Trennung von Konfession und Staat ethisch geboten

GRAZ. (hpd) Wie entstand Religion und welche Funktionen erfüllt sie noch heute? Vom Sinnstreben, einem nebensächlichen Gott und der Notwendigkeit, dem Missbrauch von Religiosität in Verbindung mit Politik entgegenzuwirken – referiert und diskutiert in Graz.

Die Regionalgruppe Österreich im Förderkreis der Giordano Bruno Stiftung hatte am 16. Juni 2011 zum Thema „Wahrheit und Wirklichkeit, Religion im 21. Jahrhundert“ eingeladen. Zwei Impulsreferate von DI Dr. Gerfried Pongratz (Reli-gion als natürliches Phänomen) und Mag. Dr. Erich Satter (Orientierung im Dasein zwischen Christentum und Atheismus) boten den Einstieg zu einem spannenden philosophischen Diskussionsabend. Beiden Vortragenden war daran gelegen, Religionen als Kulturphänomene zu verstehen, wenngleich aus verschiedenen Richtungen beleuchtet: Einerseits als Resultat evolutionär bedingter Entwicklungen, andererseits als Ausdruck philosophischen Denkens.

Religion als natürliches Phänomen

Religion ist (wie Daniel Dennett in seinem Buch „Den Bann brechen“ festgestellt hat) wissenschaftlich untersuchbar und als evolutionär entwickeltes, wichtiges menschliches Bedürfnis erklärbar. Gerfried Pongratz erläuterte in seinem Vortrag, wie Religionen – ohne übernatürliche Elemente zu benötigen – entstanden sind und sich vom Animismus über Volksreligionen hin zu organisierten Religionen entwickelten.

Zu den wichtigsten evolutionären Grundlagen der Religionsentstehung zählen: Die Annahme von Akteuren, das Abschätzen ihrer Intentionen (und deren Beeinflussung durch Rituale), Voreinstellungen im Nervensystem (Rätselhaftes wird besser erinnert), Hypothesenbildung (als Überlebensstrategie) und Autoritätsgläubigkeit (Kinder müssen blind vertrauen können). Die Idee des Zufalls ist evolutionär sehr jung und bei Naturvölkern auch heute noch nicht zu finden – alle Ereignisse bzw. Erscheinungen besitzen Bedeutung, allen werden (göttliche) Verursacher mit Intentionen zugeschrieben.

Religionen besitzen zudem wichtige Funktionen: Unerklärliches erklären, sozialen Zusammenhalt fördern, Trost im Leiden spenden, die Angst vor dem Tod mildern. Alles, was uns wertvoll ist – dazu gehört für sehr viele Menschen auch die Religion –, ist dies aus evolutionären Gründen. Die Gehirne von Tier und Mensch haben sich entwickelt, um mit den spezifischen Problemen der Umwelt und eigenen Existenz zurecht zu kommen.

Gegenmaßnahme: Bildung und Aufklärung

In der kulturellen Evolution breiten sich Ideen als „Meme“ (Gedankeneinheiten, die sich durch Kommunikation ihrer Träger vervielfältigen) auf natürlichem Wege in den Kulturen aus. So auch die Meme der Religionen, wobei immer dort Gefahr droht, wo sich Ideen als absolute Wahrheiten verstehen und, daraus resultierend, sehr leicht zu Intoleranz und Fundamentalismus führen. So bedingen Religionen – neben wichtigen positiven – häufig auch sehr negative Entwicklungen wie Verfolgung, Krieg und Fortschrittsunterdrückung. Die Geschichte der Menschheit spiegelt dies (besonders bei monotheistischen Religionen) deutlich wider.

Als Gegenmaßnahme kann nur Bildung und Aufklärung dienen. Das wesentliche Ziel der Giordano Bruno Stiftung besteht deshalb nicht zuletzt darin, Menschen anhand neuester Erkenntnisse der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften behutsam so aufzuklären, dass sie – frei von Schuldgefühlen und „außernatürlichen“ Ängsten – informiert Entscheidungen über ihr eigenes Leben treffen können.

Orientierung im Dasein zwischen Christentum und Atheismus

Erich Satters Referat mit dem Untertitel „Der ambivalente Umgang mit den Begriffen Religion und Gott“, erläuterte aus philosophischer Sicht einen sehr weit gefassten Religionsbegriff. Satter definiert Religion als „höchste Reflexion von Geist und Gefühl“. Im menschlichen Selbst reflektiert die Ratio mit Emotionen, wenn es um Fragen des Woher? Wohin? Wozu? geht. Diese Definition steht in der Tradition von Cicero, der Religion von relegere, Sinnstreben, ableitete und Poseidonius, der dieses Sinnstreben auf die Formel „ein allen Menschen eigentümlicher Drang, die Wahrheit und Wirklichkeit der Welt zu erforschen“ brachte.

Erst ca. 300 Jahre später leitete der nordafrikanische Schriftsteller Lactantius Religion von dem Verbum relegare „anbinden, festbinden“ ab, was eine Rückbindung an soziales Verhalten und metaphysische Vorstellungen bedeutete. Eine ideologiefreie Deutung aus den beiden Wurzeln, relegere und relegare, könnte, so Satter, zu „Orientierung im Dasein in sozialer Gebundenheit und Reflexion von Geist und Gefühl“ führen.

Die Gottesfrage ist nebensächlich

In einer natürlichen Religion ist der Mittelpunkt nicht Gott, der der Metaphysik bedarf, sondern das Sein – womit die Gottesfrage eher nebensächlich wird. Für viele Menschen ist Religion Staunen und Bewunderung, das Erlebnis geistigen Interesses oder dem scheinbar Sinnlosen einen Sinn zu geben. Im Sinne von Max Scheler, der Gott als Spätling der Religion bezeichnete, gibt es daher für Satter auch religiöse Atheisten.

Satter unterscheidet zwischen 1. dem naivem Glauben, wie ihn die Bibel lehrt, 2. dem positiven Glauben der Theologen, für die „Gott“ zwar nur ein operativer Begriff ist, die aber fest davon überzeugt sind, dass sich der „Mörderaffe“ Mensch nur aus Furcht vor dieser Metapher in moralischen Schranken halten lässt und 3. dem spekulativem Glauben, der für den Missbrauch von Religion steht.

Die Trennung von Konfession und Staat ist ethisch geboten

Dem Missbrauch von Religiosität in Verbindung mit Politik ist entgegenzuwirken, eine Trennung von Konfession und Staat ethisch geboten. Die Forderung nach einer gott- und religionslosen Gesellschaft würde jedoch nicht nur gegen ethische Toleranz verstoßen, sondern auch verkennen, dass Religion zum Menschsein gehört, wie Sprache und Kunst. Sinnvoller wäre eine strikte Trennung von Recht und Moral.

In der anschließenden – auf hohem Niveau geführten – Diskussion ging es u.a. um Fragen der Ethik, um die Trennung von Recht und Moral, um Kants Definition von Wahrheit, um aus der Evolution ableitbare Religionsbegriffe sowie um die Vertretung der Interessen von Menschen, die sich dem absoluten Wahrheitsanspruch von Religionen nicht unterordnen können oder wollen.


Hanspeter Kriegl
www.giordano-bruno-stiftung.at