„Offensiv vorgetragene Rückzugsgefechte“

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Riesenplakat am Springer-Hochhhaus in Berlin / Foto: Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Am Ende der vergangenen Woche sprachen Amardeo Sarma, Mitbegründer der SPD-Laizisten, und Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands und KORSO-Vorsitzender, im Interview über Perspektiven für die Zeit nach dem Papstbesuch. Frieder Wolf sieht auch in der Papstreise zunächst ein Rückzugsgefecht der Kirche.

Amardeo Sarma meint, dass wohl nicht alle Kirchenprivilegien auf einmal abgeschafft werden können. Einigkeit gab es in der Frage nach der Ablösung der historischen Staatsleistungen.
 

hpd: Was bedeutete der Papstbesuch für Deutschland?

Amardeo Sarma: Aus laizistischer Sicht verstieß der Auftritt im Bundestag ganz offen und eklatant gegen die Trennung von Staat und Religion, die ja lange Zeit eine der zentralen Forderungen der SPD gewesen war. Ich denke, es hat eine so starke Mobilisierung deshalb gegeben, weil wieder offensichtlich wurde, wie stark die beiden Bereiche doch miteinander verquickt sind und wie stark dieser Einfluss bis in die Spitzengremien aller Parteien hinwirkt, vor allem auch in der SPD. Dieser Papstbesuch war eine Gelegenheit, das klarzumachen. Auch gegenüber den vielen Bürgern, die den Papstbesuch kritisch sehen – unabhängig davon, ob sie Christen, Laizisten oder Religionskritiker sind. Es drohen Einmischungen von religiöser Seite und ich denke, darauf müssen wir Laizisten aufbauen und die Trennung von Staat und Religion stärker voranbringen. Ein Ziel ist natürlich auch, dass die Menschen in Zukunft autonomer entscheiden und agieren können. Es ist eine der zentralen Forderungen der Aufklärung und Emanzipation, dass man auch als Mensch in eine Lage versetzt wird, selbst Entscheidungen zu treffen und sie nicht von außen diktiert zu bekommen.

Frieder Otto Wolf: Ich denke, es besteht da eine gewisse Hoffnung. Vielleicht erinnert sich noch jemand an den Versuch der Kirchen hier in Berlin, mit der Pro-Reli-Kampagne ihre Positionen, gestützt auf staatliche Gesetze, zu stärken. Das hat ja dann eigentlich das Gegenteil bewirkt. Beim Papstbesuch nun bekamen wir wirklich massiv vorgeführt, in welchem Maße heute nicht nur die katholische Kirche, sondern überhaupt die Kirchen in diesem Staat privilegiert sind. Nicht nur in einer anachronistischen, sondern auch inhaltlich abstoßenden Form. Aber es macht deutlich, dass das Anliegen der Trennung von Staat und Kirche immer noch drängt. Volker Beck hat gut formuliert, dass es völlig inakzeptabel ist, wenn, gestützt auf staatliche Gesetze, in Glaubensfragen Zwang ausgeübt wird. Der triumphale Papstbesuch, der hier inszeniert wurde, wird bestenfalls ein Pyrrhussieg, wenn nicht gleich eine Niederlage.


Was bedeutet das für die Arbeit in den nächsten Monaten?

Sarma: Es kommt darauf an, noch weitere Menschen innerhalb der SPD zu finden, die unsere Meinung teilen und sie in das Netzwerk der Laizisten in der SPD mit einzubinden. Das wird unabhängig davon passieren, ob unsere Gruppe formal von der Parteispitze anerkannt wird oder nicht. Sie ist einfach da, ist nicht wegzudenken und wird ihren Einfluss vergrößern. Es ist unser Ziel, all diejenigen zusammenzubringen, die für eine Trennung von Staat und Religion sind – und zwar unabhängig davon, ob sie selbst einer Religion angehören oder nicht. Wir wollen nicht nur Atheisten, Agnostiker oder Humanisten ansprechen, sondern es geht auch darum, etwa Christen anzusprechen, die eine Bevormundung und Privilegierung ablehnen.

