Benedikt XVI. am Pranger der Zivilgesellschaft

  

Zur Trennung von Staat und Kirche sprach Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verband Deutschlands und Vorsitzender des Koordinierungsrates säkularer Organisationen. „Ich hoffe, dass wir gemeinsam einen Sturm entfachten, denn Deutschland hat einen großen Nachholbedarf in der Trennung von Staat und Kirche.“ Der Empfang von Benedikt XVI. als Staatsoberhaupt von Vatikanstadt im Deutschen Bundestag habe gezeigt, „welch weiten Weg wir bei der Trennung von Staat und Kirche noch vor uns haben.“ Es gebe gute Gründe, „die Anmaßung der römisch-katholischen Kirche zurückzuweisen“ wenn es um ihr Verständnis als nicht mehr zu hinterfragende Instanz bei der Beurteilung von ethischen, religiösen oder christlichen Fragestellungen ginge. Für das Festhalten an der zum Anachronismus gewordenen Privilegierung der Kirche gebe es heute keinen Grund mehr. Dass der Besuch eines religiösen Führers als Staatsbesuch inszeniert wurde, habe neuen Anlass zur Hinterfragung der überholten Vorrangstellung der Kirche gegeben. Trotz der stetig schrumpfenden Mitgliederzahlen bei den christlichen Konfessionen ist die vom Grundgesetz vorgegebene Ablösung der historischen Staatsleistungen bis heute nicht umgesetzt worden. „Die Staatskirchen erhalten aufgrund sogenannter historischer Verpflichtungen hunderte Millionen Euro“, erinnerte er. Die Kirchen würden in den öffentlich-rechtlichen Medien überproportional zu Wort kommen und dürfen Arbeitnehmerrechte einfach ignorieren. Dass in Deutschland immer noch Zwang in Glaubensfragen ausgeübt werde, sei „völlig inakzeptabel“.

Und gerade Benedikt XVI. habe keine moralische Autorität, so Wolf. Die von ihm vertretenen Positionen sind für „die aufgeklärte Öffentlichkeit längst unhaltbar geworden.“ Dafür, dass der katholischen Kirche in der öffentlichen Ethikdiskussion eine herausgehobene Stellung reserviert wird, gebe es kein Verständnis mehr. Frieder Otto Wolf kritisierte auch, dass die Bundesverfassungsrichter sich vom Papst empfangen lassen, anstatt diesen zu empfangen. Wolf betonte schließlich die Bedeutung von Selbstbestimmung und Freiheitsrechten und wandte sich dagegen, die offen erklärte Intoleranz im Namen der Toleranz hinzunehmen. Die Privilegierungen der Kirche, welche „vielleicht noch“ der gesellschaftlichen Realität in den 1950er Jahren entsprochen haben, seien heute völlig inakzeptabel und müssten beendet werden. „Wenn der heutige Protest ein Umdenken in der Politik verursacht, hat dieser Papstbesuch vielleicht etwas Positives bewirkt.“

Bodo Mende, Landesvorstand des LSVD Berlin-Brandenburg, stellte ebenfalls fest: „Der Papst macht knallharte Politik.“ Benedikt XVI. sei einer der Hauptverantwortlichen für die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und Transgender auf der Welt. „Er kämpft an der Seite von brutalen Diktatoren gegen unsere Rechte.“ Mende verwies auf die scharfe Kritik an einer UN-Resolution aus diesem Jahr, welche die Verfolgung von homosexuellen Menschen verurteilte. „Vor den Vereinten Nationen macht der Vatikan in trauter Eintracht mit Saudi-Arabien oder dem Iran Front gegen die Menschenrechte von Homosexuellen.“ Die Kirche versuche, alle Maßnahmen zum Schutz vor Verfolgung zu hintertreiben. Als Kardinal habe Benedikt XVI. 1992 erklärt, dass es kein Recht auf Homosexualität gebe. „Dieser menschenrechtswidrigen Maxime folgt die Politik des Vatikans bis heute“, so Mende. Der Papst trage persönlich Schuld daran, „dass homosexuellen Menschen in vielen Ländern das Leben zur Hölle gemacht wird, sie staatliche Verfolgung und Gewalt erleiden.“ Darüber dürften deutschen Politikerinnen und Politiker „nicht freundlich lächelnd hinwegsehen.“

Kurz kamen auch Christoph Schmidt und Norbert Reicherts zu Wort. Die zwei katholischen Priester leben ihre Homosexualität und hatten am Vorabend in Berlin-Kreuzberg zu einem gemeinsamen Abendmahl und einer Eucharistiefeier eingeladen. Rund 250 Gäste waren dabei anwesend. „ Ein schwerwiegender Angriff gegen die Einheit der Kirche“, nannte der neue Berliner Erzbischof Rainer Woelki das Ereignis. Schmidt und Reicherts waren bereits vor zwölf Jahren vom Priesterdienst durch die Kirche suspendiert worden. Sie erklärten: „Man kann Priester sein und schwul und das ist gut so.“ Sie forderten die katholischen Priester in der Kirche, die homosexuell sind, dazu auf, ihrem Beispiel zu folgen.