Missionierung durch den Staat

Humanistische Gedanken über das Recht, OHNE Religion zu sein.

Vor eineinhalb Jahren führte das Allensbacher Institut - bekannt durch

seine seriösen Untersuchungen - eine repräsentative Umfrage über die Einstellung der erwachsenen Deutschen zu Fragen von Religion und Weltanschauung durch. In der zentralen Frage ging es um das Welt- und Menschenbild, das von weltlichen Humanisten vertreten wird. Im Sendegebiet des NDR sind dies die Freien Humanisten oder der Humanistische Verband Deutschlands.

 

 

 

 

 

In der Frage wurde deren Überzeugung folgendermaßen charakterisiert:

  • Die Humanistische Lebensauffassung bezieht sich auf ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben, das auf ethischen und moralischen Grundüberzeugungen beruht.
  • Ein Leben frei von Religion, ohne den Glauben an einen Gott.
  • Dazu gehört, andere, weltanschauliche und religiöse Lebensauffassungen zu achten und zu respektieren.

Auf die Frage: „Entspricht das ihrer eigenen Lebensauffassung voll und ganz, überwiegend, eher nicht oder gar nicht?", gab es überraschende Antworten:

  • „Voll und ganz" erklärten 7 Prozent der Deutschen.
  • „Überwiegend" antworteten 42 Prozent.
  • „Eher nicht" meinten 21 Prozent.
  • „Gar nicht" gaben 25 Prozent zur Antwort.

Daraus folgt, dass 49 Prozent der Deutschen mehr einer Auffassung vom Leben zuneigen, die frei von Religion ist und den Glauben an einen Gott nicht benötigt. Etwas weniger, nämlich 46 Prozent, gehören zur überwiegend religiösen Bevölkerungsgruppe. Der Rest kann oder mag sich nicht entscheiden - wie bei jeder Umfrage.
Ein spannendes Ergebnis. Wer ähnliche Untersuchungen der großen Magazine SPIEGEL und FOCUS in den vergangenen Jahren verfolgte, erkennt deutlich den Trend in unserer Gesellschaft: Weg von der Religion, aber dennoch Orientierung an moralischen und ethischen Grundüberzeugungen. Den Orientierungsrahmen bieten dabei menschliche Werte, die sich an den Erfordernissen des Zusammenlebens ebenso ausrichten, wie an Prinzipien, die der eigenen Familientradition entsprechen. Die meisten dieser - nennen wir sie mal „Grundregeln des Zusammenlebens" - sind klug durchdacht und lebensnah. Statt der christlichen 10 Gebote gibt es geschriebene oder ungeschriebene Lebensregeln, die in passender Art und Weise geeignet sind, im Leben zu bestehen und von seinen Mitmenschen geachtet zu werden.

Ist Deutschland noch religiös-weltanschaulich neutral?

Wir wissen also ziemlich gut, wie die Menschen denken und wie sie zur Religion stehen. Stellt sich die nahe liegende Frage: „Entspricht das, was der Staat auf religiösem und welt-anschaulichem Gebiet regelt, diesen Realitäten?" Oder auf die aktuelle politische Situation bezogen: „Berücksichtigen auch christliche Parteien, die auf Bundesebene und in vielen Bundesländern im Moment die Regierungschefs stellen, das, was vom Volk gedacht und geglaubt wird? Werden die bestehenden Gesetze und die zurzeit in Arbeit befindlichen die-sen Vorstellungen gerecht?" Und vielleicht noch etwas zugespitzt: „Entsprechen Gesetzgebung und Regierungshandeln in Deutschland noch der klaren Vorgabe des Grundgesetzes, das besagt, dass Deutschland ein religiös und weltanschaulich neutraler Staat ist?"
Die meisten werden jetzt sagen: „Was für eine blöde Frage. Das wissen wir doch, dass das so ist." Doch ist das wirklich noch so? Heben wir uns in den von deutschen Parlamenten und Regierungen beschlossenen Verordnungen und Gesetzen wirklich so grundlegend von den orientalischen Staaten ab, in denen der Islam Staatsreligion ist? Wer sich gut auskennt, wird heute vermutlich nicht mehr mit einem uneingeschränkten „Ja" antworten, sondern vielmehr mit einem „Ja - aber!" ... Doch warum?
Greifen wir einige Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit heraus:

  • Die hessischen Strafverfolgungsbehörden weigerten sich vor 3 Jahren, ein Ermittlungsverfahren gegen den CDU-Abgeordneten Hohmann einzuleiten. Hohmann hatte öffentlich über ein Drittel der Bevölkerung dadurch diskriminiert, dass er Menschen ohne Gottesbindung pauschal zum Tätervolk des letzten Jahrhunderts erklärte.
  • Ein Antrag auf Zulassung einer humanistischen Schule in Nürnberg wurde durch die bayrischen Behörden abgelehnt. Begründung: Eine derartige Schule sei unzulässig, weil sie nicht in der Lage sei, in ihrem Unterricht das oberste Lehrziel des bayerischen Schulgesetzes zu berücksichtigen. Dieses laute: Erziehung zur Ehrfurcht vor Gott.
  • Die niedersächsische Landesregierung hat eine Übertragung staatlicher Landeskrankenhäuser an kirchliche Institutionen ins Auge gefasst. Die Freien Humanisten stellten dem Ministerpräsidenten Wulff die Frage, wie er sicherstellen wolle, dass in diesen Einrichtungen auch unter kirchlicher Leitung künftig eine religiös-weltanschauliche Neutralität erhalten bleibt. Die Antwort der Staatskanzlei beschränkt sich auf den Hinweis, man werde sicherstellen, dass die europäischen Ausschreibungsregeln für derartige Verkäufe eingehalten würden. Auf das eigentliche Problem wird mit keinem Wort eingegangen.
  • Der Vorsitzenden der CSU, Edmund Stoiber, fordert angesichts der weltweiten Aufregung über die Islamkarikaturen Anfang 2006 härtere Strafen für Gotteslästerung. Er entscheidet sich dabei für den Schutz von zum Teil menschenverachtenden Glaubenssätzen vor gerechtfertigter Kritik. Statt entschieden für unsere eigenen Errungenschaften, wie Offenheit und Freiheit von Meinung und Presse einzutreten, strebt er an, kritischen Geistern den Mund verbieten - und die Feder, damit sie bloß nichts zeichnen, das Kritik an religiösen Anachronismen oder religiös motivierten Verstößen gegen die Menschenrechte enthält.

Berlin - Kirchenstaatsvertrag fixiert verfassungwidrige Bevorzugung

Darüber hinaus gibt es einige weitere Fälle, die eine nähere Betrachtung erfordern. Zum Beispiel die Absicht des Landes Berlin, mit der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg einen Staatsvertrag zu schließen - ausgerechnet in der Stadt, die auch als „atheistische Hauptstadt Europas" bezeichnet wird. Und das, nachdem die Verwaltung zwei Jahre zuvor die Gewährung von Körperschaftsrechten an den Humanistischen Verband Deutschlands abgelehnt hat. Einen Verband, der in den vergangenen 15 Jahren gerade in Berlin durch sein gesellschaftliches Engagement mehrfach ausgezeichnet wurde und beispielhafte Arbeit im sozialen Sektor leistet.
Dr. Rosemarie Will, Juraprofessorin und Bundesvorsitzende der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union gibt dazu eine umfangreiche Stellungnahme ab. Darin erklärt sie zum einen, dass einzelne Bestimmungen des Staatskirchenvertrages Freiheits- und Gleichheitsrechte unzulässig einschränken. Zum anderen legt sie den Finger auf eine weitere wunde Stelle des Vertrages. Er verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot. In ihrer juristisch fundierten Stellungnahme heißt es:
„Staatskirchenverträge entstammen einer Zeit, in der die Religionsfreiheit nicht hinreichend durch grundgesetzliche Garantien gesichert war. In ihnen äußert sich ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber den grundgesetzlichen Garantien von Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Insofern stellen sie heute einen Anachronismus dar. Was über die Garantie der freien Religionsausübung hinaus zwischen Staat und Kirche zu regeln ist, kann im Land Berlin wie bisher auch auf anderen Wegen geregelt werden. ...
Sofern der vorliegende Vertrag dazu dient, die evangelische Kirche in besonderer Weise gegenüber anderen Gemeinschaften hervorzuheben, ist dies verfassungswidrig. Der in Artikel 27 des vorliegenden Vertrages vereinbarte Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen katholischer und evangelischer Kirche sowie der jüdischen Gemeinde lässt sich nicht auf diese drei Religionsgemeinschaften beschränken. Soweit das Grundgesetz religionsrechtliche Vorzugsregelungen enthält, („Privilegien"), gelten sie verfassungsgemäß für alle religiös-weltanschaulichen Vereinigungen gleichermaßen." [Humanistische Union]