 

Was könnte neben der Selbstorganisation als sachliches Thema auf der Agenda stehen, um als laizistische Strömung daran anzuknüpfen?

Sarma: Die Finanzierung, mit der Tätigkeiten und Positionen der Kirche auch von nicht in der Kirche gebundenen Menschen bezahlt werden. Das ist ja auch schon bisher sehr oft angesprochen worden und wird weiter verstärkt werden, während nebenbei die Gründung von Regionalgruppen vorangeht um zu zeigen, dass die Ablehnung der Parteispitze uns nicht von unserem Vorhaben abbringen wird. Wir sind eine Basisbewegung, die überall sichtbar wird.

Wolf: Dazu würde ich gern noch etwas sagen. Denn das ist wichtig und wir als säkulare Organisation unterstützen das. Die Sozialdemokraten unter uns haben sich schon in dem Prozess engagiert und werden es auch weiterhin tun. Zwei Dinge müsste man aber noch sagen. Erstens ist es keine primär sozialdemokratische Angelegenheit, sondern es geht auch darum, dass andere Parteien ihre entsprechenden Potentiale aktivieren. Die sehe ich bei den Grünen, es gibt Potentiale bei der Linken und ich sehe auch immer noch – obwohl das offenbar zunehmend weniger relevant wird – Potentiale bei den freien Demokraten.

Sarma: Ich kenne sogar den einen oder anderen Christdemokraten, der für die Trennung von Staat und Kirche ist. Nur haben sie leider nichts zu sagen.

Wolf: Wenn diese Personen sich organisieren würden, wäre das auch nicht schlecht. Ich bin dabei auch dafür, sehr genau zu sein. Es geht nicht darum, Christen zu verfolgen oder religiöse Menschen zu diskriminieren. Es kommt vor allem darauf an, die historischen Privilegien abzubauen, welche die Kirchen als ehemalige Staatskirchen immer noch genießen. Das scheint mir der zentrale Punkt zu sein, auf dem man sich auf der ganzen Breite einigen kann. Man muss auch sagen, dass unterschiedliche Modelle von Laizität existieren. Da gibt es das französische Modell, das ein Freund von mir einmal Katho-Laizität genannt hat, weil die katholische Kirche zwar völlig aus dem öffentlichen Raum verschwunden ist, in Wirklichkeit aber über ein großzügig finanziertes System der Privatschulen eine große Bedeutung für die Reproduktion der Eliten hat. Also muss man das französische Modell auch in seiner Realität betrachten und nicht nur in den theoretischen Prinzipien.

Es gibt auch andere Modelle, wie sie in den Niederlanden und Belgien existieren und wo nicht die Trennung von Öffentlichkeit und Weltanschauung das Ziel ist, sondern die Gleichbehandlung der unterschiedlichen Weltanschauungsgemeinschaften im Vordergrund steht. Das sind auch Formen von Laizität. Man sollte also nicht dem Gedanken verfallen, dass die einzige Form von Laizität die französische ist, sondern auch andere prüfen. Zudem haben wir in Deutschland das System der freien Träger. Da ist nicht nur die Arbeiterwohlfahrt, sondern ebenfalls der Humanistische Verband im Sozial- und Kulturbereich aktiv. Und das ist nichts Schlechtes. Auch im angelsächsischen Raum gibt es inzwischen eine Debatte über die Rolle von Zivilgesellschaft. Hier kann man etwas entwickeln und da können auch staatliche Gelder sinnvoll verwendet werden. Aber der Fortbestand der enormen historischen Privilegien darf nicht sein und dass der Papst im Bundestag auftrat, ist ja ein Beispiel für die Wirkung solcher Privilegien. An die müssen wir ran.

