Rückkehr des Religiösen? Nein.

(hpd) Der Religionssoziologe Detlef Pollack legt eine Sammlung von Aufsätzen vor, welche die Kritik an der Säkularisierungsthese einer empirischen Prüfung mit negativem Ergebnis unterziehen. Die jeweiligen Abhandlungen zu diesem Themenkomplex beeindrucken durch die Verkopplung von Daten empirischer Umfragen mit Reflexionen aus religionssoziologischer Perspektive.

Die Klassiker des sozialwissenschaftlichen Denkens sahen in der Religion ein gesellschaftliches Phänomen, das im Kontext einer kontinuierlichen Modernisierung der Gesellschaft schwinden würde. Gegen diese Auffassung stellt sich seit gut zwei Jahrzehnten eine gegenteilige Position: Danach sei die Säkularisierungsthese gescheitert und man müsse von einer Rückkehr der Religionen ausgehen. Doch treffen hiermit einhergehende Annahmen überhaupt zu, lassen sich dafür empirische Belege erbringen? Dieser Frage geht der studierte Theologe und Professor für Religionssoziologe Detlef Pollack in seinem Buch „Rückkehr des Religiösen? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland und Europa“ nach. Es ist sein Anliegen, „für die bleibende Gültigkeit des Säkularisierungstheorems empirische Evidenz beizubringen und die Bereitschaft zum differenzierten Umgang mit den Aussagen der Modernisierungs- und Säkularisierungstheorie zu stärken, was nicht heißen muss, zu alten Einsichten zurückzukehren, wohl aber, mit ihnen produktiv umzugehen“ (S. 10).

Der Band besteht aus vierzehn Kapiteln, die in zwei Teile gegliedert sind: Unter „Religion und Moderne: Theoretische Überlegungen“ finden sich Beiträge zu religionssoziologischen Modellen, Deutungen und Umfragen zur Säkularisierung in Westeuropa, dem religiösen Feld in Osteuropa, der Entwicklung von Religion und Kirche in Ost- und Westdeutschland, dem Status der Kirche zwischen Staat und Zivilgesellschaft, der Wahrnehmung „neuer religiöser Vielfalt“ unter den Deutschen, den Formen individueller Bindung an die Kirchen und den Gründen für einen Wiedereintritt in die Kirchen. Unter „Historische Perspektiven“ geht es um die Frage der Kontinuität der nationalkonservativen Ausrichtung des deutschen Protestantismus, die Entwicklung des westdeutschen Protestantismus in den 1960er und 1970er Jahren, den Wandel der evangelischen Kirchen in der DDR, den Wandel des evangelischen Abendmahlverständnisses, den Kontingenzbegriff als funktionalen Bezugspunkt der Religion und religionssoziologische Reflexionen zur Konversion.

Entgegen manch berechtigter Einwände von Kritikern sieht Pollack das Säkularisierungstheorem keineswegs als widerlegt an: „Was für die Säkularisierungsthese gilt, hat auch für die Kritik an ihr zu gelten: es genügt nicht, ihre theorielogischen, kulturellen und sozialen Ursprünge ausfindig zu machen und aus dieser Genealogie ihre Zurückweisung abzuleiten. Erforderlich ist es vielmehr zu prüfen, inwieweit die Kritik an der Säkularisierungsthese empirisch berechtigt ist“ (S. 14). Der Autor geht vor einer solchen Prüfung zunächst aber noch auf der methodischen Ebene auf deren Stärken und Schwächen im Vergleich mit der Individualisierungsthese und dem ökonomischen Marktmodell ein. Danach wertet er einschlägiges statistisches Material aus Umfragen aus, welches sich auf die Entwicklungen in westeuropäischen Ländern bezieht. Dies führt Pollack zu folgender Erkenntnis: „Von einer Renaissance des Religiösen kann sowohl hinsichtlich des Kirchgangs als auch hinsichtlich des Gottesglaubens in Westeuropa ... keine Rede sein“ (S. 85).

In den Texten findet man eine Reihe von bemerkenswerten Erkenntnissen zu Kontexten von Abkehr und Akzeptanz religiösen Glaubens. So veranschaulicht etwa eine Tabelle bezogen auf ausgewählte Länder Westeuropas, dass der Gottesglaube in Ländern mit relativ hohem Bruttoinlandsprodukt eher gering und in Ländern mit relativ geringem Bruttoinlandsprodukt eher hoch ist (vgl. S. 93). Pollack bleibt bei all seinen Darstellungen und Interpretationen bezüglich der Religion neutral, hält sie weder für „gut“ noch „schlecht“, sondern fragt differenziert nach ihrer Rolle in der Gesellschaft. Gerade in der kühlen Konfrontation des empirischen Datenmaterials mit der theoretischen Deutung besteht die Würze seiner Studien. Aus verschiedenen Aufsätzen, die bereits an anderen Orten erschienen, hat er mit „Rückkehr des Religiösen?“ ein eigenes Buch zusammengestellt. Nicht alle Texte vor allem im zweiten Teil passen zu seinem eigentlichen Anliegen, aber gerade die ersten Abhandlungen zu einer kritischen Prüfung der Auffassung von einer „Rückkehr der Religion“ verdienen Interesse.

Armin Pfahl-Traughber

 

Detlef Pollack, Rückkehr des Religiösen? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland und Europa II, Tübingen 2009 (Mohr Siebeck), 367 S., 34,00 €