Nordrhein-Westfalen - Der "Liebe Gott" soll ins Schulgesetz

Das weltoffene Bundesland Nordrhein-Westfalen sieht zurzeit einer Entwicklung entgegen, die durch die religiösen Vorstellungen des CDU-Ministerpräsidenten Rüttgers geprägt wird. Dieser ist von der Vorstellung überzeugt, dass das christliche Menschenbild allen anderen Lebensentwürfen grundsätzlich überlegen ist. Dementsprechend strebt er - mit Zustimmung der FDP - eine Änderung des Schulgesetzes an. Der „Liebe Gott" soll hinein. Die Neufassung von Artikel 7, Absatz 1 lautet deshalb: „Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung".
Warum die Ehrfurcht vor Gott künftig im Zusammenhang mit dem Erziehungsauftrag der Schule genannt wird, daraus macht das nordrheinwestfälische Ministerium für Schule und Weiterbildung kein Geheimnis. Stellvertretend für die Ministerin Barbara Sommer beantwortet eine enge Mitarbeiterin die kritische Anfrage des Humanistischen Verbandes Nordrhein-Westfalen, der Bedenken an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit äußert. Im Ministeriumsschreiben heißt es unter anderem:
„Eine Kollision mit der verfassungsrechtlich gewährleisteten Religionsfreiheit entsteht durch die geplante Änderung nicht. Das Erziehungsziel „Ehrfurcht vor Gott" verlangt nicht den Glauben an Gott. Im Zuge der Verfassungsgebung wurde klargestellt, dass dies nur bedeutet, dass derjenige, der nicht an Gott glaubt, zumindest die Ehrfurcht aufbringen muss, die Tatsache des Glaubens an die Existenz Gottes beim Mitmenschen zu achten. Die Ehrfurcht vor Gott gilt nicht nur für den Gott im christlichen Sinne.
Durch die Nennung „Gottes" wird lediglich dem Atheismus als Erziehungsmaxime eine deutliche Absage erteilt. Die Landesverfassung akzeptiert grundsätzlich jede religiöse, areligiöse oder weltanschauliche Überzeugung ebenso, wie das Fehlen einer Überzeugung. Gleichwohl ist es der Landesverfassung nicht völlig gleichgültig, ob jemand religiös ist oder nicht. Sie begrüßt die Entscheidung für den Glauben, ohne aber die Entscheidung dagegen zu missbilligen."
Eine wahrhaft starke Begründung. So etwas muss einem erst einmal einfallen. Wenigstens wird das Ziel des Vorhabens dadurch absolut eindeutig: Einer nicht-religiösen Erziehung soll per Gesetz „eine deutliche Absage erteilt" werden. Nach Ansicht der CDU-FDP-Regierung liegt diese christliche Parteilichkeit völlig im Rahmen des Grundgesetzes.