Sarma: Sie haben da etwas ganz Interessantes von dem Phantom der Christenverfolgung gesagt. Das ist ja etwas, auf das sich viele deutsche Politiker gern berufen. Doch gerade wenn es um die Frage der Nichtdiskriminierung geht, sollte man sich einfach nur mal in Deutschland die Stellenausschreibungen von gewissen sozialen Einrichtungen anschauen. Da wird nicht nur unverblümt die Zugehörigkeit zu einer Kirche verlangt, auch wenn es nicht um einen sogenannten verkündigungsnahen Arbeitsbereich geht, sondern auch, dass man gläubig sein muss. Wenn man nun gegen Diskriminierung vorgehen will, warum fängt man dann nicht hier in Deutschland an?

Wolf: In der Tat, und da gibt es noch einen naheliegenden Punkt. Die Kirchen sind von Regelungen des allgemeinen Arbeitsrechts ausgenommen. Sie können sich leisten, ohne Betriebsräte, ohne Personalräte und ohne gewerkschaftliche Vertretung zu agieren und die Bindung an ihren Glauben zu einem Entlassungsgrund machen. Geschiedene und Menschen mit unehelichen Kindern oder homosexuell verpartnerte Menschen werden in katholischen Einrichtungen immer noch entlassen. Das ist nach meinem Erachten verfassungswidrig.

Sarma: Und wenn wir die jungen Menschen in Deutschland sehen, die sich für gute und soziale Tätigkeiten einsetzen und dabei vielleicht sogar in das Ausland gehen wollen, dann stehen gerade Konfessionsfreie vor dem Problem, dass es kaum eine Auswahl gibt. Die Privilegierung kirchlicher Organisationen führt einerseits dazu, dass diese auf einigen Gebieten eine Art Monopol haben und auf der anderen Seite werden Konfessionsfreie ausgeschlossen oder zur Unehrlichkeit gezwungen.


Es gab vor einiger Zeit die Forderung nach einer Konfessionsfreien-Konferenz. Gibt es hier heute konkrete Perspektiven?

Wolf: Derzeit ist der Koordinierungsrat säkularer Organisationen dabei, sich intern neu zu sortieren. Dort gibt es einfach Bedarf, noch einmal gründlich zu diskutieren und technische Detailfragen zu klären. Aber so wie es die Sichtungskommission gegeben hat, in der die verschiedenen säkularen Organisationen diskutiert und sich dann eben im KORSO zusammengefunden haben, kann man daran denken, dass diese säkularen Organisationen plus die parteipolitisch engagierten Konfessionsfreien sich dieses Projekt erneut vornehmen, alle zwei bis drei Jahre treffen und auch deutlich machen, dass sie im öffentlichen Raum und für die deutschen Kultur und Politik eine große und wachsende Bedeutung haben.

 

Laizisten beobachten sicherlich das Verhalten von anderen säkularen Organisationen, wie etwa den im KORSO vereinigten. Wie ist der Blick von außen auf die Tätigkeiten dieser Organisationen und was wird von ihnen erwartet?

Sarma: Mich hat schon vor Jahrzehnten gewundert, wie zerstritten die humanistischen und freidenkerischen Organisationen waren. Ich kann mich an ein Gespräch mit den Freien Humanisten in Niedersachsen erinnern, die sich nicht anderen Humanisten anschließen wollten. Dann gab es auch noch die Freidenker und jede Menge anderer Organisationen. Ich denke, es ist ein guter Schritt gewesen, den KORSO als allgemeinen Verband zu gründen und so einen Teil dieser Bewegung zusammenzubringen. Denn wenn man so unterschiedliche Gruppen hat, ist es schwer, eine koordinierte Meinung nach außen zu geben. Das war damals meine Außenansicht auf die Dinge. Aber auch wenn man nicht alle zusammenbringt, ist ein Netzwerk schon wichtig. Dort kann man sich austauschen, denn die Interessen sind nicht immer ganz deckungsgleich und jeder hat andere Schwerpunkte, die man setzen will. Aber es gibt auch, wie jetzt gerade bei der Trennung von Staat und Kirchen, durchaus gemeinsame Punkte.

