Abtreibung in Polen und Südafrika

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Sarah Diehl und Bettina Renfro (Koordinatorin der Terre des Femmes-Städtegruppe Rhein-Main)

FRANKFURT. (hpd) In Polen ist Abtreibung weitgehend verboten, in Südafrika bestehen ziemlich liberale Gesetze – und trotzdem ist es für eine polnische Frau leichter, an eine illegale Abtreibung heranzukommen, als für eine südafrikanische Frau, den eigentlich legalen Eingriff vornehmen zu lassen.

Das war die Kernbotschaft des Filmes „Abortion Democracy“, der am Donnerstag im Bürgerhaus Bornheim gezeigt wurde.

Die Terre des Femmes-Städtegruppe Rhein-Main hatte die Filmemacherin Sarah Diehl eingeladen, ihren 2008 entstandenen Dokumentarfilm vorzuführen. In ihrer Einführung stellte Vera Wawrzyniak von der den Abend mitausrichtenden Terre des Femmes-Arbeitsgruppe „Frauenrechte und Religion“ einen Aspekt des Themas heraus, der ansonsten gerne unter den Teppich gekehrt wird: Dass Frauen die Selbstbestimmung über ihren Körper und eine Schwangerschaft verweigert wird, hängt untrennbar zusammen mit den archaischen Vorstellungen von Gottheiten, die das Schicksal eines jeden Menschen bestimmen. So deutlich würde dies – zumindest in Europa – nicht ausgesprochen werden, aber wer Selbstbestimmung in dieser Frage als Hochmut und Anmaßung bezeichnet, denkt auf der Grundlage von „Vorsehung“ und göttlicher Allmacht. Dass dieses Denken bis heute über Menschenleben verfügt, illustrierte die AG-Koordinatorin anhand einer Meldung des Presseorgans der Päpstlichen Missionswerke, „Agenzia fides“, aus Pakistan. Ein dreizehnjähriges Mädchen wurde nach einer Vergewaltigung schwanger. Da es sowohl vom Täter als auch von der eigenen Familie bedroht war, wurde es in verschiedenen katholischen Klöstern versteckt. Obwohl Untersuchungen ergaben, dass das Kind einen Wasserkopf haben würde und das Leben des körperlich nicht voll entwickelten Mädchens bei der Geburt in Gefahr wäre, wurde entschieden, „sich in die Hände der Vorsehung“ zu begeben.

Legal, illegal, privat bezahlt

Diese Rücksichtslosigkeit gegenüber Leib und Leben schwangerer Frauen wurde auch im Film deutlich. In Polen haben die Frauen mit dem Einzug der Demokratie ihr Recht auf reproduktive Selbstbestimmung fast völlig verloren. Selbst im Fall bleibender Gesundheitsschäden verweigern viele Ärzte den Eingriff aus Gewissensgründen. Oder vielleicht besser: aus gewissen Gründen. Denn gleichzeitig wird die Zahl der illegal vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche auf über 100.000 pro Jahr geschätzt. Die Frauen müssen für den Eingriff dann in der Regel eine vierstellige Summe in Euro aufbringen. Immerhin gibt es in Polen eine Pro Choice-Bewegung, aber die Macht der katholischen Kirche und reaktionärer Gruppierungen verhindert bislang jeden substantiellen Fortschritt.

In Südafrika konnte nach dem Ende der Apartheid durchgesetzt werden, dass Frauen straffrei abtreiben können. Zudem dürfen den Abbruch nicht nur Ärzte, sondern auch Hebammen und Krankenpfleger vornehmen. Dass viele, vor allem ärmere und Frauen mit geringer Bildung ihr Recht nicht in Anspruch nehmen können, liegt unter anderem daran, dass konservative, patriarchale Vorstellungen in Südafrika noch weit verbreitet sind. Unter diesen Rahmenbedingungen erfahren ungewollt schwangere Frauen oft keine Unterstützung. Dazu kommen massive Kampagnen von christlichen „Lebensschützer“-Organisationen wie den „Doctors for Life“.