"Bündnis für Erziehung" - zielstrebige Ausgrenzung von Nichtchristen

Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ursula von der Leyen (CDU) hat die Öffentlichkeit im Frühsommer 2006 mit einer Initiative überrascht, die ganz auf der Linie christlicher Wertevermittlung liegt. Sie strebt ein „Bündnis für Erziehung" an. Grundsätzlich ist es eine gute Idee, wenn man im Zusammenhang zu einem erkannten Problem zu einem übergreifenden Dialog kommt, doch Ministerin von der Leyen nutzt diese Chance nicht. Sie beschränkt diesen Dialog auf Gespräche mit den beiden christlichen Kirchen. Angesichts der Vielfalt der deutschen Gesellschaft kommt dies eher einem Monolog gleich. Die drei Akteure (Katholische Kirche, Evangelische Kirche und CDU-Ministerin) entstammen dabei alle dem gleichen Lager und sind sich über die Zielsetzung von vorne herein einig. Insofern benötigen sie auch keinen Dialog. Die Zielsetzung ist für die Ministerin eindeutig. Sie wünscht sich für Deutschland eine Erziehung, in der „christliche Werte wieder zum Fundament der Erziehung werden". Diese öffentliche, parteiliche Einmischung einer Bundesministerin, die ihr Amt im Sinne aller Bürger - nicht nur der christlichen - zu versehen hat, stößt auf lauten Protest. An der Spitze stehen Bürgerrechtler und humanistische Verbände, von denen in diesem Zusammenhang sogar von „Amtsmissbrauch" gesprochen wird. Eine Auswahl der Stimmen verdeutlicht die Intensität der Empörung und die Bandbreite der Proteste:
„... Es verträgt sich nicht mit dem Geist unserer Verfassung, wenn der Staat versucht, mit den beiden christlichen Großkirchen, die ohnehin schon erhebliche Privilegien besitzen, Glaubensgrundsätze der christlichen Bekenntnisse zu allgemein verbindlichen Erziehungsnormen zu erklären. In einer pluralistischen Gesellschaft, wie der Bundesrepublik, in der über ein Drittel der Bevölkerung keiner Kirche angehört, verbietet sich jede religiöse Missionierung und Diskriminierung Andersdenkender und Konfessionsfreier durch den Staat. ... Es kann nicht sein, dass eine Bundesministerin den Bundesbürgern ein Erziehungsziel, wie „Ehrfurcht vor Gott" andienen will. Auch Frau von der Leyen sollte begreifen, dass die staatliche Zurückhaltung in religiösen Fragen und die Achtung der weltanschaulichen Selbstbestimmung des Menschen ein hoher verfassungsrechtlicher Wert ist. ..." [Humanistischer Verband Deutschlands (HVD)]
„... Eine zeitgemäße pädagogische Initiative müsste in ethischer Hinsicht auf die Vermittlung von „Fairnesskriterien" sowie in intellektueller Hinsicht auf die Vermittlung von kritischer Mündigkeit abzielen. Die bisherige Konzentration der Initiative „Bündnis für Erziehung" auf bloße „Sekundärtugenden" zeigt, dass sich die vollmundig angekündigte Initiative in pädagogischer Perspektive auf Stammtischniveau bewegt. „Respekt" etwa muss man autoritär erzogenen türkischen Jugendlichen nun ganz gewiss nicht beibringen. Es sind gerade solche „Tugenden", wie „Gehorsam", „Ehre", „Respekt" die manche Migrantenkinder dazu bringen, sich auf „Zwangsehen" und „Blutfehden" einzulassen oder gar „Ehrenmorde" zu begegnen. „Respekt" und „Toleranz" sind solange hohle Begriffe, solange nicht angegeben wird, was aus welchem Grund denn nun zu respektieren oder zu tolerieren ist und was eben nicht (beispielsweise „Ehrenmorde"). Dies verlangt umfassende Bildung, kritisch reflektiertes Wissen, eine Beschäftigung mit den realen Tatsachen und eine konsequente Aufhebung ideologischer Denkmuster - kurzum all das, was die Familienministerin selbst in ihren Stellungnahmen vermissen lässt. ..." [Giordano Bruno Stiftung]
„... Es gehört zur „religious correctnes" mit wahren Angaben zu arbeiten: Weder die 10 Gebote noch die Nächstenliebe gehören zum exklusiven Besitz des Christentums. ... Wir sollten auch den geschichtlichen Tatbestand nicht ignorieren, dass die Menschenrechte und insbesondere die Religionsfreiheit gegen die Kirchen erstritten wurden. Und von der Familienministerin gewünschte Werte wie Verlässlichkeit, Respekt, Hilfsbereitschaft, Mut, Zivilcourage und Achtung von der Einzigartigkeit des Menschen sind keineswegs exklusiv christlich, sondern Werte vieler Religionen, Kulturen und Weltanschauungen. Die Nächstenliebe und die Menschlichkeit, die Goldene Regel (Was du nicht willst, was man dir tu...") und die vier Gebote nicht töten, liegen, stehlen und Unzucht treiben bilden das Weltethos. Gerade die Erziehung zum Bewusstsein der Verbundenheit im Ethos ist das friedensstiftende Band jeder pluralen Gesellschaft und der Völkergemeinschaft. ... Ist es nicht längst überfällig, dass die Kirchen gemeinsam mit anderen Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften diese Werteerzeihung fördern?" [Fachverband Werte + Normen in Niedersachsen]
„... Unsere Kinder sind zu selbstbewussten Menschen zu befähigen und zu erziehen, die die globale und multikulturelle Lebenssituation des 21. Jahrhunderts bewältigen können. Aufklärung und Humanismus tun Not und nicht immer wieder die Mähr vom christlichen Abendland, die historisch falsch ist und desintegrierend wirkt! ..." [Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften]
„... Der Staat basiert auf den säkularen Grundwerten, welche erst gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen erkämpft werden mussten und teilweise durch sie gefährdet werden. ... Zu der Säkularitätsverdrängung tritt auch noch ein unkritisches Weichzeichnerbild: Der ethische Gehalt etlicher - insbesondere von der Katholischen Kirche vertretenen - Moralauffassungen u.a. zu Frauenrechten und Homosexualität ist in Wahrheit grundrechtsfeindlich und nicht etwa vorbildlich. ..." [Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten]
Auch die FREIEN HUMANISTEN haben sich den Protesten am 29. Juni 2006 mit einer Erklärung angeschlossen. Sie streben außerdem an, im Rahmen des Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) in einen bundesweiten Dialog eingebunden zu werden.