Als Perspektive nach vorn sehe ich, dass man an diese Punkte anknüpft und dort eine gemeinsame Wirkung entfalten kann. Bei den wenigen Themen, wo man Einigkeit findet, muss man an einem Strang ziehen und bei ganz speziellen Themen kann man auch unterschiedlich voranbringen. Für die sozialdemokratischen Laizisten geht es eben nicht um eine Kirchen- oder Religionsbekämpfung, sondern um die Trennung von Religion und Staat und um die Nichteinmischung sowohl des Staates, als auch der Religion in das Leben von einzelnen Menschen.

 

Das Vorgehen gegen überkommene Privilegien wirkt aber vielleicht für einige Menschen wie ein Kampf gegen ihre Religionsgemeinschaft. Wird das so wahrgenommen und wie könnten säkulare, laizistische Menschen damit umgehen?

Sarma: Man wird nicht auf einen Schlag alle Privilegien abschaffen können. Wichtig ist aber, dass man eine Zielvorstellung davon hat, wohin man will. Das heißt beispielsweise, dass man schrittweise und behutsam vorgehen sollte, damit soziale Einrichtungen, die jetzt funktionieren, nicht kaputtgehen. Nur dort, wo es um alleinstehende Dinge wie etwa die Finanzierung von Bischofsgehältern geht, kann man durchaus sagen, dass überhaupt kein Anlass besteht, das noch weiterzuführen. Man sollte also differenziert an die Sache herangehen, in dem man zunächst an die unhaltbaren Privilegien herangeht, während man bei sozialen Einrichtungen wiederrum versucht, die Nichtdiskriminierung durchzusetzen und die Finanzierung schrittweise auf das Maß zurückführt, wie es für jeden anderen gemeinnützigen Verein auch der Fall ist. Die Kirchen müssen irgendwann schließlich auf den Status von anderen gemeinnützigen Vereinen zurückgeführt werden.

Hier gibt es möglicherweise mit einigen säkularen Organisationen wie dem HVD eine Differenz, die eine Gleichstellung mit anderen weltanschaulichen Gemeinschaften wollen. Hier muss man die bestmögliche Lösung finden und ich kann nur sagen, dass die derzeitige Lage ungerecht ist und geändert werden muss. Das ist das Wichtigste. So war es ja auch bei anderen Veränderungen, wie etwa beim Rassismus in den USA. Was Martin Luther King getrieben hat, war ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Das gleiche geschah bei der Freiheitsbewegung in Indien, wo die Menschen sich von den Briten unterdrückt gefühlt hatten.

Wolf: Da würde ich gern anknüpfen. Denn ich glaube, es ist für uns Humanistinnen und Humanisten wichtig klarzustellen, dass es uns nicht darum geht, die historischen Privilegien auf alle zu verteilen. Es geht darum, die historischen Privilegien abzuschaffen. Punkt. Aber im Modell der freien Träger oder bei der Übernahme von öffentlichen Aufgaben, wie in der Schwangerschaftskonfliktberatung oder der Lebenskunde in der Schule als freiwilligem Angebot, durchaus die Finanzierung solcher öffentlicher Aufgaben für eine Weltanschauungsgemeinschaft zu erhalten. Auf einer gerechten, und das heißt für alle gleichen, Grundlage.

Sarma: Gleiches Recht für jeden.

Wolf: Ja. Unser Anliegen ist nicht, zu sagen, wir wollen, dass in der Schule kein Kirchenvertreter mehr auftaucht. Sondern wir wollen, dass die Kirchenvertreter in der Schule ohne Zwang auftauchen und in gleicher Weise wie die Vertreter anderer Weltanschauungsgemeinschaften. Dabei muss man daran erinnern, dass Muslime keine Kirchen haben – wie auch andere Weltanschauungsgemeinschaften. Diese Fragen der Gerechtigkeit können, glaube ich, Grundlage für ein breites Bündnis sein. Ich erinnere auch noch einmal an die Pro-Reli-Kampagne. Damals war es von großer Bedeutung, dass die Christen für Ethik den Versuch, staatliche Gesetze als Zwangsinstrument zu benutzen, um Schüler zum Besuch vom Religionsunterricht zu verpflichten, als Christen zurückgewiesen haben und gesagt haben: Nein, das wollen wir nicht. Pflicht geht nur bei staatlichen Angeboten. Weltanschauliche Angebote haben zwar ihren Platz an der Schule, aber als freiwillige Einrichtungen.

