina bifida leiden, die bestmögliche Versorgung erhalten, so dass sie ein lebenswertes Leben führen können. Gleichzeitig müssen wir jedoch darauf hinwirken, dass Krebserkrankungen oder schwere Behinderungen wie Spina bifida seltener auftreten.“ Gegen Spina bifida helfe beispielsweise die frühzeitige Einnahme von Folsäure, wenn auch nicht in allen Fällen. Sollten sich Mütter dazu entschließen, Föten mit Spina bifida nicht auszutragen, sei dies ethisch keineswegs illegitim, da Föten noch „kein personales Ich-Bewusstsein“ besitzen: „Ich kann zwar verstehen, dass sich erwachsene Spina bifida-Patienten bei dieser Vorstellung unwohl fühlen“, sagte Schmidt-Salomon, „aber es ist ein logischer Fehler, die Erwachsenen-Perspektive auf Föten oder gar Embryonen zu übertragen. Fakt ist: Hätte meine Mutter einst die Schwangerschaft mit mir unterbrochen, hätte ‚ich‘ damit keine Probleme, denn dieses ‚Ich‘, das ich heute bin, hätte es gar nicht gegeben.“
Peter Singer habe mit seinen bioethischen Veröffentlichungen auf solche logischen Sachverhalte aufmerksam machen wollen, führte der Stiftungssprecher aus. Weder Singer noch die Giordano-Bruno-Stiftung hätten dabei aber jemals – wie Markus Kurth unterstellte – behauptet, dass Krankheit und Behinderung „automatisch“ bedeuteten, dass die Betroffenen kein lebenswertes Leben führen würden: „Eine solche Aussage wäre doch auch völlig absurd! Jeder von uns kennt Menschen, die trotz schwerer Behinderungen oder Krankheiten ihr Leben nicht nur genießen, sondern in bewundernswerter Weise meistern. An dem, was sie leisten, können sich viele ‚gesunde Menschen‘ ein Beispiel nehmen. Aber: Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht verdrängen, dass es mitunter schwerwiegende Behinderungen oder Krankheiten gibt, die so schreckliche Qualen erzeugen, dass es sehr wohl vernünftig erscheinen kann, den Tod dem Leben vorzuziehen. Ich denke da etwa an Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium oder an besonders schwere Fälle von Spina bifida. Natürlich muss man, wenn man angesichts solcher Fälle humane Sterbehilfe erlauben möchte, sehr genau den Rahmen abstecken, damit dies nicht katastrophale Folgen nach sich zieht. So muss beispielsweise absolut klar sein, dass aus dem Recht, selbstbestimmt sterben zu dürfen, niemals eine Pflicht erwachsen darf, fremdbestimmt sterben zu müssen!“
Besonders heikel sei das Thema „Sterbehilfe“ bei Säuglingen, die im Unterschied zu Erwachsenen ihren eigenen Willen nicht bekunden können. Hier müsse man darauf setzen, dass die Eltern in Absprache mit erfahrenen Ärzten, die Entscheidung treffen, die für ihr Kind mutmaßlich die beste ist. Das sei zweifellos problematisch, meinte Schmidt-Salomon, aber die Praxis, hoffnungslos geschädigte Neugeborene gegen den Willen der Eltern über Monate hinweg sinnlosen Operationen und Schmerzen zu unterziehen, bis sie am Ende völlig entkräftet und gemartert sterben, sei nicht weniger problematisch.