Deutscher Bundestag - "Humanisten dürfen legal diskriminiert werden!"

Im Deutschen Bundestag hat sich die Koalition an die längst überfällige Vorlage eines Antidiskriminierungsgesetzes gemacht. Das Gesetz ist im Grunde genommen positiv und dennoch ist es in gewisser Hinsicht eher ein Diskriminierungs-, statt ein Antidiskriminierungsgesetz. Es führt nämlich einen Makel ein, den es ohne das Gesetz nicht geben würde: Nicht-religiösen Menschen wird der zivilrechtliche Klageweg im Falle einer Diskriminierung gestrichen, während religiöse Menschen ihn ausdrücklich bestätigt bekommen. Mit anderen Worten: „Humanisten dürfen künftig legal diskriminiert werden!"
Bemerkenswert ist dabei, dass nicht etwa dem Gesetzgeber ein handwerklicher Fehler unterlaufen ist - das Gegenteil ist der Fall. Aus dem Entwurf, der ursprünglich eine Gleichstellung von der religiösen mit der nicht-religiösen Lebensauffassung vorsah, wurde der Schutz von Humanisten und Atheisten bewusst herausgestrichen. Ein unglaublicher Vorgang! Der Bundestagsabgeordnete Rolf Stöckel (SPD) sah sich deshalb veranlasst dazu eine persönliche Erklärung abzugeben, in der er auf die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit eingeht. In seinem Statement heißt es:
„... Die im Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vorgenommene Streichung des Merkmals „Weltanschauung" im Bereich des zivilrechtlichen Diskriminierungsschutzes halte ich für verfassungswidrig. ... Ich kann nur zustimmen, weil ich überzeugt bin, dass diese Streichung keine Rechtswirksamkeit entfalten kann, weil sie nicht nur gegen das Ziel der der Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, sondern auch gegen unveränderbare Verfassungsgrundsätze verstößt. Nach Artikel 4 (1) des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sind die „Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich". ... Da ich mich ausdrücklich zu einer nicht-religiösen Weltanschauung, nämlich dem weltlichen Humanismus bekenne und Mitglied einer Weltanschauungsgemeinschaft bin, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist, lehne ich insbesondere die diskriminierende Begründung der Streichung durch den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages ab."
Der Bundesvorsitzende des Humanistischen Verbandes Deutschlands - Dr. Horst Groschopp (Berlin) - findet wesentlich drastischere Worte, wenn er sich an die Damen und Herren Abgeordneten wendet:
„Hören Sie auf, religionslos lebende Menschen zu ignorieren und zu diskriminieren. Unsere Würde gehört genauso in ihrer weltanschaulichen Grundlegung geachtet, wie die Religionen von Christen, Juden oder Buddhisten. Pluralismus und Toleranz sollten Sie gerade in einem Antidiskriminierungsgesetz hochhalten."

Christliche "Leitkultur" - Zur Not auch per Gesetz verordnet

Zurück zu der Frage, die am Anfang stand: „Entsprechen Gesetzgebung und Regierungshandeln in Deutschland noch der klaren Neutralitäts-Vorgabe des Grundgesetzes?"
Das darauf geantwortete „Ja - Aber!" ist mehr als gerechtfertigt. Mit Sorge beobachten nicht nur Humanisten und Bürgerrechtler die derzeitige Offensive der Kirchen und christlichen Politiker mit der Absicht, die christliche Auffassung von Kultur und Ethik als „Leitkultur" in der deutschen Öffentlichkeit zu etablieren. In dem Maße, wie sich Menschen von vom Christentum ab und einer eigenverantwortlichen, offenen, und zugleich ethisch begründeten und wertbezogenen Lebensauffassung zuwenden, versuchen christliche Politiker, über den Weg von parteilichen Gesetzen und Verordnungen, das zu verhindern. Eine Missionierung durch den Staat sozusagen, auf einem Gebiet, wo die Kirchen ohne diese staatliche Hilfe ins Hintertreffen geraten. Und dass alles zu Lasten derer, die ohne Religion leben!
Wenn wir nicht alle hellwach werden, stehen uns bald amerikanische Verhältnisse ins Haus. Dort schreitet mit dem religiösen Präsidenten Bush eine Bewegung voran, die die Erkenntnisse der Evolutionslehre aus den Schulen verbannt, um zu dem zurückzukehren, was im alten Testament der Bibel geschrieben steht. Und alles auf dem Boden der Verfassung - versteht sich.

Jürgen Gerdes

Nachdem auf Hinweis zur Rundfunksendung der Freien Humanisten am 6. August - und nach der Ausstrahlung selbst - viele Reaktionen aus mehreren Bundesländern eintrafen, haben die Freien Humanisten diesen erweiterten Text veröffentlicht.
Der Text wurde gegenüber der vom Norddeutschen Rundfunk gesendeten Fassung um einige Beispiele erweitert. So wurde insbesondere das Beispiel "Bündnis für Erziehung - zielstrebige Ausgrenzung von Nichtchristen" hinzugefügt.