Sarma: In ähnlicher Weise täte man den säkularen und liberalen Muslimen nichts Gutes, wenn man beginnen würde, den Religionsunterricht für Muslime einzuführen – mit einem Zwang für Muslime, an einem Unterricht teilzunehmen, wo es sicherlich nicht die liberalsten und säkularsten Muslime wären, die diesen Unterricht erteilen.

Wolf: Ich würde das genauer differenzieren. Man muss wirklich zwischen dem Berliner Modell und dem Wahlpflichtfachmodell unterscheiden, das mit Pro-Reli eingeführt werden sollte und dann gescheitert ist. Beim Berliner Modell wird zusätzlich und auf freiwilliger Basis ein Weltanschauungsunterricht angeboten. Hier halte ich es für sinnvoll, dass das auch Muslime machen. Die Aleviten tun es ja auch bereits. Es sind also durchaus auch liberale Weltanschauungsgemeinschaften aus der muslimischen Tradition dabei. Man muss gewährleisten, dass es eine Chance gibt und man muss gewährleisten, dass die Teilnahme keine Pflicht ist, sondern eine freie Entscheidung von Eltern und der Lernenden.

Sarma: Sicherlich ist es im Moment eine Utopie. Aber ich denke, die Übertragung des Berliner Modells auf die gesamte Republik ist ein Ziel, das viele in der SPD unterstützen würden.

Wolf: Daran arbeiten wir. Und es ist uns sehr bewusst, dass sich in diesem Punkt das Staatskirchenrecht in Bewegung befindet. Die Auffassung, dass das Wahlpflicht-Modell das einzig mögliche ist, wo doch dabei der Zwang besteht, sich religiös zu bekennen, halte ich dauerhaft für verfassungsmäßig nicht tragfähig. Die Debatte wird also hier unter Umständen auch mit Verfassungsänderungen einhergehen.

Sarma: Ich hoffe, dass es so kommt.

 

Vorhin kam zur Sprache, dass die empfundene Ungerechtigkeit als Motiv dient. Ist für den Humanistischen Verband auch solch eine Empfindung der Ungerechtigkeit ein treibendes Motiv oder gibt es noch andere?

Wolf: Es gibt da sicherlich mindestens zwei Motive. Unter Laizisten und Säkularen existiert die Vorstellung, dass das französische Modell das einzig mögliche ist. Die Vorstellung, keine Weltanschauung im öffentlichen Raum zuzulassen, halte ich allerdings für diskutabel und sogar utopisch. Ein Staat, in dem öffentlich keine Weltanschauungen diskutiert werden, wäre eine merkwürdige Angelegenheit.

Sarma: Sicherlich kann Laizität nicht bedeuten, dass sich Kirchenvertreter nicht mehr öffentlich äußern können. Das wäre völlig absurd. Jeder sollte die Möglichkeit haben, im Namen seines Verbands, seines Vereins oder seiner Weltanschauung oder Religion seine Meinung öffentlich kundzutun, um so die öffentlichen Meinung zu beeinflussen. Dagegen wende ich mich absolut nicht, und eine derartig extreme Form von Laizismus würde ich auch ablehnen.

Wolf: Und das andere ist klarzustellen, dass die historischen Privilegien abzubauen sind. Da sind wir uns in den säkularen Organisationen wirklich sehr einig. Auch der Humanistische Verband befürwortet nicht die Aufrechterhaltung dieser Privilegien mit der Meinung, davon etwas abbekommen zu können.

