Nicht einfach weitermachen, sondern Wandel gestalten; Lebensfreude statt Untergangsstimmung; gemeinsames Handeln statt erhobenem Zeigefinger: Der 9. Cradle to Cradle Congress zeigte, wie Zukunft gelingt. Unter der Schirmherrschaft von Bundesumweltministerin Steffi Lemke versammelten sich am 13. und 14. März rund 80 Redner und 1.000 Teilnehmer aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft an der TU Berlin.
Angesichts der beginnenden Koalitionsverhandlungen, der Einigung zwischen Grünen, SPD und Union auf ein milliardenschweres Finanzpaket, des New Industrial Deal auf EU-Ebene und der kürzlich verabschiedeten Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie wurde auf dem Kongress eines klar: Einzellösungen reichen nicht aus.
"Der 9. Cradle to Cradle Congress machte deutlich: Wir stehen nicht vor der Wahl zwischen 'weiter so' und 'Verzicht'. Gerade in Krisenzeiten ist es wichtiger denn je, Lösungen gemeinsam zu denken. Echter Wandel erfordert mehr als Schadensbegrenzung. Er verlangt eine konsequente Transformation hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft. Nur Cradle to Cradle bietet diesen ganzheitlichen Ansatz", erklärten Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen, geschäftsführende Vorstände von Cradle to Cradle NGO.
Prof. Dr. Fatma Deniz, Vizepräsidentin für Digitalisierung und Nachhaltigkeit an der TU Berlin, sagte: "Cradle to Cradle ist mehr als ein Konzept, es ist ein grundlegendes Umdenken in der Art, wie wir produzieren und konsumieren. Es zeigt uns Wege auf, die uns mehr Lebensqualität versprechen, auch im Alltag. Die vielen Best Practices auf diesem Kongress verdeutlichen das. Deshalb sind die TU Berlin und ich stolz, Gastgeber dieser wichtigen Veranstaltung zu sein."
Vielfältige Stimmen, gemeinsame Ziele
Was in aktuellen gesellschaftlichen Debatten oft unmöglich erscheint, war auf dem Kongress spürbar: Menschen aus allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen vereint unter einem Dach, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.
In seiner Keynote betonte Dr. Eckart von Hirschhausen, dass reaktive Lösungen nicht zielführend seien und die Ursachen der Probleme nicht angingen. Ein Beispiel sei die Luftverschmutzung in Großstädten, verursacht durch Reifenabrieb, dessen Partikel sich in unseren Lungen absetzen. "In vielen Städten hat jeder dritte Mensch ein Asthmaspray, was jedoch nicht das Problem löst, sondern nur die körperliche Reaktion unterdrückt", sagte Hirschhausen. Um das Bewusstsein für zusammenhängende Probleme zu schärfen, sei es notwendig, eine "Kommunikation zu finden, die uns unter die Haut geht, die nicht nur die Netzhaut erreicht, sondern uns wirklich innerlich berührt." "Lasst uns also Cradle to Cradle denken, denn die nächste Generation ist schon unterwegs", schloss Dr. Eckart von Hirschhausen.
Sarah Ryglewski, Staatsministerin im Bundeskanzleramt, unterstrich den ganzheitlichen Ansatz: "Es geht um mehr als das, was früher unter Kreislaufwirtschaft verstanden wurde. Recycling ist wichtig und spielt eine zentrale Rolle in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Entscheidend ist, dass wir bereits bei der Entwicklung von Produkten und Geschäftsmodellen darüber nachdenken, was am Ende ihres Lebenszyklus steht und wie sie wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden können. Wenn man es vernünftig zu Ende denkt, muss man auch beim Thema Transformation unserer Industrie, unserer Art zu wirtschaften und zu leben, ganzheitlicher denken, also Cradle to Cradle. Dafür müssen wir politische Rahmenbedingungen schaffen, die diesen Prozess erleichtern."