Sarah Diehl hatte bereits 2007 unter dem Titel „Deproduktion“ eine Anthologie zum Thema Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext herausgegeben, in der die Sitation in verschiedenen Ländern Europas, Lateinamerikas und Afrikas beleuchtet wurde. Da sie zu der Auffassung gelangte, dass bei diesem Thema das Medium Film die Botschaft besser transportieren könne, bereiste sie in den Folgejahren Polen und Südafrika mit der Kamera. In ihrem Dokumentarfilm lässt sie betroffene Frauen, Pro Choice-Aktivistinnen, Medizinerinnen und Sozialarbeiter zu Wort kommen. So ergibt sich ein authentisches Bild der Gefühlslage der Betroffenen, ihrer Verzweiflung, aber auch ihres Willens, für ihr Recht zu kämpfen. Und zugleich erhalten wir die notwendigen Hintergrundinformationen, um zu verstehen, warum nicht alles, was auf dem Papier geschrieben steht, sich in der Realität auch umsetzen lässt.

Hinterhältige Rhetorik der „Lebensschützer“

In der Diskussion ging es zunächst um eine kurze Einstellung, in der eine Frau bei ihrem Schwangerschaftsabbruch zu sehen war. Eine Besucherin warf die Frage auf, warum eine Frau in dieser Situation dargestellt werden müsse. Sarah Diehl erwiderte, dass es prinzipiell möglich sein muss, einen Schwangerschaftsabbruch zu zeigen. Dieser solle enttabuisiert und wahrgenommen werden wie jeder andere medizinische Eingriff auch. Da heute tatsächlich viele Menschen nicht wüssten, wie eine Abtreibung vorgenommen wird, lasse dies Raum für Projektionen und erleichtere es den „Lebensschützern“, ihre Gräuelgeschichten unter die Leute zu bringen.

Sarah Diehl lenkte den Blick auch auf die Diskursstrategien der „Lebensschützer“. Zunehmend werde das Thema Abtreibung (ebenso wie das Thema Homosexualität) von Kirchen und konservativen Parteien für ihre Bestrebungen gegen Emanzipation funktionalisiert. In jüngster Zeit sei zu beobachten, dass eine selbstbestimmte Schwangerschaft und Behindertenrechte gegeneinander ausgespielt werden. In den USA werde der Pro Choice-Bewegung zudem Rassismus vorgeworfen, indem behauptet wird, es gehe vor allem um Abtreibung bei schwarzen Frauen. Ziel derartiger Argumentationsmuster sei, Pro Choice zu diskreditieren und das reaktionäre Gedankengut hinter einer vermeintlich linken Rhetorik zu verstecken.

Weitere Veranstaltungen in Düsseldorf und Bochum

Das Thema Abtreibung sei in Deutschland marginalisiert, meinte Sarah Diehl im Laufe der Diskussion. Dass dem tatsächlich so ist, dafür sprach auch, dass sich gerade einmal 20 Zuschauerinnen im Bürgerhaus Bornheim eingefunden hatten, darunter zwei Männer.

Der Film wird in den kommenden Tagen noch in Düsseldorf und in Bochum gezeigt. Da die Dokumentation höchstwahrscheinlich so schnell nicht im Fernsehen laufen wird, sollte hingehen, wer die Zeit findet. Es lohnt sich.

Und das Thema, das in den 1970er Jahren den feministischen Diskurs beherrscht hat und heute als gelöstes Problem erscheint, wird möglicherweise wiederkommen. Das Beispiel Polens zeigt, dass kein erstrittenes Recht in Stein gemeißelt ist. Auch nicht in der Demokratie. Die Gegner der Selbstbestimmung machen bereits mobil. Am 17. September werden sie wieder als „Marsch für das Leben“ durch Berlin ziehen
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Martin Bauer