 

Macht es Sinn, sich gegenüber führenden Repräsentanten der Kirchen wie Benedikt XVI. oder Kirchenvertretern in den Parteien, wie etwa Wolfgang Thierse, zu äußern und mit ihnen zu sprechen oder sollte man eher mit den Menschen in den Parteien und den Kirchen in den Dialog treten, wo man bereits die größeren Schnittmengen in Sachfragen sieht?

Wolf: Das muss man unterscheiden. Ansprechen muss man diejenigen, die Vertreter oder Repräsentanten einer Organisationen oder Institution sind, schon. Man sollte nicht die Illusion haben, dass diese dann unbedingt darauf eingehen. Aber das eine geht nicht ohne das andere. Gleichzeitig muss man auch mit den Menschen reden, die innerhalb der katholischen oder protestantischen Kirche eingesehen haben, dass eine moderne und aufklärungsverträgliche Kirche möglich ist. Und die sich anders verhalten muss als es Benedikt XVI. heute tut.

Sarma: Ich denke ebenfalls, dass man mit allen sprechen sollte. Auch mit Thierse und solchen, die ganz andere Positionen vertreten. Allerdings muss sich auch einiges ändern. Es geht nicht mehr so von oben herab, sondern es muss eine gleichberechtigte Diskussion geben. So zu tun, als wären unsere Positionen die von Außenseitern, ist einfach nicht gerechtfertigt. Mittlerweile gibt es eine ganze Menge von Menschen, die unsere Ansichten auch außerhalb unserer Gruppe vertreten und das muss man ernsthaft diskutieren und nicht nur formal. Es muss wirklich eine inhaltliche Diskussion geben und davor ist die SPD-Führung bisher immer zurückgewichen. Sie hat die inhaltliche Debatte nicht geführt, sondern sie versucht nur, diejenigen in der SPD, die sich als Laizisten organisieren, öffentlich zu tadeln, mundtot zu machen oder einzuschüchtern. Das muss aufhören.


Werden die wahrgenommenen Säkularisierungsprozesse in politischer Hinsicht weiterhin ein Randthema bleiben oder möglicherweise eine größere Rolle spielen?

Wolf: Ich glaube, das wird in Zukunft eine größere Rolle spielen. Sowohl die Pro-Reli-Kampagne wie auch den spektakulären, triumphalen Papstbesuch in Deutschland sehe ich als Reaktion der Kirchen darauf, dass sie massiv an Bedeutung verlieren. Es wird zwar viel von der Rückkehr der Religionen geredet, aber sie findet in Europa einfach nicht statt. Abschließend kann ich nicht beurteilen, wie in anderen Ländern die Lage ist. Aber ich bin skeptisch, ob in Lateinamerika, China, Indien oder Afrika wirklich eine Rückkehr der Religionen stattfindet.

Sarma: Auch in den USA steigt die Anzahl der konfessionsfreien Menschen ständig an.

Wolf: Den Papstbesuch sehe ich als ein offensiv vorgetragenes Rückzugsgefecht.

 

In Europa gibt es gute Gründe für die Annahme, dass solche Ereignisse Rückzugsgefechte sind. Beim Blick auf Asien, Lateinamerika oder Afrika - schrumpft der Katholizismus als Glaubensgemeinschaft da wirklich oder wächst er nicht vielmehr?

Wolf: Es ist schwer, das zu einzuschätzen. Aber ich glaube, dass auch dort die Prozesse der Säkularisierung und Autonomisierung im Vordergrund stehen. Sicherlich kommt es unter den Religionen zu Umverteilungsprozessen, dass also beispielsweise Vertreter animistischer Religionen sich vom Katholizismus überzeugen lassen. Ähnliche Dinge mag es zwischen Muslimen und Angehörigen der katholischen Glaubensgemeinschaft geben. Es gibt also sicherlich eine Konkurrenz der Religionen untereinander, ich sehe aber nicht, dass ein Trend zu insgesamt mehr Religiosität entsteht.

