Kommunismuskritik von Ehemaligen

(hpd) Der Historiker Mario Keßler portraitiert in seinem Buch ehemalige Kommunisten, die mit Bewegung, Ideologie und System brachen und kritische Studien zu deren Entwicklung und Inhalten vorlegten. Der Band beeindruckt durch seinen hohen Informationsreichtum zu Leben und Werk der drei Genannten, hätte aber noch stärker analytisch und vergleichend ausgerichtet sein können.

 

Kritik an den kommunistischen Diktaturen und Parteien formulierten in der Nachkriegszeit nicht nur „Kalte Krieger“ und konservative Rechte. Einwände und Vorbehalte kamen auch von Anhängern der politischen Linken, wobei die einschlägigen Intellektuellen und Wissenschaftler mitunter zuvor selbst Anhänger oder Mitglieder einer Kommunistischen Partei waren. Dafür stehen exemplarisch Albert Camus, Arthur Koestler oder Ignazio Silone. Für die Bundesrepublik Deutschland gehörten dazu drei Personen, die der Potsdamer Historiker Mario Keßler in seinem Buch „Kommunismuskritik im westlichen Nachkriegsdeutschland. Franz Borkenau, Richard Löwenthal, Ossip Flechtheim“ ausführlich als Protagonisten einer solchen Kritik vorstellt. Dabei will er vor allem den Zusammenhängen zwischen biographischer Erfahrung und wissenschaftlichem Werk nachgehen. Alle drei Genannten gehörten zeitweise der „Kommunistischen Partei Deutschlands“ (KPD) an, brachen aber mit ihr und entwickelten sich zu grundlegenden Kritikern des Kommunismus.

Franz Borkenau (1900-1957) war in der Weimarer Republik Leiter des KPD-Studentenbundes, wandte sich aber bereits Ende der 1920er Jahre von der kommunistischen Bewegung ab. Im Exil schrieb der spätere Marburger Geschichtsprofessor ausführliche Abhandlungen zur Kommunistischen Internationale und dem stalinistischen Totalitarismus. Richard Löwenthal (1908-1991) wurde Nachfolger Borkenaus als Leiter des KPD-Studentenbundes, distanzierte sich aber in den 1930er und 1940er Jahren immer stärker vom Kommunismus als Partei und System. Als Professor an der FU Berlin legte er ab 1961 eine Reihe von kritischen Studien zur Entwicklung der Sowjetunion vor. Und auch Ossip Flechtheim (1909-1998) gehörte in der Endphase der Weimarer Republik der KPD an und emigrierte nach 1933 über Umwege in die USA. Nach der Rückkehr nach Deutschland legte er kritische Studien zur Geschichte der KPD vor, machte aber stärker auf sich als Begründer der Futurologie (Zukunftswissenschaft) als neuer Fachdisziplin aufmerksam.

Bilanzierend und vergleichend bemerkt der Autor über die Lebens- und Denkwege von Franz Borkenau, Ossip Flechtheim und Richard Löwenthal, die sich auch persönlich kannten und zeitweise befreundet waren: „Ihre Gemeinsamkeiten liegen auf der Hand: die ganze oder teilweise jüdische Herkunft, die Sozialisation im Bürgertum, die frühe Hinwendung zur und baldige Abwendung von der KPD, die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Kommunismus als einer Ideologie und Bewegung, die ihre Persönlichkeit so oder so geprägt hatte, Vertreibung, Exil und eine nicht immer konfliktlose Integration in die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft. In dieser Gesellschaft wurden sie zu intellektuell wichtigen Zeitgenossen. Im Spannungsverhältnis zwischen prinzipieller Abgrenzung vom Kommunismus sowjetischen Typs und kritischem Engagement für eine Demokratie westlichen Musters, deren historische Belastungsfaktoren in Deutschland ihnen aber bewusst blieben, suchte jeder von ihnen seine jeweilige Position zu bestimmen“ (S. 209).

Keßler liefert auf Basis von Archivunterlagen und Buchpublikationen ein anschauliches Portrait von Borkenau, Flechtheim und Löwenthal, wobei er zunächst jeweils auf den biographischen Weg hin zum und dann weg vom Kommunismus eingeht und danach die Beiträge zur Kommunismusforschung in Form von Darstellungen zu den einschlägigen Publikationen behandelt. Hierbei hält der Autor sich mit Bewertungen weitgehend zurück und lässt die Informationen und Quellen sprechen. Nur ab und an macht Keßler eine Ausnahme, etwa wenn er auf die „stark illiberalen Züge“ (S. 13) des Antikommunismus von Borkenau verweist, habe er sich doch in den USA als „Zuträger des McCarthyismus“ (S. 51) betätigt. Bedauerlich ist die doch sehr stark beschreibende Ausrichtung des Bandes. Einen Vergleich der drei Portraitierten kann man zwar in der Nachbemerkung lesen, dieser macht aber nur wenige Seiten aus. Deren systematische Betrachtung und Untersuchung hinsichtlich der Annäherung an den Kommunismus und dem Bruch mit ihm wäre schon wichtig gewesen.

Armin Pfahl-Traughber

 

Mario Keßler, Kommunismuskritik im westlichen Nachkriegsdeutschland. Franz Borkenau, Richard Löwenthal, Ossip Flechtheim, Berlin 2011 (Verlag für Berlin-Brandenburg), 233 S. 26,90 €