Auch aus Unternehmensperspektive wurde klar: Cradle to Cradle (C2C) ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftliche Chance. Rund 50 Unternehmen teilten ihre Erfahrungen und Best Practices – von C2C-Pionieren, die Cradle to Cradle seit über zehn Jahren erfolgreich umsetzen, über junge Unternehmen, die den Ansatz von Anfang an mitdenken, bis hin zu etablierten Konzernen, die mit ersten Cradle to Cradle- und Circular Economy-Ansätzen ihren Weg aus der Linearität finden möchten. Von der kommenden Bundesregierung erwarten diese Unternehmen, dass die in den vergangenen Jahren entwickelten Leitplanken, wie die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie, weitergeführt und weiterentwickelt werden. Noch, so der Tenor, stimmen die politischen Rahmenbedingungen nicht mit dem Ziel einer Kreislaufwirtschaft überein.
Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall und Beirätin von C2C NGO, sagte: "Ich bin schon lange bekennender Cradle-to-Cradle-Fan. Wir sagen als IG Metall: Cradle to Cradle ist eine große Chance für den fairen Wandel und den ökologischen Umbau, den wir in diesem Land und in Europa brauchen. Der Weg ist noch lang und steinig, aber wir stehen nicht mehr am Anfang. Ein modernes Auto besteht aus 10.000 Teilen – Stahl, Aluminium, Gusseisen, Elektronikkomponenten und vielen Kunststoffen. Wir sind der Meinung, dass vieles, was im Auto steckt, wiederverwendet werden kann und sachgerecht von der Wiege zur Wiege zu etwas Neuem werden kann."
"Wir bei dm haben einen hohen Anteil an Rezyklaten", so Kerstin Erbe, Geschäftsführerin der Drogeriemarktkette. "Heute gehen wir in Vorleistung, da wir für Rezyklate doppelt so viel zahlen wie für Virgin Plastic. Deswegen skaliert es nicht." Eine Einspeisevergütung könne ein gutes Instrument sein, um diese Wettbewerbsverzerrung zu beheben, so Erbe weiter. Diese könne mit einer CO2-Gutschrift kombiniert werden, da Rezyklat weniger CO2-intensiv sei als neue Kunststoffe.
Der Bausektor ist in Teilen bereits mitten in der Transformation hin zu C2C angekommen, jedoch fehlen auch hier die politischen Rahmenbedingungen. In seiner Keynote betonte Dr. Peter Mösle, Gesellschafter und Senior Executive bei Drees & Sommer SE sowie EPEA GmbH, die Bedeutung des digitalen Gebäuderessourcenpasses als "Instrument und einziger Schlüssel des zirkulären Bauens". Vom Design bis zur Herstellung und Verwendung von Produkten in Gebäuden sei es wichtig zu wissen, in welcher Qualität und Quantität Materialien verwendet werden, um zirkuläres Bauen ganzheitlich umzusetzen und zu monetarisieren. "Nur mit diesem Ressourcenpass und einem einheitlichen Standard auf europäischer Ebene können wir Cradle to Cradle im Bausektor flächendeckend umsetzen", so Mösle.
Auch Junhua Li, Untergeneralsekretär für Wirtschaft und Soziales der Vereinten Nationen (UN), hob Cradle to Cradle als Lösung hervor: "Die Kreislaufwirtschaft, die nun in den Vereinten Nationen anerkannt ist, bietet eine transformative Lösung, die Antworten auf dringende Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung liefert. Das regenerative Modell zur Beseitigung von Abfall unterstützt die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Der Übergang von einem traditionellen linearen Modell zu einer stärker zirkulären Wirtschaft ist absolut essenziell. Dies ist ein äußerst wirkungsvoller Katalysator für die Agenda 2030."
Der Kongress zeigte, dass Cradle to Cradle bereits in vielen gesellschaftlichen Bereichen gelebte Praxis ist. Die vorgestellten und diskutierten Produkte, Unternehmen, Projekte und Prozesse bieten nicht nur einen Ausblick auf eine lebenswerte Zukunft, sondern auch einen klaren Handlungsrahmen für die kommenden Jahre.