Sarma: Was ich sehe ist, dass die zwei monotheistischen Religionen Islam und Christentum einen strukturellen Vorteil gegenüber vielen anderen haben, weil sie ja einen wesentlich größeren Drang besitzen, andere zu missionieren und für ihre Überzeugungen zu gewinnen. Deswegen sehen wir immer wieder in Ländern, gerade wo es einen niedrigen Bildungsstand gibt, gewisse Erfolge – wie gerade die Kirchen in Afrika. Andererseits haben wir im afrikanisch-arabischen Frühling in diesem Jahr gesehen, dass es durchaus eine ganze Menge von säkularen und ähnlichen Bewegungen gibt. Es wird sicherlich auch unsere Aufgabe hier in Deutschland sein, diese Bewegungen zu stärken, denn es gibt sie in Ägypten, in Libyen, in Indien natürlich auch oder in Pakistan. Sie arbeiten zum Teil unter sehr schwierigen Bedingungen, aber ich denke, da ist ein großes Potential, um Vernunft und Emanzipation voranzubringen.

 

Johann-Albrecht Haupt, Vorstandsmitglied der Humanistischen Union, hatte sich zum Treffen von Bundesverfassungsrichtern und Papst mit sehr deutlichen Worten geäußert. Säkulare Organisationen sahen sich hier ziemlich überrumpelt. Hinsichtlich der Integrität des Gerichts hatte Haupt nun gemeint, durch dieses Treffen sei ein deutlicher Schaden entstanden. Wie sehen Sie das?

Wolf: Wir bedauern es sehr und haben uns wirklich gewünscht, dass sich die Bundesverfassungsrichter dieser Zumutung wiedersetzen. Dass ein Verfassungsorgan demütigst zu einem ausländischen Despoten pilgert, ist in meinen Augen kein guter Prozess. Es erfüllt mich durchaus mit Sorge, falls sie die sehr problematischen moralischen Positionen des Papstes für verbindlich und damit auch für verfassungsrechtlich relevant halten. Das können wir eigentlich nur schärfstens kritisieren.

Sarma: Dem kann ich nur beipflichten. Diese Form des Treffens verstieß natürlich eklatant gegen eine unserer Hauptforderungen, die deutlich erkennbare Trennung von Staat und Religionen. Die Verfassungsrichter sind ebenso ein Teil des Staates wie das Parlament und da ist eine solche Verquickung ebenso abzulehnen, wie es beim Parlament der Fall ist.


Die SPD-Laizisten hatten sich vor mehreren Monaten mit der Bitte an das Bundesverfassungsgericht gewandt, dort in gleicher Weise vorsprechen zu dürfen, wie es den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz in der Vergangenheit regelmäßig gestattet wurde. Hat es hier schon Entwicklungen gegeben?

Sarma: Hier kenne ich den aktuellen Stand nicht. Es hat ein ähnliches Treffen in Österreich gegeben, aber in Deutschland nicht.


Bitte geben Sie uns eine Empfehlung: Worauf könnte man im kommenden Jahr einen konkreten Schwerpunkt der Arbeit legen, um den Erhalt einer säkularen Zivilgesellschaft zu unterstützen und eine Humanisierung zu fördern?

Wolf: Die Frage der historischen Staatsleistungen sollte bei allen Haushaltsberatungen im kommenden Jahr offen gelegt und problematisiert werden. Das ist möglich und in Zeiten knapper Mittel wird das eine Wirkung haben.

Sarma: Wir haben im nächsten Jahr vielleicht einmal die Gelegenheit, ohne Landtags- oder Bundestagswahl in Ruhe die Dinge zu besprechen. Daher bietet sich die Chance, einmal unaufgeregt über viele offene Fragen zu reden, wie die Finanzierung oder den gesellschaftlichen Einfluss der Kirchen in unserer Gesellschaft.

Herzlichen Dank für das Interview!

Das Gespräch führte Arik Platzek