Lebenskunde in katastrophalen Zeiten

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Enricos Wunsch: eine normale Welt ohne Atomkraft / Foto: Töns Wiethüchter

BERLIN. (hpd/hvd-b) „Liebe Frau Merkel...“ Ohnmacht und Wut - Schüler und Schülerinnen der Liebmann und Galilei-Schule schreiben an Angela Merkel und fordern den Ausstieg aus der Atomenergie … und die Kanzlerin antwortet!

„Helft Japan“, fordert Ayse. „Ich möchte nicht, dass mein Bruder Angst kriegt“, setzt Gülden besorgt hinzu. Die Briefe der Schüler und Schülerinnen der Klasse 4c sprechen eine deutliche Sprache und sie kennen ihre Adressatin: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die atomare Katastrophe in Japan geht an den Kindern nicht spurlos vorbei und darf im Unterricht nicht unkommentiert bleiben. Doch was tun, um nicht nur Angst und Schrecken zu verbreiten? „Beten für Japan und Schweigeminuten gehören nicht zu meinen bevorzugten Ausdrucksmöglichkeiten“, stellt die Lebenskundelehrerin Ulla Ringe fest. Ihre Lehrerinnen-Neutralität sei auf der Strecke geblieben. „Zum Thema friedliche Atomnutzung kann ich nur noch Klartext reden.“ Ihre Aufgabe sei es, den Kindern zu helfen, kritische, skeptische, mündige und verantwortliche Menschen zu werden. Ein hehres Ziel! „Doch wie kann man Kindern Werte wie Respekt und Toleranz, Aufrichtigkeit, Achtung vor Natur und Menschen vermitteln, wenn man ohnmächtig zusehen muss, wie eine Katastrophe die nächste jagt, Lug und Trug die Tagesordnung der politischen Bühne beherrschen und die Gier vor nichts Halt zu machen scheint?“ Dieser Aufgabe müsse sie sich jeden Tag von neuem stellen, so die Lebenskundelehrerin.

Make this world a better place

Im Jahr 1992 hielt die 12-jährige Kanadierin Severn Suzuki vor dem UN-Weltgipfel eine flammende Rede. Darin fordert sie die Erwachsenen auf, deren Worten endlich Taten folgen zu lassen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das Beispiel der Kanadierin macht Mut, auch als Kind, oder vielleicht sogar besonders als Kind Stellung zu beziehen.

Die Rede wird von einigen Lehrern und Lehrerinnen als Anregung für eigene Statements der Kinder, für Briefe an Angela Merkel zur Atompolitik und für Reden und Filme genutzt. Dabei geht es nicht nur um den Inhalt, sondern auch um das Gefühl, beteiligt zu sein und eine Stimme zu haben, die nicht ungehört bleiben muss. Mögen diese Aktionen auch klein und unbedeutend erscheinen, angesichts des täglichen Erschreckens über menschenverursachte Umwelt - und andere Katastrophen, angesichts der Gewalt, der Flüchtlingsdramen und Korruption. Doch die andere Möglichkeit wäre, in Lähmung und Starre zu fallen und den Kindern das Gefühl zu geben „ja sowieso nix bewirken zu können“. Partizipation, „Ohnmacht in Wut zu verwandeln, Farbe zu bekennen und sich zu empören“, ist das pädagogische Gebot der Stunde, plädiert Ulla Ringe.

Beispielbild
Die Briefe sind fertig. Wird sie jemand lesen? / Fotos: Töns Wiethüchter