„Das richtige Signal zur richtigen Zeit“
Über all diese wichtigen Themen hätte man schon in den 1980er Jahren ernsthaft diskutieren sollen, als Peter Singers „Praktische Ethik“ erstmals auf Deutsch veröffentlicht wurde, sagte Schmidt-Salomon, der sich in seiner jüngst erschienenen Philosophie-Einführung „Leibniz war kein Butterkeks“ ebenfalls eindeutig zur „Singer-Kontroverse“ geäußert hatte. Doch zu einer fruchtbaren gesellschaftlichen Debatte, in der auch Schwächen der ursprünglichen Konzeption Singers hätten revidiert werden können, sei es damals gar nicht erst gekommen. Statt rational und fair über die Inhalte zu streiten, seien einzelne Passagen aus Singers Schriften herausgegriffen worden, ohne den Kontext der Argumentation zu beachten: „So entstand das Zerrbild des ‚Killerphilosophen Singer‘, mit dem man angeblich nicht diskutieren dürfe, sondern den man mundtot machen müsse. Die beschämenden Folgen dieser lawinenartig sich ausbreitenden Rufmordkampagne hat Peter Singer 1994 im Nachwort der revidierten Neuauflage seines Buchs ‚Praktische Ethik‘ beschrieben.“
Insofern sei die anstehende Preisvergabe in Frankfurt genau „das richtige Signal zur richtigen Zeit“, betonte der Stiftungssprecher. „Ich sehe darin ein Signal für die Prinzipien einer aufgeklärten Streitkultur, in der man einander zuhört, statt sich gegenseitig zu diffamieren, ein Signal für die Prinzipien der Toleranz und der Meinungsfreiheit, die unerlässlich sind für das friedliche Zusammenleben in einer modernen, pluralen Gesellschaft. Ich hoffe, dass wir mittlerweile in der Lage sind, über solch wichtige Themen etwas vernünftiger und zivilisierter zu diskutieren als noch vor 20 Jahren.“
„Im Zentrum der Preisverleihung stehen die Ziele der Tierrechtsbewegung“
Schmidt-Salomon erinnerte in seinem Statement aber auch an den eigentlichen Zweck der Preisverleihung, der in der gegenwärtigen Debatte nicht untergehen sollte: „Es geht uns am kommenden Freitag nicht um Fragen der Sterbehilfe oder um Fragen der Selbstbestimmungsrechte von Behinderten, die wir als humanistische Stiftung selbstverständlich unterstützen. Im Zentrum unseres Festakts stehen die Anliegen der Tierrechtsbewegung, insbesondere die Forderungen des ‚Great Ape Projekts‘, das von Paola Cavalieri und Peter Singer 1993 initiiert wurde und dem sich viele prominente Forscherinnen und Forscher angeschlossen haben. Wir meinen, dass wir nicht tatenlos zusehen dürfen, wie unsere nächsten biologischen Verwandten systematisch missbraucht, gefoltert, getötet werden. Unseres Ermessens ist der historische Moment gekommen, um nach Nationalismus, Rassismus und Sexismus endlich auch die Schranke des ‚Speziesismus‘ zu überwinden, der die Diskriminierung von Lebewesen allein aufgrund ihrer Artzugehörigkeit rechtfertigt. Deshalb freue ich mich sehr, dass bei unserer Preisverleihung in Frankfurt zahlreiche Tierrechtsorganisationen mit Infoständen vertreten sind.“
Da der Festakt zur Verleihung des „Ethik-Preises 2011“ ausschließlich tierethischen Fragen gewidmet sei, biete der Abend keine Gelegenheit, seriös über behindertenpolitische Fragen zu diskutieren, sagte Schmidt-Salomon. Er erklärte jedoch, dass er bereits Kontakt mit Vertretern von Behindertenorganisationen aufgenommen hätte, um möglichst zeitnah eine gemeinsame Veranstaltung auf die Beine zu stellen: „Ich würde in diesem Zusammenhang gerne begründen, warum es in meinen Augen keinen Widerspruch darstellt, Peter Singer als Tierrechtler zu ehren und gleichzeitig entschieden für die Selbstbestimmungsrechte behinderter Menschen einzutreten. Sollte ich mich in diesem Punkt irren, lasse ich mich im Rahmen einer fairen, offenen Diskussion natürlich eines Besseren belehren. Bislang aber sind mir trotz intensiver Beschäftigung mit dem Thema noch keine seriösen Belege begegnet, die in diese Richtung deuten würden.“
Zur Debatte um Peter Singer (27. Mai 2011)